Autor Daniel Glattauer "spürt die Verantwortung immer mehr"
APA: Herr Glattauer, in den vergangenen Jahren haben Sie eher Theaterstücke geschrieben. Was sprach bei diesem Sujet für einen Roman?
Daniel Glattauer: Ich hatte wieder Lust, ein Buch zu schreiben und nicht die Vorlage für etwas. Ich habe mir eine Romanpause von achteinhalb Jahren gegönnt, und dann ist mir eine Idee eingeschossen, bei der ich gedacht habe: Das probiere ich jetzt in verschiedenen Erzählformen zu schreiben. Ich lege es ja zu Beginn, wie unschwer zu erkennen ist, wie ein Drehbuch an. Das erste Kapitel ist praktisch eine Beobachtung von außen. Die Toskana wird vorgestellt, die Menschen werden vorgestellt. Ich hab sie mir selbst vorgestellt, denn ich hab sie erst durchs Schreiben kennengelernt.
APA: Haben Sie jemals Drehbücher geschrieben?
Glattauer: Nein - und zwar, weil ich eigentlich keinen Zugang dazu habe. Alleine traue ich es mir nicht zu. Die Dramaturgie des Filmes ist mir noch fremd. Ich glaube, dass man dafür anders denken muss. Ich denke schon sehr bildhaft, aber wenn ich eine Erzählung nicht weiterbringe, kann ich ausweichen - etwa in einen Dialog gehen. Außerdem formuliere ich wahnsinnig gerne. Beschreibungen kann man aber im Film so nicht unterbringen. Das Drehbuch ist eine Vorlage für etwas, das möglicherweise ganz anders rauskommt, als ich es mir wünsche. Das ist ja oft auch mein Problem mit den Stücken.
APA: Leiden Sie darunter, wenn Sie Ihre Stücke aufgeführt sehen?
Glattauer: Ja, mitunter schon. Ein Buch kann ich dagegen so schreiben, wie ich will. Beim Schreiben von "Die spürst du nicht" hat mich die Geschichte selbst gepackt - und das ist ein guter Gradmesser dafür, ob es vielleicht den Leserinnen und Lesern auch so gehen könnte. Dass man wissen möchte, wie die Geschichte weitergeht ...
APA: Das stimmt. Wobei: Im ersten Kapitel ahnt man rasch, wie es enden wird.
Glattauer: Ja. Ich hab das Buch nach dem Unglück mit Kapitel zwei neu begonnen - und nur ungefähr gewusst, wo es mich hinbringen soll. Nachdem es sich bei meinen Protagonisten um in der Öffentlichkeit stehende Menschen handelt, über die berichtet wird, war es für mich naheliegend, Zeitungsartikel hineinzubringen - und auch, darauf hab ich mich schon besonders gefreut, die "Standard"-Postings, die mir schon seit längerem ein Dorn im Auge sind. Sie machen Meinung - und zwar in einem Ausmaß, das furchterregend ist. Wenn es sensibler wird, wirken die Postings sehr grob, sehr verletzend, sehr plump, in einem Humor der unangemessen und zynisch ist. Das war ein Nebenprodukt an der Geschichte, das mich sehr interessiert hat. Und ich habe gewusst, dass ich im Gerichtssaal landen werde. Ich liebe Gerichtsdramen und war 20 Jahre Gerichtsberichterstatter. Das hat mich wahnsinnig geprägt. Das Ziel war, dass die Flüchtlingsfamilie ihre Geschichte erzählen kann. Das war mir wichtig.
APA: Diese Familie war schon Teil Ihrer Grundidee. Was hat die alles inkludiert?
Glattauer: Es war eine sehr persönliche Geschichte. Wir haben einen Toskanaurlaub vor uns gehabt, mit zwei Familien mit Kindern. Meine Frau und ich haben ein mittlerweile 16-jähriges Patenmädchen aus Afghanistan (wir haben auch drei somalische Jungs, weswegen es eine Mischung ist und im Buch ein somalisches Mädchen geworden ist). Dieses Mädchen ist mitgekommen, um schwimmen zu lernen. Da sind wir vorher Worst-Case-Szenarien durchgegangen: Auf was muss man besonders achten? Was darf nicht passieren? Und genau das war dann die Ausgangssituation für das Buch: Wohlhabende, gut situierte Menschen mit liberaler Prägung und ein Flüchtlingskind, das in einem Swimmingpool ertrinkt. Beim Schreiben habe ich mich damit befasst: Was kommt danach?
APA: Diese vier Flüchtlingskinder sind weiterhin Teil Ihrer Familie?
Glattauer: Familie ist etwas übertrieben, aber wir begleiten sie. Die drei somalischen Jungs sind mittlerweile erwachsene Menschen, die ganz unterschiedliche Entwicklungen genommen haben. Wir haben nach wie vor Kontakt zu allen und sind für sie da. Das Mädchen ist mit 12 ganz allein hierhergekommen. Ihre Eltern sind im Lager in Griechenland geblieben und von dort lange nicht weggekommen. Seit einigen Monaten sind die Eltern Gott sei Dank ebenfalls in Wien. Die Familie ist zusammen, und wir kümmern uns, soweit wir können.
APA: Haben Sie vorher nie daran gedacht, diese Erfahrungen zu erzählen und weiterzugeben?
Glattauer: An sich bin ich bis jetzt meinem Prinzip treu geblieben: Privates gehört in den privaten Kreis. Ich sehe mich nicht als Missionar. Das ist nicht mein Ding. Das habe ich jetzt etwas durchbrochen. Die Fluchtgeschichte der Familie Ahmed zu erzählen, war mir ein Anliegen. Ich hab schon einige Fluchtgeschichten gehört, und sie sind alle furchtbar. Es wäre wichtig, dass das mehr Menschen nicht nur wissen, sondern auch spüren würden. Dann würde man denen, die gekommen sind, bei der Integration vielleicht mehr Schritte entgegengehen. Ich weiß schon, dass Zuzug nicht ungebremst vonstatten gehen kann - aber um die Menschen, die bei uns gelandet sind, muss man sich kümmern! Und wir müssen diese Jugendliche in die Jobs bringen, in die zahlreichen Jobs, die es gibt. Einer unserer Somalier ist jetzt ausgelernter Koch. Bei der Prüfung hat der Chef zu ihm gesagt: Bleiben Sie bei uns, wir brauchen Sie!
APA: Spüren ist wichtig, sagen Sie. Sehen Sie sich da auch in einer gewissen Verantwortung, Emotionen, die etwas bewegen können, zu schaffen - etwa in Zusammenhang mit der Klimakatastrophe?
Glattauer: Die Verantwortung kommt schön langsam. Vielleicht ist sie mit diesem Buch da, weil ich merke: Ich habe dafür gewisse Mittel in der Hand. Ich kann das. Bisher hab ich mich davor gescheut. Beim Klimathema habe ich bisher etwa gedacht, ich könnte nichts anderes sagen als viele andere. Aber nun spüre ich diese Verantwortung immer mehr. Es gibt eine gewisse Notwendigkeit, dass Künstler auf wichtige Themen hinweisen, weil sie Dinge emotionalisieren können. Wir kommen aus einer Zeit, in der wir um Dinge gekämpft haben. Ich glaube, dass es an uns liegt, es jüngeren Leuten schmackhaft zu machen, sich zu engagieren - etwa beim Klimathema.
APA: Eine Ihrer Protagonistinnen wird als künftige Umweltministerin gehandelt - und fährt der Familie mit dem Zug in die Toskana nach ...
Glattauer: Das ist ein Beispiel für den Schein nach außen: Man ist seiner Ideologie verpflichtet, diese und jene Dinge zu tun. Aber ich mag die Elisa. Sie ist ja meine Hauptfigur. Sie ist eine toughe, tolle Frau, aber es kommt so richtig durch, wie wenig sie dann wirklich dran ist an den Dingen, wofür sie steht.
APA: Müssen Sie sich bei Figuren wie ihr oder dem schillernden Staranwalt gelegentlich zur Ordnung rufen? Achtung, Klischee! Aufpassen!
Glattauer: Vielleicht bin ich klischeeanfällig, das kann sein. Dieser Anwalt ist fast eine Karikatur, aber die sind ja wirklich so, warum soll ich sie anders machen? Aber es stimmt: Dieser Vorwurf begleitet mich durch alle meine Werke. Den Klischeevorwurf krieg ich nicht los.
APA: Warum ist Ihnen das Einbeziehen von Einsprengseln wie diesmal Postings oder Nachrichten wichtig?
Glattauer: Das macht es für mich lebendiger. Als Leser finde ich lange erzählerische Passagen anstrengend. Ich hab's von den Formen her gern ein bisschen gemischter. Und ich wollte die Geschichte auch immer wieder ein bisschen aus einer anderen Perspektive erzählen. Die Poster, die ganz von außen kommen, bieten mit ihrer Banalität und Unbarmherzigkeit einen ständigen Perspektivenwechsel.
APA: Wenn Sie jemand um eine Theaterfassung des Romans bitten würde: Machen Sie's?
Glattauer: Nein. Aber so wie schon fast alle meine Bücher verfilmt worden sind, kann ich mir auch dieses neue Buch wunderbar als Film vorstellen. Ich könnte mir sogar vorstellen, an dem Drehbuch mitzuarbeiten - in Zusammenarbeit mit einem Profi. In diesem Fall würde ich mich vor allem für die Dialoge zuständig fühlen.
APA: Vorerst gehen Sie aber auf Lesetournee. Machen Sie das gerne, oder müssen Sie sich dafür überwinden?
Glattauer: Ich schreibe wahnsinnig gerne, aber alles andere muss nicht sein. Ich hab auch vor jedem Interview Bauchweh. Andererseits sind das auch persönliche Begegnungen, und die finde ich gut. Genauso ist es bei Lesungen: Erst wenn's gut gegangen ist, fällt der Druck von mir ab.
APA: Und, wie geht's Ihnen jetzt am Ende des Interviews?
Glattauer: Danke gut.
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
ZUR PERSON: Daniel Glattauer, geboren 1960 in Wien, studierte Pädagogik und Kunstgeschichte und arbeitete danach als Journalist und Kolumnist für "Die Presse" und 20 Jahre lang für "Der Standard". Nach einigen Büchern brachte der E-Mail-Roman "Gut gegen Nordwind" 2006 den literarischen Durchbruch. Auch der Nachfolgeband "Alle sieben Wellen" (2009) wurde ein Bestseller. Viele seiner Stücke, etwa "Die Wunderübung" (2015), wurden an den Kammerspielen der Josefstadt uraufgeführt. Sein bis dato letzter Roman erschien 2014: "Geschenkt".
(S E R V I C E - Daniel Glattauer: "Die spürst du nicht", Zsolnay Verlag, 304 Seiten, 25,70 Euro, Buchpräsentation: 21.3., 20 Uhr, Rabenhof Theater, Wien 3, Rabengasse 3; 23.3., 19 Uhr, Thalia Wien 6, Mariahilfer Straße 99; 28.3., Literaturhaus Graz, Elisabethstraße 30)
Zusammenfassung
- Werken aus Daniel Glattauers Feder begegnete man in den vergangenen Jahren vor allem auf der Theaterbühne.