14 Handys, Tausende Chats: Wiener Coup gegen Terror-Netzwerk ISKP
Vernetzt war die in Wien festgenommene Gruppe – zwei Tadschiken und eine Türkin – bei der es sich um eine Zelle des IS-Ablegers "Islamischer Staat Khorasan Provinz" (ISKP) handelt, mit Gleichgesinnten in Deutschland. Auch dort gehören mehrere Tadschiken zu den Verdächtigen.
Aktuellen Erkenntnissen der Ermittler in Deutschland und Österreich zufolge war die Vernetzung der beiden IS-Zellen in Köln und Wien sehr intensiv. Vertreter der jeweils streng hierarchisch aufgebauten Terrorgruppen statteten einander Besuche ab, die geplanten Anschläge wollten die Gruppen koordiniert durchführen und wählten dafür offenbar ähnliche Strategien und Ziele.
Im Sommer besuchten die deutschen Terrorverdächtigen eine Kirmes in Köln und spähten dort geeignete Plätze und Fahrgeschäfte für mögliche Anschläge aus. Den Kölner Dom hatten sie ebenfalls als Ziel auserkoren – womöglich für einen Bombenanschlag, wie deutsche Ermittlungsakten, die der "Bild"-Zeitung vorliegen, nahelegen.
Anschlagspläne auf Prater?
Auch der Wiener Prater dürfte an gleich zwei Zeitpunkten in ähnlicher Weise auf Anschlagsmöglichkeiten hin ausgespäht worden sein – und zwar von einem Tadschiken der deutschen ISKP-Zelle.
Wie aus Akten, die PULS 24 vorliegen, ersichtlich ist, reiste der Tadschike am 8. Dezember nach Wien und besuchte dort den Prater. Der in Deutschland Wohnhafte ging ähnlich vor, prüfte und fotografierte Fahrgeschäfte, Videoüberwachung und öffentliche Zugänge an mehreren Orten.
Am 9. Dezember flog er von Wien aus nach Istanbul und kehrte von dort am 18. Dezember nach Wien zurück. Am 19. Dezember fertigte er laut Ermittlern abermals "auffällige Foto- und Videoaufnahmen vom Wiener Prater an".
Terrorplanung vis-a-vis
Im Zeitraum von 8. bis 20. Dezember hatte der Terrorverdächtige aus Deutschland "mehrmals persönliche Kontakte" mit einem der in Wien festgenommenen Tadschiken und der Türkin. Hier wurden laut Ansicht der Ermittler von Angesicht zu Angesicht Terrorpläne für Weihnachten abgestimmt.
Geplant war wohl, zu Weihnachten im Stephansdom einen Anschlag zu verüben. Zu Silvester sollte dann ein Anschlag auf den Kölner Dom folgen. Im Visier der Terroristen waren auch Politiker, die sie bei Weihnachtsgottesdiensten anzutreffen hofften.
Von Terrorattacken auf Krimes und Prater sahen die Terroristen wohl wieder ab. Wie weit ausgereift die Anschlagspläne waren, ist noch nicht klar.
Coup für österreichische Ermittler
Bei dem österreichischen Kontaktmann, der aktuell in U-Haft sitzt, soll es sich laut PULS 24 Informationen um den Österreich-Chef des ISKP handeln.
Die Treffen in Wien im Dezember waren nicht der erste persönliche Kontakt der beiden Terrorverdächtigen. Bereits von 20. bis 23. November war der österreichische ISKP-Chef zu Besuch beim deutschen Kontaktmann im Saarland.
Polizei fand Tausende Chats
Und den Ermittlern der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) gelang bei den Festnahmen vor Weihnachten noch ein weiterer Coup. Anders als in Deutschland, wo die Verdächtigen zuvor sämtliche Handy komplett löschen konnten, stellten die DSN-Ermittler in Wien neben 7.000 Euro in bar auch 14 Smartphones sicher, wie die "Bild" berichtet. Das Datenmaterial mit mehreren tausend Chats wird aktuell ausgewertet.
Bei dem tadschikischen Besucher aus Deutschland soll es sich zwar nicht um den Deutschland-Chef des ISKP handeln, wohl aber um einen hochrangigen Planer. Der deutsche ISKP-Chef dürfte sich aber auch bereits in Haft befinden.
Terrorpate in der Türkei
Abgesehen von Deutschland und Österreich dürfte es wohl auch in Spanien eine ISKP-Zelle geben, denn der deutsche Kontaktmann, der im Dezember Wien besuchte, reiste auch nach Madrid.
Alle Zellen in Europa unterstehen einem noch unbekannten Terrorpaten, der sich wohl in der Türkei aufhält. Darauf deutet nicht zuletzt der Istanbul-Flug des deutschen ISKP-Planers im Dezember hin.
DSN hatte ISKP schon länger im Visier
Der DSN warnte bereits seit März, dass die ISKP zu einem immer drängenderem Sicherheitsproblem wird. Die hiesige Ableger-Zelle ist seit Monaten bekannt, erfuhr PULS 24 aus Sicherheitskreisen.
Von den sichergestellten Handys erwarten sich die Ermittler nun neue Erkenntnisse über die Terrororganisation – nicht nur hierzulande, sondern auch im Ausland.
Globale Agenda
Die ISKP ist eigentlich hauptsächlich in Afghanistan aktiv, sagt Terrorismus-Forscherin Daniela Pisoiu von der Universität Wien gegenüber PULS 24.
"Der Hauptfokus, auch der Anschläge, ist in Afghanistan, wo der ISKP die Taliban bekämpft und zu unterminieren versucht", so die Expertin. Allerdings seien auch Anschläge in Europa erwünscht, "um ihr Prestige zu erhöhen", so Pisoiu.
Dazu greift die ISKP vor allem auf willige Sympathisanten in den europäischen Ländern zurück – anders als etwa Al-Kaida und die Mutterorganisation "Islamischer Staat", die ihre Terroristen noch selbst ausbilden.
Die ISKP verfügt auch durchaus über entsprechende finanzielle Mittel – vor allem durch kriminelle Aktivitäten – wobei Anschläge weniger eine Ressourcenfrage als vor allem eine der Vernetzung und Logistik in Europa seien, meint Pisoiu.
Gefahrenpotential noch nicht so groß
Bisher sei das Gefahrenpotential von ISKP nicht mit dem des ursprünglichen IS vergleichbar, "aber das kann sich ändern", warnt die Forscherin.
Es hänge davon ab, inwiefern die Organisation Sympathisanten hier begeistern kann. Dafür brauche sie spektakuläre Anschläge – wie jene, die die ISKP-Zellen in Wien und Köln planten.
Zusammenfassung
- Kurz vor Weihnachten nahmen die österreichischen Behörden in Wien drei Terrorverdächtige fest.
- Sie planten zu Weihnachten und Silvester Anschläge - koordiniert mit einer Schwesterzelle in Deutschland.
- Sie gehören wohl zum "Islamischen Staat Khorasan Provinz", einem IS-Ableger, der aktuell seine Strukturen in Europa ausbaut.
- Die Organisation ist gut vernetzt, Mitglieder der Terrorzellen besuchten einander.
- Den österreichischen Ermittlern gelang allerdings ein Coup. 14 Smartphones mit Datenmaterial fielen ihnen in die Hände.