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Wie die Wiener Polizei nach häuslicher Gewalt vorgeht

350 bis 360 Betretungsverbote pro Monat spricht die Polizei in Wien bei häuslicher Gewalt aus. Die weitere langfristige Betreuung von Betroffenen nach schweren Gewaltakten übernehmen seit Oktober 2023 die Spezialistinnen und Spezialisten des Opferschutzzentrums. Im Fokus steht Prävention. Die Arbeit umfasse dabei nicht nur Gefährdungsanalysen, sondern umfassende Gespräche mit Opfern als auch Gefährdern, sagte Sprecher Markus Dittrich von der Landespolizeidirektion zur APA.

Die Wiener Polizei stellte die Arbeit mit Opfern (in der Regel Frauen und Kinder) nach Evaluierung einer Projektarbeit aus 2022 zuletzt auf neue Beine und etablierte im vergangenen Jahr das Opferschutzzentrum als Teil des Landeskriminalamts (LKA) im Probebetrieb mit 14 Beamten und Beamtinnen. Diese nehmen auch an Fallkonferenzen teil und sind mit Partnerorganisationen vernetzt.

Allein in den ersten drei Monaten gingen laut Polizei rund 190 Hochrisiko-Akte ein - Fälle, "wo eine schwere Körperverletzung oder gar eine Todesfolge sogar erwartet werden kann", wie Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl vor kurzem im APA-Gespräch erklärte. "Irgendwann laufen Betretungs- und Annäherungsverbote aus, aber wir wollen jemanden haben, der lange darauf schaut, wie es in der Familie weitergeht, ob sich eventuell auch neue Gefährdungssituationen ergeben", begründete Pürstl damals die Entscheidung für die Neustrukturierung.

Bei Amtshandlungen zu einem Betretungs- und Annäherungsverbot wird von der Polizei stets der "GiP-Support (Gewalt in der Privatsphäre)" zur niedrigschwelligen Risikoeinschätzung nach einem standardisierten Verfahren kontaktiert. Dabei gebe es drei Stufen: "Niedriges Risiko, erhöhtes Risiko oder Hochrisiko für erneute Gewalttätigkeiten", führte Dittrich aus. "Ab dem Zeitpunkt, wo im GiP-Support ein Hochrisiko als Ergebnis aufscheint, wird dieses sofort an das Opferschutzzentrum weitergeleitet."

Dort erstellen die Beamtinnen und Beamten daraufhin individuelle Gefährdungsanalysen und evaluieren Risiken für eine mögliche weitere Gewalteskalation. "Konnte eine unbehandelte Alkoholsucht als eindeutiger Auslöser des gewalttätigen Verhaltens in den letzten Jahren verifiziert werden, werden eine freiwillige Abstinenz thematisiert und Kontaktdaten zu einer professionell unterstützten Entzugstherapie zur Verfügung gestellt", schildert Dittrich ein Beispiel. Parallel dazu gibt es Gespräche mit dem Opfer über Verhaltensmuster des Gefährders, "die anzeigen, dass die Situation wieder eskalieren könnte und wie sich das Opfer am besten verhalten könnte".

Im Zuge der Opferschutzarbeit werden auch weitere Informationen zu beiden Personen wie "möglicher Drogenkonsum, belastende Ereignisse in der Vergangenheit, zukünftige Ereignisse oder psychische Probleme erfragt", um die maßgeschneiderten Gefährdungsanalysen noch treffsicherer zu machen und die Schritte individuell an den Fall anzupassen. Begleitend setzen die Sicherheitshauptreferenten der jeweiligen Bezirke oder Juristen des LKA stets sicherheitsbehördliche Maßnahmen.

Im weiteren Verlauf der Arbeit folge stets ein Monitoring samt weiteren Gesprächsterminen mit Opfer und früherem Täter. Nachgefragt werde dann bei solchen Gesprächen unter anderem zum aktuellen Status der beiden, Vorfällen in der Zwischenzeit und zur Sicherheit. In jedem Fall erfolgt zudem ein direkter Austausch mit dem Wiener Gewaltschutzzentrum und dem Bewährungshilfe-Verein Neustart. Von der Polizei werde stets das persönliche Gespräch gesucht. "Die Häufigkeit der Gespräche richtet sich einerseits nach der Risikostufe und andererseits nach der Kooperationsbereitschaft von Opfer und Gefährder."

Für die fordernde Arbeit werden die Präventionsbeamtinnen und- beamten speziell psychologisch geschult. "Die Schulung beinhaltet wesentliche Bestandteile einer Risikoprognose und andererseits einen Überblick über psychische Erkrankungen und eine angepasste Kommunikation für besonders traumatisierte Opfer oder auch Täter mit psychischen Erkrankungen." Auch Beamte mit abgeschlossenem Psychologie-Studium oder einer pädagogischen Ausbildung befinden sich im Team.

Obwohl Opfer in der Regel Frauen oder Kindern seien, komme es auch vor, dass sich Männer an das Opferschutzzentrum wenden. "Zudem gibt es auch einige Männer, die als Gefährder genauso froh sind, wenn sie ihre Probleme auch einmal erzählen können", so der Sprecher.

(S E R V I C E - Die Wiener Polizei ist Ansprechpartner für Personen, die Gewalt wahrnehmen oder selbst Opfer von Gewalt sind. Der Polizei-Notruf ist unter der Nummer 133 jederzeit erreichbar. Die Kriminalprävention des Landeskriminalamt Wien bietet darüber hinaus persönliche Beratungen unter der Hotline 0800 216346 an.

Weitere Ansprechpartner: Frauenhelpline 0800 222 555, Gewaltschutzzentrum 01 585 32 88, Opfer-Notruf 0800 112 112 Notruf des Vereins der Wiener Frauenhäuser 05 77 2, Männerberatungsstelle 01/603 28 28)

(Von Nikolaus Pichler/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Die Wiener Polizei verhängt monatlich 350 bis 360 Betretungsverbote bei häuslicher Gewalt. Seit Oktober 2023 übernimmt das Opferschutzzentrum die langfristige Betreuung der Betroffenen.
  • In den ersten drei Monaten gingen bei der Polizei rund 190 Hochrisiko-Akte ein. Das Opferschutzzentrum erstellt individuelle Gefährdungsanalysen und führt umfassende Gespräche mit Opfern und Gefährdern.
  • Die Präventionsbeamtinnen und -beamten des Opferschutzzentrums sind speziell psychologisch geschult. Sie sammeln umfangreiche Informationen über die Betroffenen und passen die Maßnahmen individuell an den jeweiligen Fall an.