Fall Kellermayr
"Volkstribunal"-Drohung ist wichtiges "Puzzlestück"
Auch am dritten Tag im Prozess gegen 61-jährigen Deutschen, der die oberösterreichische Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr bedroht und damit ihren Suizid mitverursacht haben soll, drehte sich alles um das Opfer.
Der Angeklagte, er erschien wieder mit dunkler Sonnenbrille und Haube, schwieg abermals den gesamten Prozesstag. Seine Aussage vor Gericht hatte er am ersten Prozesstag schon verweigert. Er ließ nur ein Statement verlesen.
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Ab und zu nickte er, meist schaute er emotionslos den zahlreichen Zeug:innenaussagen zu. Hin und wieder machte er sich Notizen auf einem Block und überreichte diese seinen Anwält:innen.
Der größte Teil des Prozesses drehte sich jedoch nicht um ihn, sondern um Dr. Kellermayr. Um ihre Geschichte, ihr Leben, ihre Krankheiten, ihren Tod.
Angst vor dem "Lynchmob"
Der Angeklagte aus Bayern soll sie in Mails und auf Twitter bedroht haben. Vor ein "noch einzurichtendes Volkstribunal" wollte er sie mutmaßlich stellen und er schrieb: "Wir beobachten Sie".
Eine Bekannte, die am Dienstag als Zeugin aussagte, meinte, dass auch diese Nachrichten bei Kellermayr "schwerste Angstzustände" ausgelöst hätten. Sie hätte sich im Umfeld des Angeklagten einen "Lynchmob" vorgestellt. Dass der Mann aus Bayern, also aus der Nähe von Seewalchen, kommt, habe die Angst noch verstärkt.
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Dass er die Mails verfasst hat, bestreitet der Angeklagte laut seinen drei Anwält:innen gar nicht. Er habe Angst vor der Corona-Impfung gehabt. Kellermayr habe sich öffentlich für die Impfung eingesetzt. Er bestreitet aber, dass er den Suizid mitverursacht hätte.
Hilfe in Krisensituationen
Sind Sie in einer Krisensituation? Hier finden Sie Hilfe:
- Telefonseelsorge: 142 (Notruf), täglich 0–24 Uhr, online unter www.telefonseelsorge.at
- Sozialpsychiatrischer Notdienst/PSD: 01/31330, täglich 0–24 Uhr, online unter www.psd-wien.at
- Rat auf Draht: 147. Beratung für Kinder und Jugendliche. Anonym, täglich 0–24 Uhr, online unter www.rataufdraht.at
- Kindernotruf: 0800 567 567, Beratung bei persönlichen Krisen. Anonym, täglich 0-24 Uhr www.bittelebe.at
- Suizidprävention auf www.gesundheit.gv.at/leben/suizidpraevention
Entscheidend könnte diesbezüglich das Gutachten des bekannten Psychiaters Peter Hofmann sein. Er sagte am Dienstag vor Gericht aus. Suizide seien niemals monokausal und komplex, führte der Sachverständige aus.
"Die Frau hat wirklich Angst gehabt"
Kellermayr habe etwa Depressionen, ein Leben lang Schmerzen in der Halswirbelsäule, Persönlichkeitsstörungen und am Ende finanzielle Probleme gehabt, führte der Psychiater aus. Am Ende stand aber die Angst über allem, sagte er sinngemäß. Die Angst, dass ihr oder ihren Mitarbeiter:innen jemand etwas antue.
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"Die Frau hat wirklich Angst gehabt und hat versucht, sich zu schützen", so Hofmann. Die Umbauten in ihrer Ordination seien "keine Inszenierung" gewesen.
Anwältin Sonja Fasthuber im Interview
Ein "Puzzlestein" für diese Angst sei der Angeklagte gewesen. Den Hauptanteil habe sicher ein noch nicht ausgeforschter Darknet-User namens "Claas" gehabt, der explizite Mord- und Folterfantasien verschickte.
Drohung spielte "sehr wahrscheinlich" eine Rolle
Doch der Angeklagte, den Kellermayr in ihrem Abschiedsbrief erwähnte, habe "sehr wahrscheinlich" eine Rolle beim Suizid der Ärztin im Juli 2022 gespielt, so Hofmann.
Den Anteil zu quantifizieren wäre unseriös, das müsse das Gericht entscheiden. Doch der Angeklagte habe für Kellermayr eine große Rolle gespielt: "Volkstribunale" kommen von den Reichsbürgern und die seien bedrohlich, so Hofmann.
Und der Psychiater warf eine spannende Frage auf: Der Angeklagte habe laut ihm zwar nicht damit rechnen müssen, dass Kellermayr wegen seiner Nachrichten Suizid begehe. Doch man könnte von vernünftigen Menschen erwarten, dass sie bedenken, dass ihr Gegenüber nicht gesund sein könnte, sagte er sinngemäß.
Der Rat, sich zurückzuziehen
Weitere Zeug:innenbefragungen zeigten hingegen auch am dritten Prozesstag, dass viele dem Opfer, also Kellermayr, rieten, sie solle sich doch aus der Öffentlichkeit zurückziehen.
Das bestätigten etwa ein weiterer Beamter des Landesverfassungsschutzes, aber auch Personen aus der Ärztekammer.
Deren oberösterreichischer Präsident, Peter Niedermoser, beteuerte zwar, dass man Kellermayr helfen habe wollen. Man habe ihr Rechtsschutzberatung und finanzielle Hilfe angeboten und auch Kosten für die Sicherheit ihrer Ordination übernommen. Er habe der Ärztin aber auch geraten, pragmatisch zu handeln und sich etwas zurückzunehmen.
Am Mittwochnachmittag wird in dem Prozess ein Urteil erwartet. Dem Angeklagten drohen bis zu zehn Jahre Haft. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Der Liveblog zum Nachlesen:
Fall Kellermayr - Dritter Prozesstag
Zusammenfassung
- Der Prozess gegen einen 61-jährigen Deutschen, der die oberösterreichische Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr bedroht haben soll, wird fortgesetzt.
- Der Angeklagte, der die Drohungen verfasst hat, bestreitet, für den Suizid von Kellermayr im Juli 2022 verantwortlich zu sein.
- Der Psychiater Peter Hofmann betont, dass Suizide komplex sind und der Angeklagte eine Rolle gespielt haben könnte.
- Kellermayr litt unter Depressionen, Schmerzen und finanziellen Problemen, die ihre Ängste verstärkten.
- Ein Urteil im Prozess wird am Mittwochnachmittag erwartet, dem Angeklagten drohen bis zu zehn Jahre Haft.