Verachtet, verhaftet, vergöttert: Reaktionen auf den Tod von Hermann Nitsch
Blut-Schütt-Aktionen und sein Orgien-Mysterien-Theater haben Hermann Nitsch, der am Montag 83-jährig verstorben ist, zu internationalem Weltruhm verholfen. In der Anfangszeit seines Schaffens wurde seine Kunst in Österreich ganz und gar nicht goutiert. In den frühen 1960er-Jahren lag der Künstler im ständigen Klinsch mit den Behörden. Nach mehrwöchigen Gefängnisaufenthalten zog Nitsch 1968 zwischenzeitlich sogar nach Deutschland.
Nitsch selbst sagte 2018: "Ich habe viel Freude erfahren mit meiner Arbeit, auch viel Anerkennung gefunden, wurde aber leider auch sehr angefeindet." Schon zehn Jahre davor sprach er in einem Interview über die Intensität in seinem Werk: "Natürlich hat man durch den Widerstand gemerkt, dass da eine Kraft drinnen steckt. Insofern war es schon auch eine Bestätigung, dass es solche Reaktionen hervorruft. Aber mein Werk hat diesen Widerstand nie gebraucht, nie eine Kritik nötig gehabt."
"Es ist das Werk, das weiterlebt"
Michael Karrer, der Künstlerische Leiter des Nitsch Museums in Mistelbach, spricht im Interview mit PULS 24 Anchor Daniel Retschitzegger über den Tod des Künstlers Hermann Nitsch.
Mit der heftigen Kritik machte Nitsch im Laufe seines Lebens seinen Frieden. "Ich habe mein ganzes Leben lang Buhs bekommen. Ich wäre traurig gewesen, wäre das nicht der Fall gewesen. Dann hätte ich wirklich gemerkt, dass ich alt geworden bin. Das ist wie ein Gewürz bei einer guten Speise", kommentierte er noch 2021. Mit Begriffen wie "Heimat" habe er aber nicht viel anfangen können, so Nitsch 2008, Lokalpatriotismus sei ihm lieber.
Aber schon 1971 kaufte Nitsch das niederösterreichische Schloss Prinzendorf und machte es zum Ort seines Schaffens, 1984 bekam er mit dem Österreichischen Kunstpreis die erste große Ehrung im Inland. Zu der Zeit war er international schon hochverehrt. In Mistelbach eröffnete 2007 das Nitsch-Museum. Nach seinem Tod wird der einstige "barbarische Blutkünstler", gegen den Tierschützer und rechte Politiker einst aufmarschierten, als großer Sohn Österreichs geehrt.
Van der Bellen: "Sein Werk wird weiterleben"
"Sein Wirken ließ niemanden kalt", schreibt deshalb auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen als Reaktion auf das Ableben Nitschs. "Mit ausdrucksstarken Bildern und Aufsehen erregenden Aktionen hat er die heimische Kunstwelt neu definiert. Nun ist der Großmeister des Aktionismus von uns gegangen: Hermann Nitsch ist tot", so Van der Bellen. Die heimische Kunst sei um eine ihrer auch international bedeutendsten Persönlichkeiten ärmer. "Konsequent hat Hermann Nitsch über Jahrzehnte hinweg an seinem kultischen Stil gearbeitet, seine Werke und sein Wirken haben niemanden kaltgelassen. Österreich trauert um einen unbestechlichen und faszinierenden Maler und einen beeindruckenden Menschen. Sein Werk wird weiterleben, dessen bin ich mir gewiss."
https://twitter.com/vanderbellen/status/1516318365379399680
Mikl-Leitner: "Unglaublich stolz"
"Wir waren und sind unglaublich stolz, dass er eine so tiefe Verbindung zu Niederösterreich hatte und bei uns in Prinzendorf ein Zuhause gefunden hat. Denn Hermann Nitsch war nicht nur ein großartiger Botschafter unseres Landes in der ganzen Welt, sondern auch eine ganz große Persönlichkeit, die gerne in unserem Land gelebt und unserem Land viel gegeben hat", kondoliert Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. "Seine Werke waren und sind in den berühmtesten Museen der Welt zu sehen", so die Landeshauptfrau. Mit dem Nitsch-Museum in Mistelbach habe das Land Niederösterreich "diesem großartigen Universalkünstler ein bleibendes Denkmal gesetzt. NÖ hat damit weltweit im zeitgenössischen Kunstgeschehen für Aufmerksamkeit gesorgt."
Mayer: "Standhaftigkeit trotz aller Kritik"
"Heute hat uns ein wahrhaft einzigartiger Künstler verlassen", kommentierte Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer den Tod des Aktionskünstlers. "Seine vielfältige Auseinandersetzung mit Kunst, Ästhetik, Religion und Philosophie hat Hermann Nitschs Werk förmlich durchzogen. Seine Großformate ziehen Menschen in ihren Bann wie es kaum andere Kunstwerke können. Mit den Orgien-Mysterien-Spielen hat Nitsch außerdem die Grenzen des Kunstschaffens neu definiert. Was mich persönlich an Nitsch beeindruckt hat, ist seine Durchsetzungskraft und seine Standhaftigkeit trotz aller Kritik, die ihm vor allem zu Beginn entgegengeschlagen ist", so Mayer. "Meine Gedanken sind heute bei seiner Frau Rita, seiner Familie und seinen Freunden."
"Er war nicht nur in seinen eigenen Augen, sondern auch in denen von uns Rezipientinnen und Rezipienten mehr als nur ein Maler. Nitsch war ein Gesamtkünstler zwischen Aktionismus, Ritus, Mysterium und Literatur", sagt die Kultursprecherin der Grünen, Eva Blimlinger. ÖVP-Kultursprecherin Maria Großbauer würdigte Nitsch als "Künstler von internationalem Format – wegweisend, innovativ, tiefgründig, umstritten, weltoffen und gleichzeitig tief verwurzelt in seine österreichische Heimat. Wir trauern um einen beispielgebenden Künstler und Menschen".
SPÖ würdigt "Tabubrecher"
SPÖ-Kultursprecherin Gabriele Heinisch-Hosek ehrt den Künstler als "Tabubrecher" und radikalen Avantgardisten. "Als einer der Mitbegründer des Wiener Aktionismus ist er auch zum international bedeutendsten Vertreter dieser wichtigsten Kunstbewegung im Österreich der Nachkriegszeit geworden. In diesem Nachkriegs-Österreich hat Nitsch polarisiert, Grenzen verschoben aber schlussendlich durch den internationalen Erfolg auch in Österreich die verdiente Anerkennung bekommen."
Die NEOS würdigen den Verstorbenen durch Kltursprecherin Julia Seidl. "Ich habe Nitsch durch seine Arbeiten immer als einen durch und durch mutigen Menschen wahrgenommen. Ein Künstler, der sich von nichts und niemandem abbringen ließ, mit seinen Arbeiten die Menschen emotional zu berühren und aufzuwühlen, zu begeistern und zu provozieren und damit zum Nachdenken anzuregen. Seine Arbeiten haben auch in mir viel Kontroverses ausgelöst. Gefühle, die ich oft schwer einordnen konnte, die jedoch nachhaltig wirken. Er hat etwas Einzigartiges für die Ewigkeit geschaffen."
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Ludwig: Verlust für heimische Kulturszene
Nitsch wurde in Wien geboren. Darauf bezieht sich Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) in seinen Abschiedsworten. Sein Tod sei ein großer Verlust für die heimische und internationale Kulturszene. "Nitsch wurde in Wien geboren und war Mitbegründer einer der wichtigsten avantgardistischen Kunstströmungen, des 'Wiener Aktionismus'. Ihn bloß als bedeutenden Maler zu bezeichnen, wäre ganz falsch, hatte er doch immer das Gesamtkunstwerk, bestehend aus Malerei, Musik, Theater und Performance, im Auge. Und er war als unverwechselbares Künstler-Original auch immer selbst Teil dieses Gesamtkunstwerks."
Auch Ludwig bezog sich um die umstrittenen Anfänge des Künstlers. "Zunächst als 'Blutkünstler' bekämpft und angefeindet, schaffte es Nitsch durch Konsequenz und Hartnäckigkeit, aber auch durch die große Vielfalt seiner Kunst – so inszenierte er am Wiener Burgtheater und an der Wiener Staatsoper und stattete in Bayreuth die 'Walküre' aus - zu einem der weltweit wichtigsten Künstler unserer Stadt und unseres Landes zu werden."
https://twitter.com/k_edtstadler/status/1516322956267470848
EU-Ministerin Karoline Edtstadler lobt den Verstorbenen als "Leuchtturm der österreichischen Gegenwartskunst".
Albertina-Direktor: "Gigant der Kunst"
Großes Bedauern empfinde Klaus Albrecht Schröder laut einer Aussendung: "Mit Hermann Nitsch verliert Österreich einen der größten Künstler unserer Zeit. Sein beispielloser Einfluss reicht weit über die Grenzen unseres Landes hinaus. Nitschs ästhetische Vision mündete früh in die Idee des Gesamtkunstwerks. Damit hat Hermann Nitsch die Kunst nicht nur revolutioniert, sondern auch die Tore zur Aktion, zur Performance, schließlich zum modernen Weihespiel des Orgien-Mysterien-Theaters geöffnet."
Zusammenfassung
- Hermann Nitsch, österreichischer Künstler von Weltrang, ist verstorben. Früher scharf kritisiert und sogar inhaftiert, hat die Politik schon längst ihren Frieden mit dem Aktionisten gemacht. Vom Bundespräsidenten abwärts werden seinem Wirken und Nitsch selbst posthum Rosen gestreut.