Josef VotziJosef Votzi/PULS 24

ÖVP im Kurz-Schluss-Dilemma

2018 konnte die ÖVP ihre Allmacht in Niederösterreich dank Türkis noch einmal absichern. 2023 hat sie diese krachend verspielt. Das "Warum" spaltet die Partei: War die One-Man-Show Sebastian Kurz "ein Fehler" oder "fehlt er"?

Wenn Johanna Mikl-Leitner in den zurückliegenden Wahlkampf-Wochen am Abend in kleiner Runde den Tag ausklingen ließ, machte sie ihrem Frust wiederholt so Luft: "Im Moment ist es nicht lustig. Du hackelst wie ein Pferd und kriegst immer nur eine drauf."

Mit Sonntag Schlag fünf Uhr Nachmittag hörte sich der Spaß nicht nur für den Moment, sondern zumindest für die kommenden fünf Jahre auf.

Historische Verluste

Seit 1945 hat die ÖVP das alleinige Sagen in Niederösterreich. Mit der absoluten Mehrheit in der Landesregierung ist es nach 77 Jahren wohl endgültig vorbei. Unter Leopold Figl erstmals für die ÖVP errungen, unter Johanna Mikl-Leitner vom blauen Widersacher abgerungen.

Der Blick aus der historischen Vogelperspektive macht auch für Außenstehende plastisch, was der vergangene Wahlsonntag für die machtverwöhnte niederösterreichische ÖVP bedeutet.

Im Vier-Viertel-Land ist ab sofort die Allmacht dahin. Posten- und Geldvergaben sind nicht mehr allein in ÖVP-Hand. Die unumschränkte Herrschaft im Land muss geteilt werden, Einflusssphären müssen abgegeben, Entscheidungen mit zumindest einer anderen Partei abgestimmt werden. Derart traumatische Verluste setzen nun Kräfte innerhalb der ÖVP frei, deren endgültige Wucht und Wirkung noch nicht abschätzbar sind. 

Nehammers Galgenfrist

Sicher ist: Die Autorität von Johanna Mikl-Leitner ist nicht nur innerhalb der niederösterreichischen Landesgrenzen geschwächt. Die Ausläufer des Wahlbebens werden auch am Ballhausplatz und in der Lichtenfelsgasse Spuren hinterlassen: dort, wo Karl Nehammer in Kanzleramt und Parteizentrale noch eineinhalb Jahre Galgenfrist bis zum Wahltag 2024 hat. Schon während des NÖ-Wahlkampfs wurde sein Kurs parteiintern mehrfach infrage gestellt.

Die Partei zeigt sich derzeit in drei Lager gespalten: Das eine schart sich um den neuen ÖVP-Machthaber Karl Nehammer, der sein Heil in einem Kurs Kurz light sucht. 

Das zweite um den ÖVP-Wirtschaftsflügel, der immer lauter moniert, von der Dominanz des ÖAAB am Ballhausplatz politisch unterjocht zu werden und immer öfter offen dagegen opponiert.

Das dritte Lager formiert sich, last but not least, gerade neu um die Ex-Türkisen. Diese haben sich zwar formal in Wirtschafts-Jobs zurückgezogen, sind aber innerhalb der Partei nach wie vor stark präsent. Sie halten mit ihrer Kritik an den glücklosen Nachfolgern auch zunehmend nicht mehr hinter dem Berg.

Kurz fühlt sich weitgehend ignoriert

Sebastian Kurz ließ seine Ex-Kollegen in Regierung und Parlamentsklub zuletzt wissen: Die ÖVP überlasse den Grünen zu viel politischen Spielraum und thematische Spielfläche. Was ihn persönlich besonders bewegt: Der türkise Messias a.D. fühlt sich in seinen Auseinandersetzungen mit dem Kronzeugen-Anwärter Thomas Schmid und der Justiz von seinen Nachfolgern zu wenig unterstützt und generell weitgehend ignoriert. 

Nach dem Niederösterreich-Debakel droht diese Debatte an Schärfe zuzunehmen. Die Kurz-Fans rufen vehement in Erinnerung: Ohne den Rückenwind des ersten türkisen Wahlerfolgs im Herbst 2017 wäre Johanns Mikl-Leitner bereits bei ihrem ersten Antreten als ÖVP-Spitzenkandidatin im Jänner 2018 auf 40 Prozent abgestürzt. Mit dem Abgang von Kurz aus der Politik sei das nun schlagartig wahr geworden.

Die wachsende Zahl der Kurz-Enttäuschten in der ÖVP kontert: Dass die ÖVP auf Gedeih und Verderb allein auf die türkise  One-Man-Show gesetzt habe, war ein schwerer politischer Fehler. Ohne den Sprengstoff, den Kurz-Intimus Thomas Schmid mit seinen Chats gemixt hatte, wäre die ÖVP heute in Bund und Land nicht unten durch. Die von Schmid gezündete Implosion von Türkisistan habe der Partei nachhaltig geschadet. 

Messias a. D. spaltet die hinterbliebenen Schwarz-Türkisen

Fehlt (ein) Kurz der ÖVP tatsächlich, um wieder erfolgreich zu werden? Oder war es nachhaltig ein Fehler, dass die ÖVP ihr politisches Schicksal ohne Wenn und Aber in die Hände eines Anfang-Dreißigers gelegt hat? Karl Nehammer wird mehr als bisher einfallen müssen, damit diese lodernde Lunte in der ÖVP nicht neue innerparteiliche Detonationen auslöst.

Auf Sicht hat er dabei mehr Zeit als im immer unberechenbaren politischen Alltag üblich ist. Die Comeback-Fantasien von Kurz & Co werden auch von einflussreichen ÖVP-Kreisen und Millionärs-Zirkeln zwar mehr denn je kräftig befeuert.

Gerichtsverfahren als Faktor

Die ÖVP-interne Debatte "War Kurz ein Fehler oder fehlt er?" macht demnächst aber nolens volens in der Justiz Station. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Kurz im Laufe des heurigen Jahres wegen falscher Zeugenaussage im Ibiza-U-Ausschuss vor Gericht muss.

Wirklich eng könnte es juristisch und politisch freilich für ihn werden, wenn auch das zweite anhängige Justiz-Verfahren gerichtlich schlagend wird. Denn: Wird Sebastian Kurz wegen falscher Zeugenaussage nicht nur angeklagt, sondern auch verurteilt, dann dräut dem jüngsten Alt-Kanzler massiv Ungemach.

In einem allfälligen Verfahren wegen des Verdachts der Inseraten-Korruption würde dem dann nicht mehr Unbescholtenen als erstem österreichischem Regierungschef a. D. eine unbedingte Strafe drohen. 

Dann stellen sich nicht nur für seine Fans und Gegner ganz andere Fragen als "War Kurz ein Fehler oder fehlt er?"

Josef Votzi ist Journalist und Kolumnist des Magazin "Trend": Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage" jeden Freitag neu auf trend.at

ribbon Zusammenfassung
  • 2018 konnte die ÖVP ihre Allmacht in NÖ dank Türkis noch einmal absichern.
  • 2023 hat sie diese krachend verspielt. Das 'Warum' spaltet die Partei: War die One-Man-Show um Sebastian Kurz "ein Fehler" oder "fehlt er?"