VfGH prüft Verbot: Was, wenn Cannabis legal wäre?
Nach der Individualbeschwerde eines 26-Jährigen, der mit einem Joint erwischt worden war, prüft das österreichische Höchstgericht das Cannabis-Verbot. Dabei waren die Reaktionen in Österreich schon nach der Ankündigung der neuen deutschen Bundesregierung, Cannabis teilweise legalisieren zu wollen, durchwegs ablehnend.
Konkret soll in Deutschland die "kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften" ermöglicht werden. Einen genauen Fahrplan gibt es noch nicht, aber in Österreich zeigte man sich besorgt: "Ein sehr, sehr gefährliches Experiment" nannte ein Drogenfahnder des österreichischen Bundeskriminalamts das deutsche Vorhaben. Von einem "völlig falschen Signal zum völlig falschen Zeitpunkt", sprach der damalige ÖVP-Sicherheitssprecher und jetzige Innenminister Gerhard Karner.
"Die Frage einer generellen Cannabislegalisierung in Österreich stellt sich derzeit nicht", fasste Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) die Situation schließlich zusammen. Es gibt wohl andere Prioritäten, politisch scheint eine Liberalisierung hierzulande derzeit schlicht nicht realistisch zu sein. Vielleicht bringt der Verfassungsgerichtshof wieder Wind in die Debatte.
Aber was würde eigentlich passieren, wenn Cannabis legal wäre?
"Die Welt würde nicht untergehen", ist sich Rainer Schmid, Toxikologe und wissenschaftlicher Leiter der Drogenberatungsstelle "checkit!", sicher. Es komme aber darauf an, welche Aspekte man betrachte und wie die gesetzliche Regelung genau aussehen würde (einen Überblick finden Sie unten).
Dass nichts passieren würde, wäre übertrieben, aber es würde auch nichts Dramatisches passieren, so Schmid im PULS 24 Interview. Es würde also wahrscheinlich nicht der sofortige Weltfrieden eintreten, wie von manchem Kiffer propagiert. Es würden aber auch nicht das gesamte Erwerbsleben zum Erliegen kommen und Drogenkartelle die Macht übernehmen.
Enormes Wirtschaftspotenzial
Im Gegenteil: Das Düsseldorfer Institut für Competition Economics (DICE) hat kürzlich errechnet, dass Deutschland durch die Freigabe von Cannabis pro Jahr 4,7 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen könnte. Im Anbau, Transport, Vertrieb und rund um die Suchtprävention könnten etwa 27.000 neue Jobs entstehen, so die Studie. Mit einer Steuer von 4,5 Euro pro Gramm würde der Staat im Jahr 1,8 Milliarden einnehmen, dazu kommen Gewerbe- und Umsatzsteuern in Höhe von rund 735 Millionen Euro. Der Rest ergebe sich durch Einsparungen bei der Strafverfolgung. Kanada nahm im ersten halben Jahr nach der Legalisierung (im Oktober 2018) 132 Millionen Dollar an Steuern ein.
Mehr Konsumenten?
Ein großer Markt entsteht: Insgesamt würde die Zahl der Cannabis-Konsumenten nach einer Legalisierung wahrscheinlich steigen. In Kanada hat sich die Anzahl der Erstkonsumenten vom ersten Quartal 2018 zum ersten Quartal 2019 nahezu verdoppelt.
Auch insgesamt ist die Zahl der Konsumenten leicht gestiegen: 2018 gaben 22 Prozent der Befragten an, in den letzten 12 Monaten Cannabis konsumiert zu haben, 2020 27 Prozent. Den größten Anstieg gab es bei den Senioren im Alter von 65-plus. Bei Jugendlichen stieg der Konsum dafür weniger stark. Daran, wie viele Menschen täglich oder mehrmals im Monat Cannabis konsumieren, hat sich laut Statistischem Amt seit 2018 aber kaum etwas verändert.
Im US-Staat Columbia scheint die Zahl der kiffenden Jugendlichen nach der Legalisierung sogar abgenommen zu haben - dort scheinen es hingegen eher die erwachsenen Studenten zu sein, die gerne zum Joint greifen.
Auf die Zahl der Konsumenten dürfte also nicht nur das Gesetz Einfluss haben. Ein Blick auf UN-Daten zeigt, dass in manchen Staaten mit strengen Drogengesetzen viel Cannabis konsumiert wird und dafür in manchen Staaten mit liberalen Gesetzen weniger. Man könne außerdem nicht sagen, wie es ohne die liberaleren Gesetze weitergegangen wäre, schreibt die Europäische Bobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht. Und der Cannabis-Konsum steigt ohnehin weltweit an - ob legal oder illegal.
Schwarzmarkt könnte verschwinden
In Deutschland hofft man, durch die Legalisierung den Schwarzmarkt zurückdrängen zu können und Konsumenten nicht in die Illegalität zu drängen und dadurch Polizei und Justiz zu entlasten. Dass das vollständig glückt, gilt als unwahrscheinlich. Die Kosten können am Schwarzmarkt günstiger sein, weil Shops oft kostenpflichtige Lizenzen brauchen. Bei der Legalisierung würde es auch weniger auffallen, "wenn wo ein Pflanzerl steht", das nicht legal ist, sagt Rainer Schmid - der Schwarzmarkt könnte also sogar profitieren.
Auch in Kanada ist der illegale Verkauf nach der Legalisierung nicht verschwunden. Anfangs gab es zu wenig lizensierte Läden. Es kam zu Engpässen und die Konsumenten gingen erst recht zum Dealer ihres Vertrauens. Mittlerweile habe der legale Markt den illegalen Markt überholt, zeigen Zahlen des kanadischen Statistikamtes. Zahlen über einen Schwarzmarkt sind aber natürlich mit Vorsicht zu genießen - laut einer Studie der Universität Waterloo gab es im Jahr 2020 immer noch mehr illegale Verkäufer als legale.
Bei den illegalen Dealern kauften vermehrt Jugendliche ein. Ihre Motivation: Der billigere Preis, die größere Auswahl an Produkten und der höhere THC-Gehalt (Tetrahydrocannabinol ist der psychoaktive Stoff in Cannabis). Um legal Cannabis kaufen zu können, muss man in Kanada 19 Jahre alt sein, am Schwarzmarkt gibt es klarer Weise keinen Jugendschutz.
Keine Auswirkung auf die Kriminalität
Befürworter einer Legalisierung hoffen, dass durch die Legalisierung die Beschaffungskriminalität wegfällt - also jene Straftaten wie etwa Diebstähle, die Süchtige begehen, um an Geld für Drogen zu kommen. "Wenn etwas permanent verfügbar ist, muss ich nicht permanent versuchen, es zu kriegen", ist auch Schmid überzeugt. Die teureren Preise am legalen Markt sprechen dagegen.
Aber ein Blick auf die Statistiken lässt an einem Zusammenhang von Cannabis-Konsum und Kriminalität überhaupt zweifeln: Während in Kanada die Kriminalität nach der Legalisierung leicht angestiegen ist, war es in manchen US-Bundesstaaten nach der Legalisierung andersrum. Das US-Justizdepartment fand in einer Studie gar keinen Zusammenhang zwischen Legalisierung und Kriminalität.
Qualität "wie in der Vinothek"
Der Cannabismarkt in Österreich wird laut Rainer Schmid derzeit mit "extrem hochpotenten" Sorten (mit hohem THC-Gehalt) geflutet. Um die hohen Werte zu erreichen, werden oft synthetische Cannabinoide eingesetzt. Das sei gefährlich, weil die Dosierung nicht klar sei und die Gefahr von Psychosen steige, sagt der Experte. Auf einem regulierten Markt würde es Qualitätskontrollen und eventuell vorgeschriebene Höchstwerte beim THC geben. Die Qualität des Cannabis würde also steigen und damit das Gesundheitsrisiko sinken.
Schmid glaubt, dass durch Beratungen über verschiedene Sorten und Wirkungen in den Shops auch für die Kunden selbst Qualität wichtiger werden würde. "Die Leute fragen sich, was sie wollen [...] wie in einer Vinothek".
"Prohibition verhindert Prävention"
Generell ist das Thema Beratung und Aufklärung ein springender Punkt, wenn es um Legalisierung geht, sagt Schmid: "Prohibition verhindert Prävention" und "Prohibition ist keine Prävention", ist er überzeugt. Wäre Cannabis nicht mehr illegal, könnte man offener darüber reden und müsse sich nicht verstecken.
Das scheint man auch bei der Wiener Suchthilfe so zu sehen: Dass in Österreich im Gesetz bei verschiedenen Drogen nicht ausreichend hinsichtlich ihres "körperlichen und sozialen Schadenspotenzials" unterschieden werde, sorge für "Schwierigkeiten in der Nachvollziehbarkeit und dem notwendigen Vertrauen in der Beratungstätigkeit", teilt eine Sprecherin auf PULS 24 Anfrage mit. Betroffene würden dadurch oft "langfristige, gravierende Konsequenzen" wie etwa Stigmatisierung oder Einschnitte in der Biografie erleiden, wenn sie Beratungen aufsuchen oder wegen ihres Konsums bestraft werden. Die Wiener Suchthilfe betont aber, dass zwischen "Regulierung" und "Legalisierung" ein Unterschied sei: "Völlige Legalisierung oder völliges Verbot sind selten zielführend".
Gefahren durch Cannabis
Denn der Konsum von Cannabis birgt natürlich auch Gefahren. "Klar ist, dass es passieren kann, die Kontrolle über den Konsum teilweise oder ganz zu verlieren, wenn Cannabis über eine längere Zeit sehr häufig konsumiert wird", heißt es von der Suchthilfe. Man kann eine Abhängigkeit entwickeln.
Zudem besteht die Gefahr von psychischen Erkrankungen und Psychosen, was laut Schmid von Alter, Gesundheitszustand, der Persönlichkeit und dem Konsumverhalten abhänge. Aber auch damit zu tun habe, dass wegen des Verbots nicht genug darüber geredet werde und die Betroffenen daher nie gelernt hätten, mit der Droge umzugehen.
Weniger härtere Drogen?
Dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei und zum Konsum von härteren Drogen führe, bestreitet Rainer Schmid. Harte Drogen werden auch konsumiert, wo Cannabis nicht legal ist - die Persönlichkeit, das Umfeld und die Risikobereitschaft einer Person würden da eher ausschlaggebend sein.
Die Daten sind widersprüchlich: In den US-Staaten Oregon und Colorado stieg der Kokainkonsum nach der Legalisierung von Cannabis leicht an, in Washington und Alaska entsprechen die Zahlen aber dem landesweiten Trend. Auch bezüglich Alkoholkonsum gibt es noch keine aussagekräftigen Daten.
Offene Fragen
Noch ist nicht geklärt, wie die Legalisierung in Deutschland genau aussehen wird - Altersgrenzen, THC-Obergrenzen oder Werte für den Straßenverkehr müssen erst festgelegt werden und für Österreich wird vor allem interessant, ob auch Ausländer in Deutschland Cannabis kaufen werden dürfen. Nur eines ist für den Experten Rainer Schmid jetzt schon sicher: Durch eine Legalisierung "werden Probleme aufpoppen", doch die Probleme gebe es jetzt auch, nur halt versteckt. Die Welt wird im Ganzen wohl kein besserer Ort - für einzelne Konsumenten aber vielleicht etwas unkomplizierter.
Wolfgang Ainetter spricht mit PULS 24 über die Ampel-Koalition in Deutschland und die Koalitionsvorhaben von SPD, FDP und Grünen.
Übersicht über die gesetzlichen Regelungen in ausgewählten Ländern
Kanada
In Kanada ist der Besitz von Cannabis seit dem 17. Oktober 2018 weitgehend legalisiert. Personen ab 19 Jahren (in der Provinz Alberta ab 18 Jahren, in Quebec ab 21 Jahren) dürfen außerhalb der eigenen Wohnung bis zu 30 Gramm Cannabis mitführen und dieses in staatlich lizenzierten Geschäften oder über das Internet beziehen. Für gewöhnlich ist der Konsum von Cannabis überall da erlaubt, wo auch Tabakprodukte geraucht werden können.
USA
In den USA haben neunzehn Bundesstaaten inklusive Washington D. C. Cannabis für den Freizeitgebrauch legalisiert. Zusätzlich wird in 36 der 50 Bundesstaaten Cannabis zu medizinischen Zwecken eingesetzt.
Uruguay
Uruguay war 2013 das erste Land der Welt, das den medizinischen und den Freizeitkonsum von Cannabis legalisierte. Das Gesetz erlaubt es Erwachsenen ab 18 Jahren, bis zu 10 Gramm pro Woche in ihrer Apotheke zu kaufen.
Israel
In Israel ist der Konsum nur für medizinische Zwecke mit ärztlichem Rezept erlaubt. Auf den Besitz von bis zu 15 Gramm stehen bis zu drei Jahre Gefängnis, für größere Mengen gilt eine Maximalstrafe von 20 Jahren.
Niederlande
In den Niederlanden ist Cannabis grundsätzlich illegal, wird jedoch, bis zu einer Menge von 5 Gramm, geduldet. Der Besitz geringer Mengen ist straffrei und Cannabisprodukte dürfen unter bestimmten Bedingungen in sogenannten Coffeeshops verkauft werden.
Portugal
Portugal hat im Jahr 2001 den Konsum aller Drogen – auch Heroin und Kokain – entkriminalisiert. Der Besitz geringer Mengen zum Eigenverbrauch wird nicht mehr als eine Straftat angesehen. Es ist eine schlichte Ordnungswidrigkeit, wie etwa Falschparken. Als begrenzter Konsum gelten zehn Tagesrationen. Die jeweilige Menge dafür wurde im Gesetz genau bestimmt. Wer bis zu 25 Gramm Marihuana, bis zu zwei Gramm Kokain, bis zu einem Gramm Heroin oder Crystal, bis zu zehn LSD- und Ecstasy-Pillen besitzt, dem droht keine Strafe. Wer mit größeren Mengen erwischt wird, gilt als Dealer und wird nach dem Strafrecht entsprechend bestraft. Bei kleineren Mengen muss man aber zur Beratung zu einer Kommission aus einem Juristen, einem Psychologen und einem Sozialarbeiter, die das Suchtverhalten mit einem besprechen.
Tschechien
In Tschechien wird der Besitz von bis zu 10 Gramm Marihuana nicht strafrechtlich verfolgt, sondern nur mit einer Geldstrafe bis zu 570 Euro geahndet. Auch diverse härtere Drogen sind in genau spezifizierten Mengen entkriminalisiert worden. Der private Anbau von bis zu fünf Cannabis-Pflanzen pro Person zur Deckung des Eigenbedarfes ist nun nicht mehr strafbewehrt, sondern zieht allenfalls noch eine Geldbuße von bis zu 600 Euro oder die Ableistung von Sozialstunden nach sich. Seit 2013 ist Cannabis auch für medizinische Zwecke freigegeben.
Schweiz
In der Schweiz wird Cannabis ab nächstem Jahr in Pilotprojekten legal verkauft. Schon vor einem Jahr wurde das Betäubungsmittelgesetz angepasst. Nun beginnen bald in mehreren Großstädten Pilotprojekte, bei denen Cannabis zu Genusszwecken verkauft wird. Parallel will das Parlament das Verbot von Cannabis aufheben und arbeitet daran, Anbau, Handel und Konsum neu zu regeln.
Luxemburg
Luxemburg stellte kürzlich seine Pläne vor, den Anbau von Cannabis in kleinerem Maßstab für den Eigenbedarf zu erlauben. Demzufolge sind künftig daheim und pro Haushalt bis zu vier Cannabispflanzen erlaubt. Der Besitz und der Konsum von Cannabis in der Öffentlichkeit bleiben aber weiterhin verboten.
Österreich
Das österreichische Suchtmittelgesetz ist kompliziert. Der Erwerb und der Besitz, die Ein- und Ausfuhr, das Anbieten, die Überlassung an und Verschaffung für andere und der Anbau von Cannabis ist verboten. Selbst bei kleinen Mengen oder dem Konsum von kleinen Mengen erstattet die Polizei eine Anzeige. Betrifft die Straftat den eigenen persönlichen Gebrauch, wird die Anzeige von der Staatsanwaltschaft zurückgelegt und unter Setzung einer Probezeit nicht weiterverfolgt. Es kann sein, dass man in dieser Zeit regelmäßig Harntests abgeben muss. Auch für den medizinischen Gebrauch ist Cannabis nicht zugelassen bzw. nur sehr schwer zugänglich.
Deutschland
Das deutsche Betäubungsmittelgesetz sieht vor, dass Behörden den Besitz einer geringfügigen Menge von Betäubungsmitteln, die für den persönlichen Konsum bestimmt sind, nicht strafrechtlich verfolgen müssen, außer es handelt sich um Fälle von öffentlichem Interesse, also dem Konsum in der Öffentlichkeit, vor Minderjährigen oder in einer öffentlichen Schule oder einem Staatsgefängnis. Die Definition von "geringfügiger Menge" variiert von bis zu 6 Gramm Cannabis in den meisten Bundesländern bis zu 15 Gramm Cannabis in Berlin. Seit 2017 ist die medizinische Anwendung von Cannabis für schwerkranke Patienten erlaubt.
Zusammenfassung
- Die deutsche Ampel-Koalition plant die "kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene". Die ersten Reaktionen in Österreich auf die Vorhaben im Nachbarland waren durchwegs ablehnend. Nun muss sich der Verfassungsgerichtshof damit beschäftigen. Aber was würde eigentlich passieren, wenn Cannabis legal wäre?