Imame "made in Austria": Was es braucht, wo es hakt
Sie leiten die Gebete in den Moscheen, sind aber oft mehr als nur Prediger. Sie leiten ihre Gemeinden, geben Koranunterricht, hören sich die Sorgen ihrer Gemeindemitglieder an, halten Feiern und Zeremonien ab und interpretieren den Koran.
Das Wort Imam heißt so viel wie Vorbild oder Beispiel, wird aber auch als Führungsperson oder Verwalter übersetzt. Dementsprechend groß sind die Erwartungen an sie und damit ihr Einfluss auf ihre Gemeinden. Sie sind das islamische Pendant zum Pfarrer.
Schon vor rund 12 Jahren einigte sich die Islamische Glaubensgemeinschaft Österreich (IGGÖ) mit dem damaligen Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) darauf, dass in Österreich tätige Imame auch hier ausgebildet werden sollten. Mit dem "Islamgesetz" aus dem Jahr 2015 sollten eigentlich die Strukturen für die Ausbildung in Österreich geschaffen werden. Es gibt entsprechende Studien an der Uni Wien und der Uni Innsbruck.
Doch von 200 bis 250 derzeit in Österreich aktiven Predigern sind fast alle im Ausland ausgebildet worden - in der Türkei, in Bosnien und Herzegowina oder in arabischen Staaten.
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Anfang Dezember organisierte die IGGÖ im Dachgeschoss eines Uni-Wien-Gebäudes eine Fachtagung. Dabei wurde unter anderem recht offen diskutiert, was denn nun eigentlich in der heutigen Zeit die Anforderungen an einen Imam seien und wie das in einer Ausbildung in Österreich vermittelt werden könnte. Die Veranstaltung sollte einen Prozess einleiten, der nun endgültig für Imame "made in Austria" sorgen sollte.
Aber warum dauert das so lange und wird es überhaupt gelingen?
Vor überwiegendem männlichem Publikum wurden Vorträge gehalten, Studien präsentiert und debattiert. Es ging beispielsweise um die Fragen, ob denn mehr Frauen in die Moscheearbeit miteinbezogen werden sollten, wie man die Jugend erreichen könne, ob Imame Deutsch sprechen sollten. Es ging um die Gefahr der TikTok-Prediger und um die Frage, ob es für einen Imam ausreicht, wenn er sich mit dem Koran auskennt oder, ob nicht Seelsorge genauso wichtig sei.
Rolle der Imame "neu denken"
Oft zückten Teilnehmer ihre Smartphones, um Powerpointfolien abzufotografieren. Manchmal war aber auch der ein oder andere grimmige Blick zu vernehmen. Etwa als eine Vortragende scherzhaft auf die Frauenquote verwies, als sie auf ihre abgelaufene Redezeit hingewiesen wurde. Andere konnten darüber lachen.
Die Glaubensgemeinschaft und ihre Gemeinden standen wiederholt in der Kritik, vor allem unter türkischem Einfluss zu stehen - an der Uni durfte nun der Großmufti von Bosnien und Herzegowina Grußworte sprechen.
In den Schlussworten sagte Ümit Vural, der Präsident der Glaubensgemeinschaft, er hoffe jedenfalls, die besprochenen Themen in konkrete Schritte formen zu können. Man wolle die Rolle der Imame "neu denken" und "an die Bedürfnisse unserer Zeit" anpassen.
In der geplanten Imame-Akademie sollte diese "praxisnahe" Ausbildung gelingen. Die ausgebildeten Geistlichen sollten den "verzerrten islamischen Inhalten" in den sozialen Medien als Vorbilder "authentisches Wissen" entgegensetzen können. Sie sollten "Brückenbauer" zwischen den Religionen und islamischen Gemeinden sein.
Es gibt keine Organisation, die ohne ausländischen Einfluss hier in Österreich tätig ist
Stehen die Zeichen auf Veränderung? Daran gibt es auch Zweifel.
Einer der lautesten Kritiker der IGGÖ ist nämlich ausgerechnet am Institut für Islamische Religionspädagogik in Wien zu finden. Professor Ednan Aslan, der gemeinsam mit Kultusministerin Susanne Raab (ÖVP) die umstrittene "Islam-Landkarte" präsentierte und davor wegen seiner Studie über islamische Kindergärten in Kritik geriet.
"Ideologie auf Kosten der Qualität"
"Wir haben genug Imame, aber die IGGÖ, die derzeit von der Hochburg des politischen Islam, Millî Görüş (eine türkisch-nationalistische, islamistische Bewegung, Anm.), dominiert wird, sucht keine gut ausgebildeten Imame, sondern Personen, die eine bestimmte Ideologie auf Kosten der Qualität vertreten", moniert er gegenüber PULS 24.
"Sehr viele Verbände, Vereine, Moscheen werden unter dem Einfluss ausländischer Interessen in die Isolation getrieben, weil sie in der Isolation besser zu beeinflussen sind", meint Aslan. Eine gesellschaftliche Öffnung könne "eine Gefahr gegen den Einfluss ausländischer Interessen sein". "Es gibt keine Organisation, die ohne ausländischen Einfluss hier in Österreich tätig ist", ist er sich sicher.
Weil man an der Universität in deutscher Sprache ausbilde, würden die hier ausgebildeten Imame nicht die Erwartungen erfüllen, so der Professor. "Damit fehlt eine wesentliche Voraussetzung für die Interessen der IGGÖ".
Fehlende Praxis
Fragt man hingegen bei der IGGÖ nach, warum es immer noch so wenige in Österreich ausgebildete Imame gibt, wird zunächst auf das Islamgesetz verwiesen. Kommen im Ausland ausgebildete Imame nach Österreich, müssen diese einen Aufenthaltstitel haben und Deutsch auf A1-Niveau sprechen. Direkte Finanzierung aus dem Ausland ist nicht mehr erlaubt.
Nach der Einführung des Islamgesetzes hätten deshalb Imame das Land verlassen müssen, was eine Lücke hinterlassen habe, so die IGGÖ. Es werden aber auch andere Gründe genannt. Zum einen entscheide sich beim Studium in Wien ein Großteil für den religionspädagogischen Bereich, weil die Ausbildung zu Religionslehrer:innen bessere Jobaussichten biete.
Generell müssten viele Imame nebenbei andere Jobs machen oder ihre Funktion gar ehrenamtlich ausüben. Zum anderen gebe es den Studiengang in Wien erst seit 2015, den in Innsbruck erst seit diesem Jahr - deshalb gebe es noch zu wenige Absolventen.
Das Institut hat seit seiner Gründung durch zweifelhafte Studien, politische Instrumentalisierung und Projekte wie die 'Islam-Landkarte' erhebliches Vertrauen in der muslimischen Zivilgesellschaft und den Gemeinden verloren.
Die beiden Studiengänge seien laut der Glaubensgemeinschaft "nicht ausreichend", da diese "nicht die praktischen Anforderungen des Imam-Berufs abdecken". "Die IGGÖ stellt fest, dass Absolventen sich nach ihrem Studium insgesamt unzureichend auf Tätigkeiten in den Gemeinden vorbereitet fühlen", heißt es. Dabei gehe es etwa um Predigten, religiöse Rituale wie die Totenwaschung oder Trauerfeiern, sowie die Seelsorge. Die geplante Akademie sollte dies vermitteln.
Kommunikation nach Innen
Die Glaubensgemeinschaft glaubt außerdem, dass es der islamischen Theologie im deutschsprachigen Raum "noch an breiter Anerkennung und internationaler Reputation" fehle. Schließlich habe das Wiener Institut "durch zweifelhafte Studien, politische Instrumentalisierung und Projekte wie die 'Islam-Landkarte' erhebliches Vertrauen in der muslimischen Zivilgesellschaft und den Gemeinden verloren".
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Die Glaubensgemeinschaft versichert - im Gegensatz zu Aslan - dass in den Gemeinden "mittlerweile" Konsens darüber herrsche, dass eine Imam-Ausbildung in Österreich notwendig sei. "Dies wurde durch intensive Kommunikationsarbeit der IGGÖ innerhalb der Gemeinden erreicht", heißt es. Man werde jedoch darauf achten, dass die Gemeinden weiterhin in den Ausbildungsprozess eingebunden bleiben.
Was man diesbezüglich wissen muss: Die Glaubensgemeinschaft stellt die meisten Imame gar nicht selbst an - Arbeitgeber sind meist die einzelnen Gemeinden und Vereine. Eine Ausnahme sind Militär-Imame.
In Deutschland etwa hätte man gesehen, dass bei Nichteinbindung der Gemeinden im Inland ausgebildete Imame kaum Anstellungen finden würden, so die IGGÖ.
Die Fachtagung an der Uni Wien Anfang Dezember kann daher auch als weitere Überzeugungsarbeit nach Innen interpretiert werden.
Vortragende war dort auch Ayşe Almıla Akca. Sie forschte an der Humboldt-Universität und der Freien Universität in Berlin zum Moscheeleben in Deutschland und zur religiösen Praxis von Muslim:innen, bevor sie als Universitätsassistentin an das Institut für Islamische Theologie und Religionspädagogik in Innsbruck gekommen ist.
Im Gespräch mit PULS 24 sagt Akca, dass ihrer Erfahrung nach vor allem kleine Gemeinden - ohne große Netzwerke oder Verbände - von im Inland ausgebildeten Imamen profitieren könnten. Zudem würde man mit heimischen Imamen eher jüngere Menschen ansprechen, die ja auch eher in Österreich geboren sind als Senior:innen. Zwar erfolgen Moscheegründungen in der Regel immer noch nach sprachlichen oder ethnischen Linien, die Moscheebesucher:innen seien aber oft schon diverser.
Kommunikation nach Außen
Die Forscherin plädiert auch dafür, die "oft unsichtbare" Arbeit von Frauen in den Gemeinden sichtbarer zu machen - auch, um diese nicht zu verlieren. "Am erfolgreichsten sind die Gemeinden, die alle ansprechen", sagt sie.
Bei der Fachtagung in Wien hatte sie den Eindruck, damit auf offene Ohren zu stoßen. Es seien auch Stimmen aus der sozialen Arbeit, der Seelsorge zu Wort gekommen, progressive und konservativere Stimmen. "Eine gute Mischung", sagt sie.
Am erfolgreichsten sind die Gemeinden, die alle ansprechen.
Die Tagung war aber nicht nur Überzeugungsarbeit nach Innen. Die geplante Akademie braucht auch eine Finanzierung - und da käme auch die Politik ins Spiel. "Die IGGÖ hat erste Kalkulationen erstellt und Gespräche mit den zuständigen Ministerien geführt. Der Finanzbedarf würde durch Studiengebühren, Beiträge der IGGÖ und ihrer Kultusgemeinden sowie durch staatliche Förderungen gedeckt werden", so die Glaubensgemeinschaft.
Zunächst heißt es aber wohl noch Warten auf die nächste Regierung. Die ÖVP ließ in den Koalitionsgesprächen mit der Forderung nach einem "Verbotsgesetz für den politischen Islam" aufhorchen. Abzuwarten bleibt, was dies für die IGGÖ bedeuten würde. Man zeigte sich jedenfalls alarmiert: Es bestehe die Gefahr, "Menschen anhand unklarer und ungenauer Kriterien potenziell kriminalisieren zu können".
Nachgefragt bei: Rudolf Mayer und Kenan Güngör
Zusammenfassung
- Die Islamische Glaubensgemeinschaft Österreich (IGGÖ) hat seit 12 Jahren das Ziel, Imame in Österreich auszubilden, jedoch sind die meisten der 200 bis 250 Prediger im Ausland geschult.
- Eine Fachtagung in Wien diskutierte die Anforderungen an Imame, darunter die Einbindung von Frauen und Jugendlichen sowie die Notwendigkeit einer praxisnahen Ausbildung.
- Kritik kommt von Professor Ednan Aslan, der die IGGÖ als von politischen Interessen beeinflusst sieht und nicht glaubt, dass die Gemeinden Interesse an in Österreich ausgebildeten Imamen hat.
- Es gibt laut IGGÖ aber auch andere Gründe für die Ablehnung der bestehenden Studien: Viele Studierende entscheiden sich für den religionspädagogischen Bereich, da er bessere Jobaussichten bietet, während die Praxis als unzureichend angesehen wird.
- Die geplante Imame-Akademie soll durch Studiengebühren, IGGÖ-Beiträge und staatliche Förderungen finanziert werden, um authentisches Wissen zu vermitteln und als Brückenbauer zu wirken.