Mehr Mut zur Courage, Herr Präsident – Wann, wenn nicht jetzt
Die Wortmeldung ging beim Wahkampf-Auftakt von Alexander Van der Bellen im Wiener Museumsquartier Anfang September unter. Nach dem Einmarsch der Blasmusik und der Rede des ÖVP-Altbürgermeisters aus dem Kaunertal kam auch die Kabarettistin Caroline Athanasiadis zu Wort.
Sie verpackte in ihre kurze Werbebotschaft für den Wiederwahl-Kandidaten einen Satz, der für Van der Bellens Wahlkampfteam total unerwartet kam. Sie habe sich über seine gelegentlich mahnenden Wortmeldungen aus der Hofburg immer wieder sehr gefreut. Aber, proklamierte die VDB-Fanin freundlich, aber bestimmt: "Sie können ruhig ein bissel mehr sagen, ich höre sie gerne."
Pflichterfüllung, keine Kür
Der Amtsinhaber legte die paar Wochen Wahlwerbung danach wie seine sechs Amtsjahre zuvor an: Durchaus ambitioniert in der Pflichterfüllung, aber ohne besondere Kür.
Ein tadelloser Lotse, mit dem Logbuch der Verfassung in der Hand, durch das Krisenmeer: Von Ibiza über Corona bis zur Aktenverweigerung der ÖVP für den U-Ausschuss; vom ersten erfolgreichen Misstrauensantrag gegen einen Regierungschef bis zur Nominierung der ersten Frau zur Kanzlerin einer breit respektierten Experten-Regierung. Was immer auf dem Schreibtisch der Hofburg landete, wurde unterm Strich tadellos erledigt.
Aber reichen sechs halbwegs tadellose Amtsjahre als Programm für eine Wiederwahl?
Marco Pogo als Magnet für enttäuschte VDB-Wähler
Die Rechnung dafür bekam Van der Bellen nicht von seinen vermeintlich größten Gegnern, den vier Gegenkandidaten rechts der Mitte, serviert. Der im ersten Anlauf zum zweiten Wahlgangs 2016 "arschknapp" gewählte Bundespräsident hat offenbar sein eigenes Wähler-Potential nachhaltig enttäuscht.
Der Erfolg im Spektrum links der Mitte und vor allem der (nach Auszählung der Wahlkarten möglicherweise fixe) zweite Platz für die Kunstfigur Marco Pogo in Wien zeigen: Für den amtierenden Präsidenten wäre mehr drin gewesen, wenn er sich im Wahlkampf nicht allein auf seinen Lorbeeren ausgeruht hätte.
VdBs Glück mit schwachem rechtem Quartett
Links der Mitte ein junger Kandidat, der Van der Bellen noch mehr in die Ecke des "grumpy old man" rückte. Rechts der Mitte gleich vier Gegenkandidaten: Van der Bellen hatte Glück, dass der farblose FPÖ-Funktionär Walter Rosenkranz auch im Wahlkampf blass blieb und die Newcomer Tassilo Wallentin, Gerald Grosz sowie Michael Brunner in Summe nicht stärker reüssieren konnten.
Mit seiner dürftigen Ansage, "More of the same", wäre der Amtsinhaber in einem zweiten Wahlgang noch ungeschützter dagestanden.
Es ist zu erwarten, dass sich Van der Bellen in seinem achten Lebensjahrzehnt nicht rasend ändern kann und will. Er wird auch seine zweite Amtsperiode halbwegs untadelig und - wenn gefordert - weiter krisenfest anlegen.
Dämme gegen staatszersetzende Misstrauenswelle
Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, ob Alexander Van der Bellen eine zentrale Botschaft dieses Wahlergebnisses verstanden hat. Mit "more of the same" wird er weitere Wähler enttäuschen und nicht erst bei der nächsten Bundespräsidenten-Wahl mehr Platz für die Wlaznys & Wallentins von morgen schaffen.
Der Stabilität und Regierbarkeit des Landes in historischen Krisenzeiten, für die Van der Bellen stehen will, würde er damit einen Bärendienst erweisen.
Angesichts der zunehmend staatszersetzenden Politiker-Verdrossenheit und des massiven Misstrauens in die staatstragenden Institutionen wäre dringend mehr Kür aus der Hofburg gefordert.
Der Demokratie in Österreich würde es gut tun, hätte es vom einzig direkt gewählten Staatstepräsentanten schon bisher mehr überparteiliche Initiativen gegeben: Vom konsequenten Kampf gegen Freunderlwirtschaft & Korruption bis hin zur tabulosen Erneuerung der Politik durch mehr Transparenz und Kontrolle.
Keine falsche Rücksichten mehr
Die massive Misstrauenswelle ist auch am Amt des Bundespräsidenten nicht spurlos vorüber gegangen. Alexander Van der Bellen besitzt nach wie vor die Statur und Glaubwürdigkeit, hier generell massiv gegenzusteuern. Diese natürliche Autorität ist nun auch durch die Wiederwahl neuerlich demokratisch untermauert. Jetzt, wo keine Wiederwahl mehr ansteht, braucht der bald 79-Jährige auch keine falschen Rücksichten mehr zu nehmen.
Mehr Mut zur Courage, Herr Van der Bellen - wann, wenn nicht jetzt!
Josef Votzi ist Journalist und Kolumnist des Magazin "Trend": Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage" jeden Freitag neu auf trend.at
Zusammenfassung
- Eine Wiederwahl mit Widerhaken: Van der Bellen hat es diesmal im ersten Anlauf geschafft, sein Potential aber bei weitem nicht ausgeschöpft.
- Was der Bundespräsident daraus lernen könnte und die Politik dringend lernen müsste.