APA/HERBERT NEUBAUER

Besucherschwund in der Albertina

Die Wiener Albertina erlebt coronabedingt einen dramatischen Einbruch bei den Besucherzahlen. "Wir befinden uns derzeit im freien Fall", sagt Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder im APA-Interview. Lagen im August die durchschnittlichen täglichen Besucherzahlen bei über 1.100, seien sie im September auf unter 800 gesunken. In den vergangenen zwei Tagen hätten sich diese Zahlen nochmals halbiert, so der Museumschef. Die Szenarien würden nahezu täglich nach unten revidiert.

In den vergangenen zwei Jahren erreichte die Albertina jeweils etwas über eine Million Besucher. Die Modellrechnungen gehen im Augenblick Richtung 350.000 und das auch nur, weil das Museum vor dem Shutdown im Jänner und Februar hervorragend besucht war. Verantwortlich für den eklatanten Besucherschwund seien u.a. die "unverhältnismäßigen und unkoordinierten" Reisebeschränkungen, die sich etwa bei den Besuchern aus Ungarn oder Deutschland unmittelbar und gravierend bemerkbar gemacht hätten. "Man hat schlagartig das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Das verurteile ich in hohem Maße", sagt Schröder, der Langzeitfolgen befürchtet: Mit Reisen sei auch größeres Verständnis für andere Ethnien und Religionen verbunden, nun drohe Nationalismus und Intoleranz weiter Auftrieb zu erhalten.

"Unkoordiniert, widersprüchlich und verunsichernd" sei aber auch die Kommunikation der Bundesregierung. Das habe etwa dazu geführt, dass über 60-jährige Besucher weitgehend wegblieben und der Altersschnitt der Besucher auf 40-45 Jahre gesunken sei. Das wirke sich auch bei der neuen "Albertina modern" im Künstlerhaus aus, die sich als "grandioser Ausstellungsort" erwiesen habe und aufgrund des jüngeren Zielpublikums besser besucht sei. Rund 100.000 Besucher dürften es dort heuer werden. Dank des Mäzens Hans Peter Haselsteiner seien die wirtschaftlichen Folgen am neuen Standort geringer. Für das gesamte Museum steuere man jedoch auf Ertragseinbußen von 12 Mio. Euro zu. "Die Erträge brechen uns rasant weg", sagt Schröder.

Bei einem ersten längeren Treffen mit dem für Kultur zuständigen Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) habe er daher kürzlich mehrere Szenarien vorgelegt. Dass das derzeitige Verhältnis von 7,5 Mio. Euro Basisabgeltung und 15 Mio. selbst erwirtschafteten Erträgen künftig nicht zu halten sein wird, dürfte aber klar sein. "Die beim Publikum erfolgreichen Häuser trifft es am härtesten. Wir sind ja kein Zombie-Museum, sondern eines, das seit zwei Jahrzehnten sehr erfolgreich ist. Wir haben daher für das Überwintern der nächsten zwei bis vier Jahre Gott sei Dank etwas Speck angesetzt. Das Wegbrechen von 60, 70 Prozent des Publikums können wir freilich nicht kompensieren." Die Inanspruchnahme der Kurzarbeit habe rund 900.000 Euro gebracht, vom Coronafonds habe man 2,8 Mio. Euro erhalten, erläuterte der Museumschef. Über 6 Mio. Euro habe man zudem einsparen können.

Der Vizekanzler habe nicht nur erkennen lassen, dass die "Albertina modern" auch künftig ein wesentliches Standbein der Museumslandschaft sein werde, sondern bei allem Verständnis für notwendige Einsparungen gebeten, weiterhin für attraktive Ausstellungen zu sorgen. An den geplanten Ausstellungshighlights "Munch und die Folgen" (ab Februar 2021) und der bereits um ein Jahr verschobenen "Modigliani - Picasso"-Schau (ab September 2021) hält man daher weiter fest, hat jedoch erstmals in der Geschichte des Hauses mit den eigenen Beständen Alternativvorhaben entwickelt, die auch kurzfristig realisiert werden können, wenn etwa aufgrund von Restriktionen im Leihverkehr oder Behinderungen im Antransport von Kunstwerken Absagen notwendig werden sollten.

Das Back-up für Munch ist Michelangelo. Eine Ausstellung mit rund 120 Exponaten soll über fünf Jahrhunderte hinweg die Auseinandersetzung mit dem männlichen Antikenideal verfolgen: "Michelangelo und die Folgen" könnte in diesem Winter, aber auch erst zwei, drei Jahre später realisiert werden. Die Modigliani-Alternative ist dagegen eine bereits fertige Ausstellung zur Geschichte des Prints, die eigentlich nach Sao Paulo gehen hätte sollen, nun aber in Wien geblieben ist und hier auch eine Ausweitung erfahren könnte. Erst die von ihm durchgeführte strategische Neuausrichtung samt Diversifizierung der Bestände habe das Haus überhaupt in die Lage versetzt, so flexibel reagieren zu können, betont Schröder.

Im August hatte ein Interview des Albertina-Generaldirektors für Aufsehen gesorgt, bei dem er u.a. mit dem Satz zitiert wurde: "Es sollen lieber mehr Menschen leben können - und wir kommen jetzt einmal ohne Theater aus." Daraufhin war er von Staatsopern-Direktor Bogdan Roscic heftig angegriffen worden. "Schwamm drüber", sagt Schröder heute. "Ich gönne dem langjährigen Ö3-Chef den Triumph einer Selbstpositionierung als heldenhafter Verteidiger ernster Musik und der Oper. Das war eine PR-Kampagne in eigener Sache, die erfolgreich gelaufen ist." Er selbst profitiere als "zutiefst verankerter Bildungsbürger", der mehrmals im Monat in Theater, Oper und Konzerthäuser gehe, von der Tatsache, dass diese Institutionen ihren Spielbetrieb wieder aufgenommen haben. "Allerdings wünschte ich mir, dass die Maskenpflicht nicht nur vor, sondern auch während der Vorstellung gelten würde."

ribbon Zusammenfassung
  • Die Wiener Albertina erlebt coronabedingt einen dramatischen Einbruch bei den Besucherzahlen.
  • "Wir befinden uns derzeit im freien Fall", sagt Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder im APA-Interview.
  • Lagen im August die durchschnittlichen täglichen Besucherzahlen bei über 1.100, seien sie im September auf unter 800 gesunken.
  • In den vergangenen zwei Jahren erreichte die Albertina jeweils etwas über eine Million Besucher.