Am Sonntag im Rabenhof: Dirk Stermann und Erika Freeman
Dass Dirk Stermann nicht nur erfolgreicher Kabarettist und Moderator, sondern auch ein ernst zu nehmender Autor ist, hat er immer wieder bewiesen, zuletzt 2019 in "Der Hammer", einem Historienroman über den Wiener Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall, und 2022 mit "Maksym", einem "überwiegend frei erfundenen" Roman über einen grobschlächtigen, ukrainischen Babysitter. Stermann kann also Roman. Doch diesmal nimmt er sich zurück und hört zu - und lässt Janina Enderle seine unzähligen Gespräche mit Freeman (die in "Maksym" bereits einen erfundenen Kurz-Auftritt hatte) als Materialsammlung für eine charmante Mischung aus Lebens- und Beziehungsgeschichte abtippen. Im Mittelpunkt stehen seine Begegnungen mit der heute 96-Jährigen, die bei einem Wien-Aufenthalt von der Corona-Pandemie überrascht und Dauergast im Hotel Imperial wurde.
Nach einer Einladung in "Willkommen Österreich" entsteht eine intensive Freundschaft zwischen der entzückenden alten Dame, die einst aus Wien flüchten musste und in den USA zur Analytikerin der Stars wurde, und ihrem Gastgeber, dem sie lächelnd mitteilt, ihr erstes Date seit dem Tod ihres Mannes zu sein. Es entsteht also "so ein Harold-and-Maude-Ding" zwischen den beiden, die einander jeden Mittwochvormittag im Nobel-Ambiente des Imperial zu Kaffee und Kipferln und dem einen oder anderen Spaziergang treffen. Der 57-jährige Wahl-Wiener fühlt sich zwar "zu alt für einen Toy Boy", ist aber ein einfühlsamer Gesprächspartner, Stichwortgeber, Zuhörer und Kommentator.
Denn Freeman, deren Mutter als Vorbild für Isaac Beshevis Singers mit Barbra Streisand verfilmte Kurzgeschichte "Yentl" galt und 1945 bei der Bombardierung des Philipphofs starb, hat viel zu erzählen, von Flucht und Verfolgung, von Karriere und Prominenten, vor allem aber über das Leben selbst. Stermann ist an ihrer Seite, als sie ihren 94. Geburtstag feiert, als sie erneut die österreichische Staatsbürgerschaft bekommt oder als sie am 8. Mai beim Fest der Freude am Heldenplatz eine Rede hält. Vorher darf sie auf den Altan der Neuen Burg, von dem aus Adolf Hitler vor fanatisierten Massen "den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich" verkündete. Freeman genießt ihren späten Triumph: "I am still here, he is gone!"
Als Stermann ihr eines Tages gesteht, ein Buch über sie zu schreiben, erkundigt sie sich nach dem geplanten Titel. Von "Mittwochs Erika" habe er auf Anraten des Verlags Abstand genommen, sagt er, "das würde unseriös klingen, als hätte ich mittwochs einen fixen Termin bei einer Prostituierten". Also habe er sich entschlossen, sie im Titel zu zitieren: "Mir geht's gut, wenn nicht heute, dann morgen". "Sie überlegte kurz. 'So ein langer Titel. Dann müssen die Leute ja gar nicht mehr den Rest des Buches lesen, wenn schon so viel am Cover steht.'" Der Titel hat acht Wörter, das Buch 250 Seiten. Und jede einzelne ist der Lektüre wert.
(S E R V I C E - Dirk Stermann: "Mir geht's gut, wenn nicht heute, dann morgen", Rowohlt Hundert Augen, 256 Seiten, 24,70 Euro; Literatursalon im Gemeindebau: Dirk Stermann und Erika Freeman, Rabenhof, 15. Oktober, 20 Uhr)
Zusammenfassung
- Ein Roman, wie vom Verlag angekündigt, ist das neue Buch von Dirk Stermann nicht.
- Am Sonntag treffen die beiden einander nicht im Kaffeehaus des Hotel Imperial, sondern im Literatursalon des Rabenhof.
- 'So ein langer Titel.
- (S E R V I C E - Dirk Stermann: "Mir geht's gut, wenn nicht heute, dann morgen", Rowohlt Hundert Augen, 256 Seiten, 24,70 Euro; Literatursalon im Gemeindebau: Dirk Stermann und Erika Freeman, Rabenhof, 15. Oktober, 20 Uhr)