Karners Weltblick: "Im Westen nichts Neues"
"Im Westen nichts Neues" lautete die zynische Sequenz der Berichterstattung der deutschen Kaiserlichen Armee über den Kriegsverlauf an der französischen Front im 1. Weltkrieg. Zynisch deswegen, weil sie eine offizielle, auf die militärisch-operative Lage verengte Sicht wiedergab. In deren Verständnis zeigten sich eben kaum Veränderungen des Frontverlaufs, während die Tatsache, dass dieser Stillstand der militärischen Lage täglich mit tausenden Opfern unter den Soldaten beider Seiten und unendlichem menschlichen Leid erkauft wurde, einfach ausgeblendet wurde.
Der berühmte Roman von Erich Maria Remarque mit diesem Titel und auch seine Verfilmungen (übrigens auch die aktuelle) dürften ein recht zutreffendes Bild von diesem Krieg zeichnen – und furchtbarer Weise auch von dem, was derzeit in der Ostukraine geschieht. Auch dort bewegen sich die Fronten pro Tag vielleicht gerade einmal ein paar Meter, und auch dort liegen Gefallene und Verwundete täglich im Schlamm und ihrem Blut. Besonders die in Gefängnissen rekrutierten Söldner der Wagner-Gruppe und die mobilgemachten Reservisten der russischen Armee sollen nach übereinstimmenden Angaben verlässlicher Quellen aktuell dort täglich Verluste im vierstelligen Bereich erleiden.
Krieg hat sich nicht verändert
Ich denke, es ist wichtiger denn je, sich dies vor Augen zu führen, so abstoßend und erschreckend dabei auftauchende Bilder auch sind. Mehr als 100 Jahre nach Ende des 1. Weltkriegs und trotz aller fortgeschrittenen Waffentechnik bekämpfen einander Menschen heute immer noch in einer sehr ähnlichen Art und Weise. Der seither enorme technologische Fortschritt war offensichtlich nicht von einem ähnlichen in ethischer Hinsicht und in den Beziehungen der Staaten untereinander begleitet.
Der Überfall Russlands auf die Ukraine zeigt dies in erschreckender Deutlichkeit auf. Und er markiert neben dem Bruch aller seit 1991 eingegangenen vertraglichen Vereinbarungen für die Region selbst auch eine fundamentale Infragestellung der wichtigsten universellen Errungenschaften für die internationalen Beziehungen seit Ende des 2. Weltkrieges - wie etwa die Gründung der Vereinten Nationen und die Deklaration der Menschenrechte. Der Ausgang des Krieges in der Ukraine wird daher auch darüber entscheiden, ob in Hinkunft das Recht des Stärkeren oder doch die völkerrechtlichen Normen weiterhin zumindest eine Leitlinie des zwischenstaatlichen Verkehrs bilden werden. Bei aller fallweisen Unvollkommenheit in deren Umsetzung dürfen diese aus geschichtlicher Erfahrung und ethischer Erkenntnis entwickelten und als richtig erkannten Grundlagen staatlichen Handelns nicht weiter ausgehöhlt oder gar über Bord geworfen werden. Die Alternative wäre für die meisten Staaten letztlich die Botmäßigkeit gegenüber menschenverachtenden Regimes.
Das Schicksal von Flug MH-17
Gestützt wird diese These auch durch zwei weitere aktuelle Ereignisse: Nach Erkenntnissen der internationalen Ermittler hatte Wladimir Putin offenbar sehr wohl Anteil am Abschuss des Fluges MH-17 hat, der 2014 auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur über der Ostukraine erfolgte, und dem 298 Menschen zum Opfer fielen. Wer um die Entscheidungsstrukturen in Russland weiß, dem war immer schon klar, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass - entgegen aller Beteuerungen - die russische Führung keine Kenntnis über die Zurverfügungstellung modernster und weit reichender Fliegerabwehrwaffen an die russischen Separatisten hatte. Nun wird immer klarer, dass dieser Schritt offenbar von Putin selbst explizit genehmigt worden ist. Man sollte sich dabei auch in Erinnerung rufen, mit welchen – von Experten immer schon als fragwürdig betrachteten, aber seitens Russlands geradezu wütend verbreiteten - Narrativen russische Stellen versucht hatten, eine russische Schuld an diesem Abschuss abzustreiten. U. a. wurden Bilder verbreitet, die beweisen sollten, dass ukrainische Abfangjäger die Passagiermaschine abgeschossen hätten.
Eine weitere Katastrophe
Das Erdbeben in Nordsyrien und in den südlichen Grenzregionen der Türkei – nicht zuletzt ein kurdisches Siedlungsgebiet – hat entsetzlich vielen Menschen das Leben gekostet. Aber weder der schuldige Respekt gegenüber den Opfern, noch die Not der dort lebenden Menschen hindern offenbar in der ohnehin von kriegerischen Auseinandersetzungen geplagten Region das von Russland unterstützte syrische Regime, aber auch die Türkei daran, Angriffe gegen die mit der Katastrophenhilfe beschäftigten örtlichen Organisationen durchzuführen. Offenbar wollte man die Zeit "nutzen", bevor internationale Hilfsorganisationen vor Ort sind. Bestätigen sich diese Informationen, handelt es sich dabei um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die dafür Verantwortlichen werden dafür zur Rechenschaft zu ziehen sein. Aus militärischer Sicht lässt sich jedenfalls keine zwingende Begründung für diese Angriffe herleiten.
All das zeigt deutlich, wie machtvoll, entschlossen und brutal autoritäre Regimes ihre Ziele verfolgen. Sie tun dies nur vorgeblich im Interesse der jeweiligen Bevölkerungen, sondern beinahe ausschließlich zum Zweck des eigenen Machterhalts. Die Auswirkungen dieses Tuns spüren wir in Zentral- und Westeuropa sehr unmittelbar, sei es in Form von Flüchtlingsströmen oder von Wohlstandsverlust. Zu glauben, man könne sich dagegen abschotten, wäre politisch naiv. An einer geschlossenen und entschiedenen Haltung (und konkreten Taten) gegenüber derartigen Entwicklungen führt letztlich kein Weg vorbei, will man ihrer nachhaltig Herr werden. Ohne die Ergebnisse der Westeuropareise des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vorwegnehmen zu wollen, scheinen dies nunmehr doch immer mehr Nationen immer deutlicher zu erkennen.
Zusammenfassung
- Der berühmte Roman von Erich Maria Remarque mit diesem Titel und auch seine Verfilmungen dürften ein recht zutreffendes Bild von diesem Krieg zeichnen – und furchtbarer Weise auch von dem, was derzeit in der Ostukraine geschie