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Experten üben scharfe Kritik an Biodiversitätspolitik

Österreichs Biodiversitäts-Ampel zeigt weiter viel Rot und Orange und nur einen Tupfer Grün. Es gibt einen großen Aufholbedarf bei den politischen Plänen und Aktivitäten, die zum Stopp des Artenverlusts führen sollen, erklärten Vertreter des Österreichischen Biodiversitätsrats am Donnerstagabend bei einem Hintergrundgespräch im Rahmen der Konferenz "Tage der Biodiversität" an der Universität für Bodenkultur Wien (Boku).

"Das Aussterberisiko, also die Anzahl der Arten in Europa, die auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion stehen, ist deutlich größer als bis vor kurzem noch angenommen", verwies Franz Essl, Ökologe und Mitglied im Rat, auf aktuelle Studien, wonach rund jede fünfte Art betroffen ist. Das zeige sehr prägnant auf, wie hoch das Risiko für einen Rückgang der Artenvielfalt sei.

Dem setzt die heimische Biodiversitätspolitik zu wenig entgegen, zeigt der "Biodiversitäts-Barometer 2023", der heuer zum vierten Mal erstellt wurde und den Status der politischen Umsetzung von entsprechenden Maßnahmen auch in Ampelfarben darstellt. Der einzige Punkt bei dem die Ampel auf Grün steht, ist die Beibehaltung eines eigenständigen Umweltministeriums. Aber auch hier sei die Zusammenarbeit zwischen dem Klimaschutzministerium (BMK) und anderen Ministerien verbesserungsfähig, heißt es.

"Die Biodiversitätskrise hat noch nicht die Aufmerksamkeit, die sie im politischen Diskurs braucht", begrüßte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Freitag bei einer Podiumsdiskussion zum Thema das präsentierte Barometer. Bei der Klimakrise sei es gut gelungen, die Auswirkungen hervorzustreichen, bei der Biodiversität gebe es noch Kommunikationsbedarf.

Die Ende 2022 erfolgte Vorlage einer nationalen Biodiversitätsstrategie 2030+ als zentrales Dokument für den Naturschutz weist für den Biodiversitätsrats zwar in die richtige Richtung, Umsetzungsmaßnahmen und das notwendige Budget würden aber fehlen. Dass es mittlerweile einen Biodiversitätsfonds gebe, der mit 80 Mio. Euro bis 2026 dotiert sei, sehe man zwar grundsätzlich positiv, "er sollte aber auf eine Milliarde Euro aufgestockt und längerfristig abgesichert werden", forderte Essl im Hintergrundgespräch.

Außerdem seien die Naturschutzbudgets der Bundesländer noch völlig unzureichend dotiert. Niederösterreich habe beispielsweise im Jahr 2021 über ein Naturschutzbudget von 15 Mio. Euro verfügt. Demgegenüber seien für Straßenbau und Straßenerhaltung 450 Mio. Euro ausgegeben worden. Diese Dotierungen "sind komplett aus der Zeit gefallen", konstatiert der Biodiversitätsrat, der den Stopp des Artenrückgangs auf politischer Ebene stärker verankert sehen will.

Es herrsche kein ausreichendes Verständnis der Bedeutung der Natur, das habe sich auch gezeigt als die Naturschutzreferenten aller neun Bundesländer den Vorschlag der EU-Kommission für einen gesetzlichen Rahmen zur Wiederherstellung beeinträchtigter Lebensräume, das "Nature Restauration Law", abgelehnt hätten, so Essl am Donnerstagabend. In der Nacht auf Freitag haben sich Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten auf einen Kompromiss zu diesem heiß diskutierten Naturschutzvorhaben geeinigt. Gewessler sah den Kompromiss nun grundsätzlich positiv. "Die destruktiven Kräfte in der Politik haben sich nicht durchgesetzt", erklärte sie. Die Übereinkunft sei nicht perfekt, aber ein wichtiger Schritt.

Eine weitere Forderung des Biodiversitätsrats betrifft die Reduktion des Flächenverbrauchs durch Verbauung. Hier seien österreichweit verbindliche Ziele notwendig. Der Flächenverbrauch müsse von derzeit 11,3 Hektar täglich auf maximal 2,5 Hektar im Jahr 2025 und maximal einen Hektar im Jahr 2030 reduziert werden. "Aber selbst das ist langfristig unhaltbar, weil wenn man das fortschreiben würde, ist trotzdem irgendwann die gesamte Fläche verbaut", erklärte Thomas Wrbka, Ökologe an der Universität Wien. Die österreichische Bodenstrategie mit verbindlichen Zielen komme weiter nicht vom Fleck, eine Beschlussfassung sei mehrfach verzögert worden, ortet Wrbka ein "Politikversagen".

"Da verschiebt sich gerade etwas", konstatierte Gewessler. Es gebe inzwischen ein starkes Bewusstsein, dass es so nicht weitergehen könne, weil die Auswirkungen des Bodenverbrauchs unmittelbar sichtbar und erfahrbar geworden seien. Für umso wichtiger hält die Ministerin die Diskussion um verbindliche Ziele, sei Österreich doch derzeit "Europameister im Bodenverbrauch".

Für eine naturverträgliche Landnutzung braucht es laut dem den Biodiversitätsrat unter anderem ein Umsteuern in der Agrarpolitik. Notwendig seien höhere Fördersätze beim Umweltprogramm ÖPUL und die Ausweitung der Schutzgebiete auf mindestens 30 Prozent der Landesfläche. Dies würde auch bei der Bewältigung der Klimakrise helfen. Gefordert wird zudem ein breit angelegtes Biodiversitäts-Monitoring zum aktuellen Zustand und zu den Veränderungen ohne das man "über weite Strecken blind und taub" sei.

Schlecht unterwegs sei Österreich auch dabei, internationale Verpflichtungen einzuhalten, meint der Biodiversitätsrat unter Verweis auf das Nichterreichen der Natura 2000-Ziele oder die mangelhafte Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie. Vieles scheitere am "Kompetenzwirrwarr" zwischen Bund und Ländern. Hier müsse unbedingt an einem Strang gezogen werden, um keine Zeit zu verlieren. Zudem regen die Fachleute die Schaffung eines Bundesrahmennaturschutzgesetzes an, wodurch die Kompetenzen des Bundes gestärkt werden sollen.

Es fehle auf nationaler Ebene ein klares und entsprechend dotiertes Grundlagenforschungsprogramm, ergänzend zum Biodiversitätsfonds, und ein Ausbau der Lehrangebote im universitären Bereich, brachte Thomas Hein, Gewässerökologe an der Boku eine Stärkung von Wissenschaft und Bildung ins Spiel. In vielen Lehrunterlagen würden zudem die wirtschaftlichen Themen im Vordergrund stehen und für die Biodiversität relevante Aspekte zu wenig berücksichtigt.

"Artenwissen geht laufend verloren. Die Entfremdung von der Natur ist enorm", forderte Elisabeth Haring vom Naturhistorischen Museum (NHM) Wien rasche Änderungen in Bildungswesen. Schulklassen und Kindergartengruppen sollten mehr ins Freie gehen, denn "was man nicht kennt, wird man auch nicht schützen", so Haring.

"Es passiert zu wenig und zu langsam. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, vor allem weil sich die Krise ja beschleunigt", resümierte Wrbka mit Blick auf das aktuelle Barometer der heimischen Biodiversitätspolitik. "Uns steht das Wasser nicht bis zum Hals oder bis zur Stirn. Wir verlängern den Schnorchel mit dem wir unter Wasser sind", so Hein.

(S E R V I C E - Das "Barometer" online: https://go.apa.at/SiOngQEV; Konferenz "Tage der Biodiversität": https://biodiversitaetstage.boku.ac.at; Website des Biodiversitätsrates: https://www.biodiversityaustria.at/)

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  • Österreichs Biodiversitäts-Ampel zeigt weiter viel Rot und Orange und nur einen Tupfer Grün.