Martin Holzner/PULS 24

Auch das noch: Untreue ist ansteckend?

Von wegen trockene Zahlen. PULS 24 Kolumnistin Theresa Lachner bringt zusammen, was zusammen gehört: Sex und Statistik.

Man kann Monogamie als Beziehungsform natürlich erst mal gut finden, oder eben nicht – zumindest rein theoretisch haben wir ja inzwischen alle die Wahl. Und für viele von uns ist sie dann eben doch "das mit dem potentiell wenigsten Rumgenerve", also Monogamie, wie es mein pragmatischer Freund F kürzlich philosophierte. Also genau: theoretisch zumindest.

Denn praktisch funktioniert das ganze natürlich nur, wenn sich alle Beziehungsbeteiligten auch wirklich daran halten, und sich nicht doch noch die ein oder andere Affäre gönnen, ohne sich dafür von Schatzilein das "go" eingeholt zu haben – vermutlich auch, um besagtes "Generve" aka ein oft gar nicht so einfach zu führendes Gespräch zu vermeiden.

Und klar: leicht ist das mit diesem Treubleiben jetzt wirklich nicht immer unbedingt. Die Versuchung ist oft ähnlich groß wie die Auswahl, eine entsprechende App schneller installiert als das Ehegelübde aufgesagt. Die gängigen Strategien, um diesen Versuchungen zu widerstehen und die eigene monogame Beziehung zu schützen, sind laut einer US-amerikanischen Studie: attraktive Menschen einfach ignorieren, oder aber sie als weniger attraktiv wahrzunehmen als sie eigentlich sind.

Dumm nur: dieselbe Studie fand heraus, dass heterosexuell monogam lebende Menschen in einem Umfeld, in dem Untreue eher akzeptiert scheint, diese beziehungsschützenden Maßnahmen auch eher mal schnell links liegen lassen.

Oder einfacher gesagt: wer von Fremdgängern umgeben ist, fühlt sich anscheinend auch selbst mit dem Gedanken wohler, mal eben doch eine Affäre zu haben. Untreue ist also ansteckend.

Schon länger ist wissenschaftlich erwiesen, dass soziale Normen, die bestimmen, welches Verhalten als "normal" gilt, Menschen darin beeinflussen, wie sie ihre inneren Konflikte zwischen kurzfristigen Versuchungen und langfristigen Ziele lösen – etwa bei Alkoholkonsum, Glücksspiel oder Diebstahl.

In dieser Studie, die aus mehreren einzelnen Studien bestand, wurden die Teilnehmenden (alle heterosexuell und in einer monogamen Beziehung) mit dem betrügerischen Verhalten anderer Menschen konfrontiert – manche mit Fremdgehen, manche mit akademischen Plagiaten.

Anschließend wurden sie selbst in Versuchung geführt: Sie bekamen Bilder von attraktiven Unbekannten des anderen Geschlechts gezeigt und wurden befragt, ob sie sich diese Menschen als zukünftige Partner*innen vorstellen könnten. Die, die sich zuvor mit einer Aussage übers Fremdgehen beschäftigt hatten, antworteten deutlich häufiger "ja", als die, die sich mit Plagiaten befasst hatten – zeigten also ein potentiell höheres Interesse an einer neuen Beziehung. Autsch!

In der nächsten Studie wurden die Teilnehmenden mit zwei verschiedenen fiktiven Studienergebnissen konfrontiert: die eine Gruppe bekam gesagt, dass es in 85% aller Beziehungen Untreue gäbe, die andere, dass es bis zu 85% Betrugsfälle an Hochschulen gäbe.

Anschließend interagierten die Teilnehmenden in einer Messaging Plattform mit einem attraktiven wissenschaftlichen Mitarbeitenden des anderen Geschlechts – oder zumindest mit dessen Profilfoto. Dieser Lockvogel stellte besonders freundliche und persönliche Fragen und schrieb am Ende des Gesprächs, dass das Gegenüber sein bzw. ihr Interesse geweckt hätte, und man sich doch vielleicht bald mal persönlich wiedersehen sollte. Dann wurden die Teilnehmenden dazu aufgefordert, auf diese Nachricht zu antworten, den Sexappeal der Interviewerperson zu bewerten und die Verbindlichkeit ihrer aktuellen Beziehung einzuordnen. Außerdem wurde evaluiert, wie viel Mühe sich die Befragten gaben, ihren sexy Lockvogel tatsächlich in echt kennenzulernen.

Das Ergebnis war wieder aua: die Teilnehmenden, die zuvor mit der Zahl zu romantischer Untreue konfrontiert waren, zeigten weniger Commitment zu ihrer aktuellen Beziehung als die, die mit akademischem Betrug in Berührung kamen. Außerdem fühlten sich Männer insgesamt deutlich weniger gebunden als Frauen – egal, ob man sie zuvor mit romantischem oder akademischem Betrug konfrontiert hatte.

Die Schlussfolgerung der Wissenschaftler*innen: Ein Umfeld, in dem Untreue normal ist, könnte ohnehin vulnerablen Menschen eine Rechtfertigung dafür geben, ihre Langzeitpriorität "Stabile monogame Beziehung" zugunsten von schnellen Versuchungen über den Haufen zu werfen.

Vielleicht doch lieber mal ein paar eventuell etwas unbequeme Gespräche führen?

Theresa Lachner ist systemische Sexualberaterin und Gründerin des größten deutschsprachigen Sexblogs LVSTPRINZIP sowie des gleichnamigen Podcasts und Buchs.

Quellen:

https://link.springer.com/article/10.1007/s10508-022-02392-7

https://www.vice.com/en/article/y3pqpg/why-people-cheat-partners-love-relationships-science-contagious

https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/1088868312467087

https://www.psypost.org/2022/08/is-infidelity-contagious-research-shows-how-exposure-to-norms-of-adultery-can-damage-your-relationship-63810

ribbon Zusammenfassung
  • Man kann Monogamie als Beziehungsform natürlich erst mal gut finden, oder eben nicht – zumindest rein theoretisch haben wir ja inzwischen alle die Wahl.
  • Und für viele von uns ist sie dann eben doch "das mit dem potentiell wenigsten Rumgenerve", also Monogamie, wie es mein pragmatischer Freund F kürzlich philosophierte.
  • Also genau: theoretisch zumindest.
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