Wiener Forscher finden mögliche Corona-Achillesferse
Ein Team unter der Leitung von Forschern des Wiener IMBA (Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) hat möglicherweise eine Schwachstelle des Coronavirus gefunden. Die Ergebnisse, die das Potenzial für variantenübergreifende Therapien haben, wurden im EMBO Journal veröffentlicht.
Bei den Forschungen zur Corona-Eindämmung sei das Spike (S)-Protein von besonderem Interesse, da es der Haupteintrittsmechanismus des Virus in die Wirtszellen darstellt. So bestimmt die Interaktion des SARS-CoV-2 S-Proteins mit dem Angiotensin Converting Enzyme 2 (ACE2) der Wirtszellen die Infektiosität des Virus. Dies erfordert einen Tarnmechanismus, um es vor der Immunantwort des Wirts zu verbergen. Dabei nutzt das Virus einen sogenannten Glykosylierungsmechanismus an bestimmten Stellen des S-Proteins, um eine Zuckerhülle zu bilden, die das antigene Protein vor der Immunreaktion des Wirts verbirgt.
"Wir haben nun Werkzeuge in der Hand"
Im Team um IMBA-Gruppenleiter Josef Penninger, der auch Direktor des Life Science Institute an der University of British Columbia (UBC) in Vancouver ist, tauchte eine Frage auf: Was ist mit den Lektinen, den zuckerbindenden Proteinen? "Wir dachten intuitiv, dass die Lektine uns helfen könnten, neue Interaktionspartner des Spike-Proteins zu finden", so Co-Erstautor David Hoffmann, ein ehemaliger Doktorand im Penninger-Labor am IMBA. Die Glykosylierungsstellen des SARS-CoV-2-Spike-Proteins sind bei allen zirkulierenden Varianten hoch konserviert. Durch die Identifizierung von Lektinen, die diese Glykosylierungsstellen binden, könnten die Forscher also auf dem besten Weg sein, robuste therapeutische Maßnahmen zu entwickeln.
Das Team entwickelte und testete eine Bibliothek mit über 140 Säugetierlektinen. Unter diesen wurden zwei gefunden, die stark an das SARS-CoV-2 S-Protein binden: Clec4g und CD209c. "Wir haben nun Werkzeuge in der Hand, die die Schutzschicht des Virus binden und damit das Virus am Eindringen in Zellen hindern können", betonte Stefan Mereiter, Co-Erstautor und Postdoktorand aus dem Penninger-Labor. "Dieser Mechanismus könnte in der Tat die Achillesferse sein, auf die die Wissenschaft schon lange gewartet hat."
In Zusammenarbeit mit Peter Hinterdorfer vom Institut für Biophysik der Universität Linz hat das Team mit biophysikalischen Hightech-Methoden untersucht, wie die Lektinbindung im Detail abläuft. Die Forscher maßen zum Beispiel, welche Bindungskräfte und wie viele Bindungen zwischen den Lektinen und dem S-Protein auftreten. So wurde auch klar, an welche Zuckerstrukturen Clec4g und CD209c binden.
Eine weitere gute Nachricht: Das Team fand heraus, dass die beiden Lektine an die N-Glykanstelle N343 des S-Proteins binden. Diese spezifische Stelle sei so entscheidend für den Spike, dass sie bei keiner infektiösen Variante verloren gehen kann. Tatsächlich macht eine Deletion dieser Glykosylierungsstelle das S-Protein instabil. Darüber hinaus haben andere Gruppen gezeigt, dass Viren mit mutiertem N343 nicht infektiös sind. "Das bedeutet, dass unsere Lektine an eine Glykanstelle binden, die für die Funktion von Spike essenziell ist - es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass jemals eine Mutante entstehen könnte, der dieses Glykan fehlt", erklärte Mereiter.
Vielversprechend
Zur Freude des Teams verringerten die beiden Lektine auch die SARS-CoV-2-Infektiosität von menschlichen Lungenzellen. Für Josef Penninger und das gesamte Team sind diese Ergebnisse vielversprechend für variantenreiche therapeutische Interventionen gegen SARS-CoV-2.
Penninger: "Der Ansatz ist vergleichbar mit dem Mechanismus des Medikamentenkandidaten 'APN01' [Apeiron Biologics], der sich in fortgeschrittenen klinischen Studien befindet. Dabei handelt es sich um ein biotechnologisch hergestelltes menschliches ACE2, das ebenfalls an das Spike-Protein bindet. Wenn das S-Protein von dem Medikament besetzt ist, wird der Zugang zur Zelle blockiert. Jetzt haben wir natürlich vorkommende Lektine von Säugetieren identifiziert, die genau das tun können."
Der künstlichen Herstellung des SARS-CoV-2 Spikeproteins unter kontrollierten Bedingungen folgte am Institut für Biochemie an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) die exakte Lokalisierung der konservierten Zuckerkette, an welcher körpereigene Lektine das Virus festhalten können. Die Herstellung wurde von Lukas Mach im Rahmen der BOKU Covid-Initiative koordiniert. Diese hochspezialisierte Form der Glykoprotein-Analytik stellt seit Jahrzehnten den Forschungsschwerpunkt der Arbeitsgruppe Altmann dar. "Obwohl die Analyse des Spike-Glykoproteins schon unter Normalbedingungen eine durchaus beachtliche Herausforderung darstellt, war es in diesen besonderen Zeiten von Homeoffice, Distance-Learning und harter Lock-downs nur durch das großartige Zusammenspiel aller möglich, die notwendigen Messungen durchzuführen. Dafür möchte ich mich bei den beteiligten Personen herzlich bedanken", sagte Johannes Stadlmann, Projektverantwortlicher in der Gruppe Altmann.
An dieser Arbeit war ein internationales Forscherteam beteiligt, darunter Ali Mirazimi vom Karolinska Institutet in Stockholm, Schweden. Darüber hinaus haben mehrere führende Forscher in Österreich zu dieser Arbeit beigetragen: Johannes Stadlmann, Chris Oostenbrink, Lukas Mach und Friedrich Altmann von der BOKU, Peter Hinterdorfer von der Johannes Kepler Universität Linz sowie Gerald Wirnsberger von Apeiron Biologics in Wien.
Zusammenfassung
- Ein Team unter der Leitung von Forschern des Wiener IMBA hat möglicherweise eine Achillesferse des Coronavirus gefunden: Zwei zuckerbindende Proteine behindern SARS-CoV-2-Varianten am Eindringen.
- Bei den Forschungen zur Corona-Eindämmung sei das Spike (S)-Protein von besonderem Interesse, da es der Haupteintrittsmechanismus des Virus in die Wirtszellen darstellt.
- Tatsächlich macht eine Deletion dieser Glykosylierungsstelle das S-Protein instabil.