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11 Jahre Haft durch Falschaussage aus Rache? Prozess neu aufgerollt

Ein 48-Jähriger ist im Februar 2022 in Wien wegen Beteiligung an einem Mordanschlag zu einer elfjährigen Haftstrafe verurteilt worden - womöglich aber zu Unrecht. Der Prozess wird neu aufgerollt, weil eine Falschaussage aus Rache den Mann hinter Gitter gebracht haben könnte.

Das Wiener Landesgericht hat einen 48-Jährigen enthaftet, der zuvor rechtskräftig wegen versuchten Mordes zu elf Jahren Haft verurteilt worden war.

Zuvor war er schuldig gesprochen worden, einen Mann am frühen Morgen des 20. November 2018 in der Hippgasse in Ottakring mit einem länglichen, rohrförmigen Werkzeug niedergeschlagen und lebensgefährlich verletzt zu haben. Er erlitt unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma und einen Schädelbruch. Die fallbearbeitende Staatsanwältin stellte später fest, es grenze an ein Wunder, dass der Mann die ihm zugefügten Verletzungen überlebte.

Wie sich herausstellte, hatte der ehemalige Schwiegervater des Mannes den Anschlag bestellt - und zwar aus gekränkter Ehre. Das Opfer hatte ein außereheliches Verhältnis mit seiner Schwägerin und hatte mit ihr auch noch ein Kind gezeugt.

Das passte dem türkischstämmigen Immobilienunternehmer, der die Ehe seiner Tochter arrangiert hatte, überhaupt nicht, er wollte den Ex-Schwiegersohn daher beseitigen lassen.

Schwiegervater suchte Killer

Zu diesem Zweck suchte er nach einem Killer, den er nach längerer Suche gegen ein entsprechendes Entgelt auch fand. Nachdem der Mordanschlag gescheitert war, konnten die Verantwortlichen nach langwierigen Ermittlungen ausgeforscht und festgenommen werden.

Der Ex-Schwiegervater des Opfers wurde im Oktober 2019 vom Wiener Landesgericht wegen Bestimmung zum Mord, der unmittelbare Täter im vergangenen Februar wegen versuchten Mordes verurteilt. Beide fassten jeweils lebenslange Freiheitsstrafen aus, diese Urteile sind rechtskräftig.

Elfjährige Haftstrafe als "Beteiligungstäter"

Mitangeklagt und verurteilt wurde im Vorjahr auch der 48-Jährige, weil er vom Drahtzieher belastet wurde. Dieser hatte behauptet, der 48-Jährige habe den Tatplan gekannt, die Geldforderung des gedungenen Killers in Höhe von 10.000 Euro entgegengenommen, die Ausstellung einer entsprechenden Rechnung in Aussicht gestellt und diese auch bezahlt.

Der 48-Jährige stritt das vor einem Schwurgericht vehement ab, die Geschworenen glaubten seinen Unschuldsbeteuerungen jedoch nicht. Der Mann wurde als Beteiligungstäter schuldig gesprochen und sollte dafür elf Jahre im Gefängnis verbüßen.

Falschaussage aus Rache?

Dann stellte sich allerdings heraus, dass der Drahtzieher des Mordkomplotts den 48-Jährigen womöglich fälschlicherweise belastet haben dürfte. Ein Mithäftling des 58-jährigen ehemaligen Immobilienunternehmers wandte sich nämlich am 1. September 2022 in einem handschriftlichen Brief an Anwalt Marcus Januschke, einen der beiden Verteidiger des 48-Jährigen.

Darin führte der Absender aus, der Drahtzieher habe ihm in der Justizanstalt Josefstadt und später während einer Busfahrt zur Justizanstalt Stein erzählt, er habe falsch gegen den 48-Jährigen ausgesagt und diesen in die Mordsache "hineingezogen", um sich zu rächen.

Betrug bei Grundstückgeschäften in der Türkei

Das Motiv: Der 48-Jährige soll in der Türkei im Besitz des 58-Jährigen befindliche Grundstücke verkauft und diesen dabei betrogen haben. "Er ist besessen von dem Rachegedanken. Mit seinen Lügen hat er das Hohe Gericht dazu gebracht, einen unschuldigen Menschen zu verurteilen", heißt es in dem Brief, der der APA vorliegt.

Der Schreiber nannte darin auch einen weiteren Häftling namentlich, der ebenfalls gehört habe, dass der 58-Jährige zu Unrecht jemanden belaste. Der zweite Häftling bestätigte das im Jänner 2023 unter Wahrheitspflicht in einer Zeugeneinvernahme.

Prozess neu aufgerollt

Die beiden Verteidiger des Mannes, Michael Dohr und Marcus Januschke, hatten nach Rechtskraft des Urteils im Dezember auf Basis neuer, bis dahin nicht bekannter Beweismittel die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Das Wiener Landesgericht bewilligte diese, der Mann wurde enthaftet.

Das Wiener Oberlandesgericht (OLG) bestätigte in weiterer Folge diese Entscheidungen.Das Wiener OLG, das sich mit dem Wiederaufnahmeantrag eingehend befasst hat, stellte fest, dass der Ex-Schwiegervater des fast getöteten Mannes den 48-Jährigen bis zum August 2021 niemals mit dieser Tat in Verbindung gebracht hatte.

Einer dagegen gerichteten Beschwerde der Staatsanwaltsaft Wien wurde Ende Mai nicht Folge gegeben, eine neue Hauptverhandlung gegen den 48-Jährigen in die Wege geleitet. Diese wird nun am 13. November im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts stattfinden.

Die Rechtsvertreter des Angeklagten sind überzeugt, dass der 48-Jährige "diesmal nur freigesprochen werden kann", wie Verteidiger Dohr am Dienstag im Gespräch mit der APA meinte. Zu den bisherigen justiziellen Abläufe hielt Dohr fest: "Gerechtigkeit und Wahrheit sind Kinder der Zeit."

Die Verhandlung am 13. November ist bis 18.00 Uhr anberaumt. Leiten wird die Hauptverhandlung mit Andreas Böhm ein erfahrener, seit vielen Jahren am Grauen Haus tätiger Richter.

ribbon Zusammenfassung
  • Ein 48-Jähriger ist im Februar 2022 in Wien womöglich zu Unrecht wegen Beteiligung an einem Mordanschlag zu einer elfjährigen Haftstrafe verurteilt worden.
  • Die beiden Verteidiger des Mannes hatten auf Basis neuer, bis dahin nicht bekannter Beweismittel die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt.
  • In dem Fall geht es um einen gescheiterten Auftragsmord, Immobiliendeals und Falschaussagen aus Rache.
  • Die Verhandlung am 13. November ist bis 18.00 Uhr anberaumt.