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Österreichs Gesundheitssystem "vollkommen ausgelastet"

Das Gesundheitssystem in Österreich ist wegen der Coronapandemie "jetzt vollkommen ausgelastet". Das sagte Susanne Rabady, Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin, am Samstag in Wien. Gelingt keine Trendumkehr, gäbe es bald "die Situation einer Triage", warnte Klaus Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin. Derzeit sind 567 von 2.000 Intensivbetten mit Corona-Patienten belegt.

Wenn der steigende Trend anhält, werde es immer schwieriger, "Patienten auf Intensivbetten zu bekommen, die sie brauchen", sagte Markstaller. Hier würde dann die Situation einer Triage eintreten, wo der Mediziner darüber entscheiden muss, welche Patienten intensivmedizinisch betreut werden. Wenn "das so weitergeht", werde dies in den "nächsten Tagen" eintreten.

Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich (GÖG), prognostizierte bereits für Mitte kommender Woche 700 intensivpflichtige Coronavirus-Erkrankte. Die Lage in den Spitälern spitzt sich weiterhin zu. "Wir wissen, dass einige Bundesländer bereits auf ihr Reservepotenzial zurückgreifen", sagt der GÖG-Geschäftsführer. Die weitere Zeit sei sehr schwer vorherzusehen, sagte Ostermann. "Wir wissen jedenfalls, die nächsten zwei, drei, vier Wochen werden für das Gesundheitssystem belastend", sagte er.

Markstaller verwies darauf, dass das Gesundheitssystem darauf ausgelegt ist, dass die Intensivbetten normalerweise immer zu 85 bis 90 Prozent belegt sind, weil Intensivmedizin eine "teure Ressource ist". Rund 2.000 Intensivbetten gibt es in Österreich, Schwankungen von zehn Prozent können bereitgestellt werden. Wenn allerdings mehr als ein Drittel der Betten mit Covid-19-Patienten belegt sind - derzeit sind es rund 27 Prozent - beginne die Triage. Dann werden die verfügbaren Betten an Patienten mit der besten Prognose vergeben. "Wenn mehr als 50 Prozent der Betten nicht mehr zur Verfügung stehen, haben wir eine veritable Gesundheitskrise", sagte Markstaller. Aber: Auch wenn jemand nicht auf die Intensivstation käme, werde er nicht vergessen.

Markstaller appellierte an die Bevölkerung, sich an die Maßnahmen zu halten. Einhaltung der Hygienerichtlinien und eine Reduktion der sozialen Kontakte sei unbedingt notwendig - im Interesse aller. "Die Maßnahmen sind unsozial", sagte Markstaller. Allerdings: "Es ist eine Situation, die temporär ist, begrenzt für eine Zeit - wir werden medizinische Lösungen finden". "Offensichtlich ist es nicht gelungen im Sommer, die Ernsthaftigkeit der Erkrankung rüberzubekommen", sagte der ÖGARI-Präsident. Das Virus sei hingegen tückisch und verbreite sich leicht.

Auch Rabady unterstrich die dramatische Situation. Man sei zwar so gut vorbereitet gewesen "wie man nur sein kann", aber das Gummiband würde irgendwann reißen. Sie wies auch darauf hin, dass Erkrankte andere Symptome haben als jene, die oftmals kommuniziert werden. Erste Anzeichen einer SARS-CoV-2-Infektion seien "Gliederschmerzen, Halskratzen, Krankheitsgefühl, Schwäche und Kopfschmerzen." Nicht mal die Hälfte der Infizierten huste oder habe Fieber, sagte Rabady. Verdachtsfälle müssten rasch getestet werden, forderte sie.

Sie äußerte auch die Sorge, dass Menschen nicht oder zu spät zum Arzt gehen, wenn sie krank sind. Auch Menschen mit chronischen Krankheiten müssen auf sich aufpassen, Kontroll- und Vorsorgeuntersuchungen auch in der jetzigen Situation wahrgenommen werden, forderte die Medizinerin.

Allerdings zeigte sie auch einen Hoffnungsschimmer auf: Die Pandemie werde - so wie jede zuvor - "vorübergehen". Daran hätte aber jeder Einzelne einen "großen Anteil" beizutragen: "Bitte atmen Sie nichts ein, was jemand anderer schon ausgeatmet hat - und tragen Sie Sorge, dass niemand einatmet, was Sie schon ausgeatmet haben", appellierte Rabady.

Gemessen an der Einwohnerzahl hat Österreich derzeit die höchste Rate an bekannten Covid-Neuinfektionen weltweit. Das zeigt eine Aufstellung der Datenplattform "Our World in Data". Im für Vergleiche üblichen 7-Tages-Schnitt liegt Österreich mit 831 Neuinfektionen pro Million Einwohner vor Georgien (781), der Schweiz (743) und Tschechien (674). Während die Schweiz und Tschechien ihre Neuinfektionen zuletzt einbremsen konnten, sind jene in Österreich seit Mitte Oktober ungebremst gestiegen.

Angesichts der hohen Auslastung der Krankenhäuser sowie der weiter steigenden Neuinfektionen und Todesfälle wird die Regierung am Samstag eine deutliche Verschärfung der Anti-Corona-Maßnahmen ankündigen. Der am 3. November in Kraft getretene, vergleichsweise milde zweite "Lockdown" konnte den Anstieg der Infektionen bisher nicht einbremsen. Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr - in Kraft getreten am 16. März - waren die Infektionen noch zwei Wochen lang gestiegen und ab April wieder zurückgegangen. Die Zahl der Todesfälle mit dem Coronavirus blieb vorerst weiter hoch und begann erst ab Mitte April wieder zu sinken.

Diesmal ist aber sowohl die Zahl der täglichen Neuinfektionen als auch die Zahl der mit einer Covid-19-Infektion Verstorbenen deutlich höher als im Frühjahr: Am 16. März wurden 159 neue Infektionen registriert (Stand 8.00 Uhr). Die meisten Todesfälle der "ersten Welle" gab es laut Daten der AGES am 6. April mit 31. Zum Vergleich: Am Freitag wurden fast 9.600 Neuinfektionen und 53 Todesfälle gemeldet.

ribbon Zusammenfassung
  • Das sagte Susanne Rabady, Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin, am Samstag in Wien.
  • Gelingt keine Trendumkehr, gäbe es bald "die Situation einer Triage", warnte Klaus Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin.
  • Wenn der steigende Trend anhält, werde es immer schwieriger, "Patienten auf Intensivbetten zu bekommen, die sie brauchen", sagte Markstaller.