ME/CFS: Ministerium gegen Aufnahme in Behinderung-Verordnung
Die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS sowie andere Patientinnen-Vertreter haben in jüngerer Vergangenheit wiederholt auf Probleme bei der sozialen Absicherung von ME/CFS-Patienten aufmerksam gemacht. Patienten würden teils wegen fehlerhafter Gutachten sozialrechtliche oder gesundheitliche Folgen erleiden. Neben chefärztlichen Begutachtungen bei der ÖGK bezüglich des Krankenstandes betreffe dies auch Gutachten etwa hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit bei der PVA - sowie die Einstufung des Behinderungsgrades, die beim Sozialministeriumsservice des Gesundheits- und Sozialministeriums angesiedelt ist.
Bereits im Jänner hat die ÖG ME/CFS das genannte Ansuchen an das Ministerium übermittelt - mit der Bitte, die Krankheit in die Einstufungsverordnung aufzunehmen. Ziel des von 20 Experten und Expertinnen sowie Organisationen unterstützten Begehrs war die Absicherung der chronisch kranken Betroffenen, so die Gesellschaft in einem Statement gegenüber der APA.
Zehn Monate später kam laut der Patientinnen-Organisation die Ablehnung aus dem Ministerium, gab nun die ÖG ME/CFS bekannt. Den Grad der Behinderung von ME/CFS könne man auch "durch Analogie zu vergleichbaren Krankheiten und Einschränkungen einschätzen", hieß es laut der Betroffenen-Organisation seitens des Ministeriums. Darüber hinaus habe man auf zukünftige Weiterentwicklungen, die bis ins Jahr 2030 geplant sind, verwiesen.
Aus dem Ministerium hieß es dazu am Freitag auf APA-Anfrage, "postvirale Syndrome wie ME/CFS können bereits jetzt als Behinderung eingestuft werden". Für die Beurteilung des Grades der Behinderung werde dabei "immer die konkrete gesundheitliche Beeinträchtigung herangezogen und nicht die Diagnose". Die Auswirkungen von postviralen Syndromen seien "sehr individuell und reichen von leichten Einschränkungen bis hin zu vollständiger Bettlägrigkeit". Daher sei "eine automatische Einstufung von ME/CFS als Behinderung durch eine Aufnahme in die Einschätzungsverordnung nicht sinnvoll".
Mittelfristig sei geplant, die Einschätzungsverordnung "grundlegend" zu überarbeiten. "Sie wird dazu ab dem kommenden Jahr wissenschaftlich evaluiert", hieß es in einem schriftlichen Statement. Auch betonte man im Ministerium, es sei ein "großes Anliegen", die Lebensbedingungen und die soziale Absicherung für Personen mit postviralen Syndromen zu verbessern. Über die Gesundheitsreform würden den Bundesländern zusätzliche Mittel für den Ausbau der medizinischen Versorgung zur Verfügung gestellt, auch verwies man auf die Einrichtung des Referenzzentrums für postvirale Syndrome an der MedUni Wien, das Forschung und Ausbildung verbessern soll.
In der Liste der Einschätzungsverordnung (abrufbar unter: https://go.apa.at/ZBxHaIc1) sind zahlreiche Funktionseinschränkungen bzw. Erkrankungen aufgelistet, für die - je nach Schweregrad - ein Grad der Behinderung in Prozent angegeben ist. Die Einstufung erfolgt wie erwähnt aber in jedem Fall individuell durch Gutachter.
Für die ÖG ME/CFS ist die Ablehnung "nicht nachvollziehbar": Anscheinend seien "weder die Erfahrung der Betroffenen" noch die Fachmeinung von Wissenschaftern und Wissenschaftern sowie von Ärztinnen und Ärzten aus der Praxis oder Patientinnenorganisationen berücksichtigt worden, sagte die stellvertretende Obfrau der ÖG ME/CFS, Astrid Hainzl, in einem Statement zur APA. Sie verwies auch darauf, dass von Betroffenen oft jahrelange Gerichtsverfahren geführt werden müssten, "um endlich eine Anerkennung und Einstufung" zu erwirken.
Die Vize-Obfrau verwies auch auf das Hauptsymptom und Erkennungsmerkmal von ME/CFS, die "Post Exertional Malaise" (PEM). Diese beschreibt eine (oft starke) Zustandsverschlechterung, die bereits nach geringer Belastung auftritt und auch dauerhaft sein kann. Diese PEM-Symptomatik sei speziell für ME/CFS, "vergleichbare Krankheiten gibt es in der bestehenden Verordnung nicht", betonte Hainzl.
Deswegen seien sich alle unterstützenden Experten und Expertinnen einig, dass eine Aufnahme von ME/CFS in die Liste "nicht nur sinnvoll, sondern notwendig ist", erklärte auch ÖG ME/CFS-Obmann Kevin Thonhofer. Die Anerkennung als Behinderung wäre besonders für jene zentral, "die noch in einem gewissen Ausmaß arbeiten, studieren oder zur Schule gehen können, aber dabei dringend Unterstützung brauchen", sagte er. Auch bei Hilfsmitteln wie Rollstühlen könne der Grad der Behinderung wichtig sein.
Im Gegensatz zu Begutachtungen in der Pensionsversicherungsanstalt oder der Gesundheitskasse hat das Gesundheitsministerium bei der Frage des Grads der Behinderung direkte Gestaltungsmöglichkeit. PVA und ÖGK hingegen agieren in Selbstverwaltung. Angesichts der Kritik von Patientinnen-Organisationen zu PVA-Gutachten, die oftmals Arbeitstauglichkeit attestieren oder Rehabilitationsgeld verweigern, verwies Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) in der Vergangenheit stets darauf, dass er wegen der Selbstverwaltung nicht zuständig sei.
ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis /Chronisches Fatigue Syndrom) tritt meist nach Infektionen auf und gilt auch als schwerste Form von Post Covid, weswegen die Erkrankung mit Aufkommen des Corona-Virus vermehrt in den Fokus rückte und die Zahl der Betroffenen deutlich gestiegen ist. Experten gehen von rund 80.000 Patienten und Patientinnen in Österreich aus und rechnen (auch wegen der weiterhin hohen Ansteckungszahlen) mit einer weiteren Zunahme. Bei einem Großteil der Betroffenen führt ME/CFS zum Verlust der Arbeitsfähigkeit. Etwa 25 Prozent der Betroffenen sind so schwer krank, dass sie das Haus oder Bett nicht mehr verlassen können.
Zusammenfassung
- Das Gesundheitsministerium hat die Aufnahme von ME/CFS in die Einschätzungsverordnung abgelehnt, was die Anerkennung als Behinderung erschwert.
- Rund 80.000 Menschen in Österreich sind von ME/CFS betroffen, und 25% von ihnen können das Haus oder Bett nicht mehr verlassen.
- Die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS kritisiert die Entscheidung und betont die Notwendigkeit der Anerkennung für bessere soziale Absicherung.
- Das Ministerium plant eine grundlegende Überarbeitung der Einschätzungsverordnung bis 2030 und verweist auf individuelle Beurteilungen.
- Ein Referenzzentrum an der MedUni Wien soll die Forschung und Ausbildung zu postviralen Syndromen verbessern.