Borodjanka: "Wir finden keine Soldaten, sondern nur unschuldige Menschen"
Oksana Kostychenko geht einen schmalen Weg entlang, der zu ihrem Garten in Borodjanka – eine kleine Stadt rund 30 Kilometer von Butscha entfernt – führt. Die Blumenbeete sind erstaunlich gut erhalten – ringsum zeigt sich die mutwilligen Zerstörung. In der Nähe ihres Gartenhauses liegt die Leiche eines Mannes mit dem Gesicht nach unten, ein Sack über dem Kopf und auf dem Rücken gefesselten Händen. Seine Hose ist heruntergezogen. Er hat große blaue Flecken an seinem linken Bein und eine große Wunde am Kopf. Neben seinem Körper liegt eine einzelne Patronenhülse.
"Er wurde hingerichtet, mit einem Schuss in den Kopf", sagte ein Beamter der ukrainischen Polizei. Er hat keine Dokumente bei sich, aber alles deutet darauf hin, dass es sich um ein weiteres ziviles Opfer des Krieges des russischen Präsidenten Wladimir Putin handelt. Die Leiche ist eine von vielen, die kürzlich in den von den russischen Streitkräften besetzten Städten östlich von Kiew gefunden wurden.
In Borodjanka lebten vor dem Krieg 13.000 Menschen. Die meisten flohen nach dem Einmarsch der russischen Truppen. Das, was von der Stadt nach intensivem Beschuss und verheerenden Luftangriffen übrig geblieben war, wurde dann von den russischen Streitkräften besetzt, die am 28. Februar einrückten.
Yuriy Pomin war noch in der Stadt, als der russische Angriff begann. "Das Schlimmste war, als ihre Flugzeuge kamen. Sie flogen über unser Haus und warfen Bomben ab", sagte er gegenüber CNN.
"Es ist nicht sicher."
Heute ist der 33-Jährige dabei, seine Wohnung im vierten Stock aufzuräumen. Das mehrstöckige Gebäude daneben wurde durch einen russischen Angriff dem Erdboden gleichgemacht. Er bringt die Reste seines Besitzes in ein anderes Haus außerhalb der Stadt. "Ich kann hier nicht bleiben", sagte er. "Es ist nicht sicher."
Die russische Besatzung hat in der Stadt verheerende Spuren hinterlassen. Raketen und Bomben haben die Gebäude in einen Haufen Schutt verwandelt. Die russischen Besatzungstruppen nisteten sich in einigen Häusern ein, nutzten sie als Kasernen. So auch das Haus von Kostychenko und ihrem Mann Oleksand. Sie flohen, als der Beschuss begann und kehrten nach dem Rückzug der Russen zurück. Ihr Haus blieb wie durch ein Wunder fast unberührt – im Inneren wurde es durchwühlt. Ihr Vogel lag tot in seinem Käfig.
"Überall lag Alkohol und leere Flaschen", sagte der 44-Jährige. "Sie (die Russen) haben viel geraucht, haben Zigaretten auf dem Tisch ausgedrückt." Die meisten Möbel waren entweder beschädigt oder zerstört, ebenso wie der Fernseher. "Sie haben alles getan, was sie wollten", sagte Kostychenko. "Unser Schmuck wurde mitgenommen. Sie sind nichts als Plünderer."
"V"
Auch die Geschäfte in der Nähe wurden geplündert, die Scheiben eingeschlagen und die Waren entweder gestohlen oder auf dem Boden verstreut. Der Buchstabe "V", eine Abkürzung für Wostok (was auf Russisch "Osten" bedeutet) - und ein Symbol, das vom östlichen Militärbezirk Russlands zusammen mit dem Buchstaben "Z", einem Emblem für Moskaus so genannte "spezielle Militäroperation", verwendet wird - wurde auf Gebäude, Fahrzeuge und Kontrollpunkte gemalt. Es prangerte auch vom örtlichen Arbeitsamt und dem Rathaus, die in die Hauptquartiere der Truppen umgewandelt wurden.
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Leichen verwesen
Während Moskau weiterhin bestreitet, Zivilisten ins Visier genommen zu haben, zeigt sich auf den Straßen ein anderes Bild. Freiwillige sammeln zusammen mit der Polizei Leichen getöteter Zivilisten ein, die unter freiem Himmel verwesen.
"Wir sammeln Menschen ein, die von den Russen erschossen wurden. Zivilisten, die gefoltert wurden. Wir arbeiten schon seit zwei Tagen", sagte Hennadiy Avramenko.CNN beobachtete, wie Avramenko und sein Kollege die Leiche eines 44-jährigen Ukrainers aus einem Auto holten. Ihm wurde während der Fahrt durch das Herz geschossen, und sein Auto stürzte in einen Graben neben der Straße.
Das Schlimmste ist, dass wir keine Soldaten finden, sondern nur unschuldige Menschen.
"Psychisch ist es schwer", sagte Avramenko. "Das Schlimmste ist, dass wir keine Soldaten finden, sondern nur unschuldige Menschen." "Sie wurden ohne Grund erschossen", fügte er hinzu.
In der nächsten Stunde werden die Freiwilligen zwei weitere Leichen finden. Eine völlig verkohlte, die von offenbar von einem Artilleriegeschoss getroffen wurde und die eines älteren Mannes, der beim Fahrradfahren erschossen wurde.
In und um Borodjanka beginnen die Behörden erst jetzt damit, die Ruinen der zerstörten Gebäude zu durchsuchen. Sie wissen, dass sie dabei weiterhin Leichen finden werden.
Zusammenfassung
- Nach Butscha mehren sich auch die Berichte über weitere Vororte von Kiew. Borodjanka ist einer davon. Und auch dort wird langsam das Grauen der russischen Besatzung offenbart. Die Kollegen von CNN waren dort.