Ein Tag ohne die EU als Studierende
Auslandssemester in Kroatien, Praktikum in Deutschland oder ein Studium in Frankreich. Immer mehr Studierende zieht es während ihrer Zeit an österreichischen Hochschulen ins Ausland. Viele in Form eines Auslandssemesters, ein Großteil auch, um ein Studium gänzlich dort zu absolvieren.
Im Jahr 2021 haben rund 24.800 Österreicher:innen ein Studium im Ausland absolviert, heißt es vom Bildungsministerium zu PULS 24. Etwa 4.770 haben ein Studium im Ausland abgeschlossen.
Durch Programme wie "Erasmus+" oder "DiscoverEU" wird es für junge Menschen einfacher, sich in anderen europäischen Staaten aufzuhalten und dort auch Fuß zu fassen. Doch was wäre, wenn Österreich nicht Teil der EU wäre?
Auslandssemester, aber ohne Förderung
Eine Österreicherin, nennen wir sie Sonja, hat sich für das Bachelorstudium Politikwissenschaften an der Universität Wien inskribiert. Da sich Sonja sehr für die europäische Politik interessiert und außerdem ihre Französischkenntnisse aus der Oberstufe verbessern will, beschließt sie, ein Auslandssemester in Brüssel zu absolvieren.
Sie fragt in einer Pause zwischen den Vorlesungen im Internationalen Büro ihrer Uni nach. Sie erfährt, dass sie nicht an Studierendenaustauschprogrammen teilnehmen kann und ihre Uni keine Partneruniversitäten in Europa hat. Deshalb muss sie selbst nach Hochschulen in Brüssel suchen, die mit ihrem Studienprogramm kompatibel sind.
Das Programm "Erasmus+" ist nur für EU- bzw. EWR-Länder zugänglich. Denn die EU fördert Hochschulen im Rahmen von Erasmus+, um die Mobilität von Studierenden voranzutreiben.
Video: Wohnungsnot bei Studierenden
Ohne Visum geht nichts
Um sich länger als drei Monate in Belgien aufhalten zu können, braucht Sonja ein Studierendenvisum. Dafür muss ihre Universität eine in Belgien anerkannte Bildungseinrichtung sein. Das trifft auf die Uni Wien zu. Sonja ist erleichtert.
Die ICHEC Brussels Management School in Brüssel bietet das Studium Betriebswirtschaftslehre an. Sonja nimmt gemeinsam mit dem Internationalen Büro der Uni Wien Kontakt auf.
Knapp 30.000 Schilling und steigend
Ob Sonja tatsächlich angenommen wird, wird sie erst in den kommenden Tagen erfahren. Was sie jetzt schon weiß: Auf sie kommt ein großer bürokratischer sowie finanzieller Aufwand zu. Einerseits muss sie jetzt in der belgischen Botschaft oder im Konsulat in Wien ein Visum für Belgien beantragen und muss dafür mehrere hundert Euro (konsularische Steuern von etwa 180 Euro und Bearbeitungsgebühren von rund 160 Euro) bezahlen.
Für die Einschreibung an der Uni in Brüssel muss sie etwa 800 Euro zahlen, dazu kommen Wohnungskosten von rund 600 Euro und Lebenshaltungskosten von rund 400 Euro. Laut ihrer ersten Recherche fallen für das Auslandssemester etwa 30.000 Schilling an - immerhin ist Österreich (in unserem Beispiel) nicht in der EU.
Kaum versichert
Für die Uni in Brüssel muss sie ein Learningagreement (eine Art Bildungsübereinkommen) und einen Sprachennachweis mit Niveau B2 in Englisch oder Französisch vorweisen, wie sie von einer Lektorin erfährt, die sie während der Vorlesung fragt. Studienbeihilfen, wie sie sie in Österreich bekommt, wird sie in Belgien nicht erhalten. Darauf haben nur Belgier:innen und EU-Bürger:innen Anspruch.
Nun heißt es erst einmal durchschnaufen. Nach der ersten Recherche kommt sie sehr ins Zweifeln. Die weitere Organisation bis zum Abflug nach Brüssel wird sie noch ein wenig Energie kosten. Sie muss sich etwa noch um ihre Krankenversicherung oder aber auch um eine Sim-Karte für ihr Handy kümmern. Denn ihre eCard wird im Ausland nicht akzeptiert.
Bologna-Reform gilt trotzdem
Bei einem Thema muss sich Sonja keine Gedanken machen: Die Anrechnung der ECTS oder aber auch die Qualitätssicherung. Das hatte der Bologna-Prozess von 1999 ermöglicht, der nicht durch die EU, sondern durch einen Zusammenschluss der europäischen Hochschulen initiiert wurde. Deshalb wird Sonjas Studienabschluss auch in anderen europäischen Ländern anerkannt.
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Eine Hürde weniger, gibt sich Sonja optimistisch, bevor es für sie in die nächste Vorlesung "Politisches System Österreichs und die EU" geht. Dort erfährt sie, dass die Uni Wien keine EU-Förderung für Forschungen bekommt.
Kaum internationale Studierende in Österreich
Nach einem langen Tag an der Uni kommt Sonja endlich in ihrem Studierendenheim an. Sie setzt sich in den Aufenthaltsraum, um noch ein paar Sachen zu erledigen. Kurz wundert sie sich, warum in ihrem Studierendenheim kaum internationale Studierende wohnen. Aber wenn sie an den Aufwand denkt, den EU-Bürger:innen auf sich nehmen müssen, wenn sie in Österreich studieren wollen, wird ihr klar, warum sich das nur wenige antun.
Als sie ihren Laptop aufklappt, sieht sie eine Werbung für ein Auslandsstudium in Frankreich - ihr großer Traum. Doch so einfach ist das nicht.
Ihr akademischer Grad wird an französischen Universitäten zwar ohne Weiteres anerkannt, darüber muss sie sich keinen Kopf zerbrechen. Bauchschmerzen bereiten ihr nur die erheblichen Wohnungs- und Reisekosten.
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Wenn sie danach in Frankreich arbeiten will, hätte sie außerdem nur ein Jahr Zeit, um einen Arbeitgeber im Land zu finden. Sollte ihr das nicht gelingen, müsste sie das Land verlassen.
Sie beschließt, ihre Recherche an einem anderen Tag weiterzuführen - immerhin sollte sie auch für ihre morgige Prüfung lernen.
Zusammenfassung
- Ob Spanien, Finnland oder Italien. Viele Studierende nutzen ihre Zeit auf Österreichs Universitäten dafür ins Ausland zu gehen - entweder ein Semester, für ein Praktikum oder gar ein ganzes Studium.
- Mit diversen Programmen ist das bereits relativ einfach und erschwinglich geworden.
- Doch wie würde sich Studieren gestalten, wäre Österreich nicht Teil der EU?