Bernhard Eisel: "Die Vuelta ist extrem schwierig"
In den nächsten drei Wochen dreht sich im Radsportzirkus alles um La Vuelta Ciclista a España ... kurz: Vuelta a España ... noch kürzer: die Vuelta. Nach dem Giro d'Italia und der Tour de France ist die Spanien-Rundfahrt die dritte und letzte Grand Tour im Rennkalender der Männer.
Bernhard Eisel, einer der einflussreichsten österreichischen Radprofis der letzten 20 Jahre, wird die Vuelta diesmal nicht als TV-Experte für Eurosport und das Global Cycling Network (GCN) verfolgen. Stattdessen wird Eisel als Sportlicher Leiter des deutschen Rennstalls BORA-hansgrohe live vor Ort sein.
PULS 24: Am Wochenende beginnt die 78. Auflage der Vuelta. Was macht die Spanien-Rundfahrt zu einem derartigen Phänomen?
Bernhard Eisel: Zum einen ist die Vuelta ein guter Einstieg für junge Fahrer - so wie der Giro. Ein besonderes Highlight ist es natürlich für die spanischen Fahrer. Zudem ist die Vuelta für manche Profis wie ein Notnagel. Warst du beim Giro krank und hattest bei der Tour etwas Pech - da kann dann die Spanien-Rundfahrt nochmal zum großen Ziel werden. Besonders in diesem Jahr sehen wir das mit einem ordentlichen Star-Aufgebot.
Sie sind einer der wenigen Österreicher, der alle drei Grand Tours bestritten hat. Die Vuelta haben Sie aber nie beendet. Was unterscheidet sie von den anderen Landesrundfahrten?
Zweimal musste ich krankheitsbedingt aufgeben, das dritte Mal wegen der Weltmeisterschaften 2006 in Salzburg. Im Endeffekt ist die Vuelta eine extrem schwierige Rundfahrt. In den Herbst hinein ein hohes Leistungslevel aufzubauen, das ist richtig schwierig. Hinzu kommt die spanische Hitze. Wenn es flach ist, ist es in richtig flach - und wenn bergig, so richtig bergig. Das haben wir auch in diesem Jahr mit unglaublich harten Etappen.
Zum Start am Samstag steht ein spektakuläres Mannschaftszeitfahren in Barcelona an. Acht der 21 Etappen haben mindestens 3.300 Höhenmeter. Welche Tage im Rennkalender haben Sie als BORA-Sportdirekor besonders fett markiert?
Da gibt es sehr, sehr viele. Die Flachetappen sind für uns nicht so wichtig. Da konzentrieren wir uns lieber darauf, sicher ins Ziel zu kommen. Für den Rest musst du als Gesamtklassement-Team jeden Zentimeter kennen und jederzeit bereit sein. Im modernen Radsport wird zwei Stunden vor dem Ziel mittlerweile ein Tempo gefahren, wie früher erst im Finale.
In Frankreich hatten die Österreicher einen starken Auftritt - allen voran Etappensieger Felix Gall. Bei der Vuelta wird Österreich aber nur durch einen Profi, Tobias Bayer (Alpecin-Deceuninck), vertreten sein. Warum?
Wenn wir ehrlich sind: Die meisten Österreicher sind mittlerweile zu wertvoll für die Vuelta, haben ihre Saisonziele bereits hinter sich gebracht. Viele waren bei der Tour und dem Giro die zweit- und drittwichtigsten Fahrer hinter ihren Kapitänen. Das ist schon ganz großes Kino. Bei jenen, die die Tour gefahren sind, schaut man dann lieber, welche anderen Rennen, die nicht drei Wochen lang sind, im Kalender stehen. Das ist auch ein kleines Dankeschön des Teams.
Die Saison 2023 hat bereits für einige besondere Momente gesorgt, wurde aber von zwei tödlichen Stürzen überschattet: Gino Mäder bei der Tour de Suisse und einem erst 17-jährigen Italiener in Oberösterreich. Wird der Radsport gefährlicher, vielleicht sogar zu gefährlich?
Teils, teils. Er wird insofern gefährlicher, weil er professioneller geworden ist und dadurch schneller gefahren wird. Durch die knappen Abstände wird mehr Risiko genommen. Die Veranstalter versuchen, das Maximum der Sicherheit für die Fahrer herauszuholen. Bei beiden Fällen kann man dem Veranstalter keine Fahrlässigkeit nachsagen. Wir haben ganz viele Fälle, die etwas glimpflicher ausgehen - werden wir auch bei der Vuelta haben. Es ist aber definitiv ein Weckruf für alle miteinander: Wo hört Mut auf und wo beginnt der Leichtsinn?
Abschließend, als TV-Experte sind Sie das ja schon gewohnt: Wer krönt sich zum Sieger der Vuelta 2023?
Es wird extrem spannend, wir haben so eine unglaubliche Dichte. Primož Roglič und Jonas Vingegaard bei Jumbo, Juan Ayuso und João Almeida bei UAE. Wir bei BORA hoffen auf Aleksandr Vlasov und Cian Uijtdebroeks als Doppelspitze. Remco Evenpoel kommt da natürlich dazu, Geraint Thomas darf man nie unterschätzen. Enric Mas hat schon oft bewiesen, dass er bei Grand Tours immer wieder für ein Podium gut ist. Ich erwarte ein ziemliches taktisches Geplänkel - und dann wird sich zeigen, wer ganz oben stehen wird.
Zur Person: Bernhard Eisel (42) stammt aus Voitsberg in der Steiermark. In seiner aktiven Karriere bestritt er zwölfmal die Tour de France und galt als einer der wichtigsten Helfer von Sprint-Superstar Mark Cavendish. Seit seinem Rücktritt (2020) ist der dreifache österreichische "Radsportler des Jahres" als Co-Kommentator/Experte bei Eurosport und GCN tätig. Im Vorjahr wurde Eisel der Sportliche Leiter von BORA-hansgrohe.
Zusammenfassung
- Am Samstag startet die berüchtigte Vuelta a España.
- Bernhard Eisel wird als Sportlicher Leiter von BORA-hansgrohe live vor Ort sein.
- Im Interview mit PULS 24 erklärt der österreichische Ex-Profi, was die Spanien-Rundfahrt so besonders macht.
- Plus: Wird der Radsport immer gefährlicher, vielleicht sogar zu gefährlich?