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Neuer ME/CFS-Leitfaden und Ruf nach besserer Versorgung

Ein neuer Leitfaden der MedUni Wien soll für eine bessere Versorgung von Betroffenen der Multisystemerkrankung ME/CFS sorgen. Geboten werden klare Ansatzpunkte zu Diagnostik, Krankheitsmanagement und Therapieansätzen sowie zu Versorgungsangeboten und Pflege. Bei der Vorstellung des Leitfadens im Rahmen eines Symposiums am Freitag wurden auch Forderungen an die Politik erhoben, etwa nach mehr Forschungsförderung sowie sozialer und medizinischer Versorgung der Betroffenen.

Der Praxisleitfaden mit dem Titel "Care for ME/CFS" wurde vom Team der Immunologin Eva Untersmayr-Elsenhuber (Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der MedUni Wien) gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS (ÖG ME/CFS) entwickelt. Genutzt wurde dabei auch die Erfahrung von Betroffenen. Ziel ist, eine Grundlage für eine ME/CFS-gerechte Versorgungssituation schaffen. Kostenfrei online abrufbar ist das Dokument unter https://go.apa.at/YbAe2YSb (am EU Research Repositorium Zenodo).

Die Autoren weisen darauf hin, dass ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) zu Störungen und Dysregulationen im Immunsystem, dem autonomen Nervensystem, dem Gefäßsystem und im zellulären Energiestoffwechsel führt. Als Auslöser gelten meist virale und bakterielle Infekte, wie auch Kathryn Hoffmann vom Zentrum für Public Health/Abteilung für Primary Care der MedUni Wien beim Symposium ausführte.

Untersmayr-Elsenhuber wies in ihrem Vortrag auf die schwierige Versorgungslage der Betroffnen hin. Bei dem Projekt - das auf der Befragung von mehreren hundert von ME/CFS Betroffenen im D-A-CH-Raum basiert (sowie deren Angehörigen und medizinischem Personal) - habe man gesehen, dass jene Betroffene, die an einer hohen Krankheitslast und einer starken funktionalen Einschränkungen leiden, die Anbindung zum österreichischen Gesundheitssystem verlieren. Unter anderem mangle es an Versorgungsstrukturen, die auf die Bedürfnisse der Betroffenen eingehen und deren Belastungsproblematik berücksichtigen.

Nötig wären etwa mehr telemedizinische Betreuung sowie das Angebot von Hausbesuchen. Aber auch bei der stationären Betreuung müsse Rücksicht genommen werden, etwa auf die hohe Reizempfindlichkeit der Betroffenen (z.B. bezüglich Licht oder Geräusche) - etwa durch gedimmtes Licht oder separate Warteräume. Neben einem nachhaltigen Aufbau von Wissen und Expertise brauche es auch finanzielle Unterstützung für die Forschung sowie soziale Absicherung für die Patientinnen und Patienten sowie spezialisierte Pflegeplätze für schwer Betroffene. Als wesentlichen Punkt bezeichnete sie auch die Aufklärung der Öffentlichkeit über die Erkrankung.

Als Zeichen für den Mangel an vorliegender Expertise im Versorgungsbereich nannte die Expertin die hohe durchschnittliche Diagnosedauer von fünf Jahren. Besonders erschreckend sei die Veränderung der Erwerbsfähigkeit von Betroffenen: Während vor der Erkrankung 56 Prozent der Befragten Vollzeit arbeiteten, waren es danach nur mehr zehn Prozent. Die Zahl der nicht Berufstätigen wuchs hingegen von vier auf 65 Prozent.

Den Ruf nach besseren Versorgungsstrukturen unterstrichen am Podium auch der Neurologe und Post-Covid-/ME/CFS-Experte Michael Stingl sowie der ehemalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). Die Lage der Betroffenen sei "erschütternd", sagte Anschober, der von aktuellen Gesprächen mit Selbsthilfe-Organisationen berichtete. Studien-Mitautor Johannes Schweighardt verwies im Namen der ÖG ME/CFS auf tägliche verzweifelte Anfragen von Betroffenen bzw. deren Angehörigen, die auf der Suche nach Anlaufstellen sind, sich mit ablehnenden Gutachten etwa seitens der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) konfrontiert sehen oder deren Beschwerden als psychisch fehlgedeutet werden.

"Manche Arztbriefe und Gutachten sind erschütternd ob der Ignoranz und des Nichtwissens", sagte auch Moderator und Internist Siegfried Meryn. Es sei "kränkend", wenn zu 90 Prozent gesagt werde, die Beschwerden seien psychisch und sogar Untersuchungen abgelehnt werden. Anschober meinte dazu, es sei wichtig, diesbezüglich "Wut und Erschütterung" auszudrücken - und diese "auch öffentlich sichtbar zu machen". Es sei die Versorgung nicht gegeben und "gleichzeitig ist die soziale Absicherung nicht da, es gibt Überschuldung und ganz schwierige Lebenssituationen für viele Betroffene", verwies er auf finanzielle Probleme von Patientinnen und Patienten auch als Folge von Einstufungen (etwa beim Pflegegeld oder seitens der PVA).

Im Leitfaden wird auch darauf verwiesen, dass die Zahl der Betroffenen von ME/CFS als Folge der COVID-Pandemie weiterhin stark ansteigt. ME/CFS tritt dabei als schwerste Form des Post-COVID-Syndroms (PCS) auf. Bereits vor der Pandemie waren nach Hochrechnungen zwischen 26.000 und 80.000 Menschen in Österreich (0,3-0,9 Prozent der Gesamtbevölkerung) an ME/CFS erkrankt. Als Folge von PCS gehen Experten von mindestens einer Verdoppelung der Zahl der Betroffenen aus. Sandra Leiss von der ÖG ME/CFS wies diesbezüglich auf die Sinnhaftigkeit von Präventionsmaßnahmen hin, etwa durch Maßnahmen für "saubere Luft" (Luftfilter und Lüftungsanlagen). Viele der Patientinnen und Patienten sind laut MedUni arbeitsunfähig, Schätzungen zufolge rund 25 Prozent davon ans Haus oder Bett gebunden. Im schlimmsten Fall kommt es bei einer ME/CFS-Erkrankung zur vollständigen Pflegebedürftigkeit mit künstlicher Ernährung, in extremen Fällen können die Krankheit und ihre Folgen tödlich sein.

Der Neurowissenschafter Michael VanElzakker von der Harvard Medical School in Boston/USA wies bei seinem Beitrag darauf hin, dass postvirale Folgen nicht nur etwa beim Covidvirus auftreten, sondern auch von anderen Erkrankungen her bekannt sind. Auch gebe es Beispiele abseits des Covid-Virus für persistierende Infektionen: So sei etwa das Ebola-Virus, das nicht stets tödlich enden müsse (wie fälschlicherweise oft angenommen), in Patienten teils Jahre nach der akuten Erkrankung noch nachgewiesen worden, sagte VanElzakker bei der Veranstaltung. Das Symposium - ein Satellite Event des FENS Forums 2024 - wurde von der Austrian Neuroscience Association, der ÖG ME/CFS, der We&Me-Foundation der Familie Ströck sowie der MedUni Wien (Abteilungen für Primary Care Medicine und Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie) ausgerichtet.

ribbon Zusammenfassung
  • Ein neuer Leitfaden der MedUni Wien soll die Versorgung von ME/CFS-Betroffenen verbessern und bietet klare Ansatzpunkte zu Diagnostik, Krankheitsmanagement und Therapieansätzen.
  • Forderungen an die Politik wurden nach mehr Forschungsförderung und besserer sozialer sowie medizinischer Versorgung erhoben.
  • Die durchschnittliche Diagnosedauer für ME/CFS beträgt fünf Jahre, was auf einen Mangel an Expertise hinweist.
  • Vor der Erkrankung arbeiteten 56 % der Betroffenen Vollzeit, danach nur noch 10 %, während die Zahl der nicht Berufstätigen von 4 % auf 65 % stieg.
  • Experten gehen davon aus, dass sich die Zahl der ME/CFS-Betroffenen aufgrund der COVID-Pandemie verdoppelt hat.