Eingang vom ArbeiterheimKonstantin Auer / PULS 24

Zurück nach Favoriten: Wo die "Festung" der SPÖ entsteht

Favoriten statt Innerer Stadt: Die SPÖ will von der Löwelstraße in die Laxenburger Straße ziehen. Wo derzeit noch Geflüchtete unterkommen, soll die neue Parteizentrale entstehen. Warum will die SPÖ ihre "Festung der Solidarität" genau dort errichten? Eine PULS 24 Spurensuche.

"Back to the roots" ist dieser Tage das Motto der SPÖ. Der neue Parteivorsitzende Andreas Babler, zwischendurch Marxist, besinnt sich auf Arbeitnehmerrechte und starke Gewerkschaften.

"Back to the roots" heißt es auch von den Wiener Roten. Die Gremien haben beschlossen, aus der baufälligen Löwelstraße hinterm Burgtheater, neben dem Café Landtmann auszuziehen. Es soll zurück nach Favoriten, ins ehemalige Arbeiterheim in der Laxenburger Straße, gehen. 2026 soll es so weit sein. Die Bundespartei könnte folgen.

Hier, gegenüber einem Pfandhaus, zwischen dem türkischen Supermarkt namens "Tropical Minimarkt", dem "Mona Hairsalon" und dem Balkan-Grill "La Koliba" soll die neue SPÖ-Zentrale entstehen. Heute kommen hier noch rund 300 Geflüchtete und Wohnungslose unter. Für sie soll in den nächsten drei Jahren ein neues Quartier gefunden werden.

Fassade des ArbeiterheimsKonstantin Auer / PULS 24

Bei zumindest einem der Nachbarn stoßen diese Pläne derzeit noch auf Skepsis. "Jein", antwortet Soner Noyan, Verkäufer beim "Tropical Minimarkt" auf die Frage, ob er sich auf den Umzug der SPÖ freue.

Er fürchtet um Parkplätze – das ehemalige Arbeiterheim hat schließlich keine Tiefgarage. Und er fürchtet, dass Kunden ausbleiben. Die Geflüchteten fühlen sich hier "wohl", sagt er. Man kümmere sich hier gut um sie  - und sie kaufen regelmäßig bei ihm ein. Da der Minimarkt in einem Gemeindebau sei, könne er niedrige Preise anbieten.

Soner Noyan, Verkäufer beim "Tropical Minimarkt"Konstantin Auer / PULS 24

Soner Noyan, Verkäufer beim "Tropical Minimarkt"

"Die Beamten", wie er die Mitarbeiter:innen der SPÖ bezeichnet, hätten dann sicher "Spezialwünsche", denen er nicht nachkommen könne. Flexibel sei er aber, betont der Verkäufer, der sich selbst als "Fan" der SPÖ bezeichnet. So wolle er zukünftig auch Sandwiches ins Sortiment nehmen. Vielleicht würden die auch "den Beamten" schmecken.

Ein einzigartiges Konzept

Entspannter sieht man die Pläne der SPÖ beim Fonds Soziales Wien (FSW), dessen Tochtergesellschaft "FSW Obdach" die geflüchteten und wohnungslosen Menschen im "Obdach Favorita" betreut. "Wir können das Interesse der SPÖ Wien an dem geschichtsträchtigen Haus nachvollziehen und stehen gerade am Beginn der Gespräche für den weiteren Fahrplan", heißt es. Die Einrichtungen des FSW seien ohnehin in ganz Wien verteilt und "Absiedelungen und Schließungen gehören dazu".

Wir können das Interesse der SPÖ Wien an dem geschichtsträchtigen Haus nachvollziehen

Fonds Soziales Wien

Das zeigt auch die Geschichte: 2015 zogen erstmals Geflüchtete in das ehemalige Arbeiterheim ein. Damals betreute der Samariterbund das Notquartier, das im Zuge der Flüchtlingsbewegung eröffnet wurde.

2019 wurde dann die Geflüchtetenunterkunft im Geriatriezentrum Am Wienerwald geschlossen – die Menschen zogen ins "Hotel Favorita" im ehemaligen Arbeiterheim. Die Betreuung übernahm "FSW Obdach". Bis heute sind Menschen mit zahlreichen Nationalitäten, die meisten aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder der Ukraine, vertreten.

"Chancenhaus" ist "voll ausgelastet"

Die FPÖ protestierte damals gegen den Umzug der Geflüchteten von Hietzing nach Favoriten. Doch wegen seiner Lage beim Keplerplatz, in der Nähe des Hauptbahnhofes, bei Klient:innen und Mitarbeiter:innen sehr beliebt, entstand ein bisher einzigartiges Projekt in Wien: Hier gibt es in einem Haus neben der Grundversorgungseinrichtung für rund 115 Geflüchtete eben auch 156 Plätze für wohnungslose Familien und 38 Einzelplätze für Frauen in Notsituationen.

Drei Monate können sie auch ohne Förderbewilligung, also Anspruch auf Sozialleistungen, im "Chancenhaus" bleiben, wo sie bei der Zukunftsplanung unterstützt werden. Man sei derzeit "voll ausgelastet".

Zeichnungen an den WändenKonstantin Auer / PULS 24

Über 100 Kinder leben in dem Haus. Wie in Wiener Gemeindebauten üblich, hängt im Innenhof ein Schild: "Ballspielen verboten". Die Kinder spielen trotzdem im Schatten des Baumes, neben dem Gemüsebeet, in dem Zucchini und Kräuter wachsen. So richtig übel nimmt ihnen das hier niemand.

In einem der oberen Stockwerke des Hauses hat eine Künstlerin die sonst kahlen Wände für sie bunt bemalt. Lesende Kinder, die auf Bücherstapeln sitzen, sind zu sehen und Bären, die mit einer Eisenbahn spielen. Selbst eine kleine Bibliothek mit Kinderbüchern gibt es. Es gibt in dem in die Jahre gekommenen Gebäude zwei Räume, in denen Mitarbeiter:innen oder Freiwillige bei Hausübungen unterstützen und in Kooperation etwa mit den Kinderfreunden und der Sportunion Betreuung anbieten. Die Jüngsten können hier unterkommen, wenn ihre Eltern zu Behörden müssen oder im Deutschkurs sind.

Neues Quartier wird gesucht

2019 investierte der FSW in das Haus – so wurden etwa mobile Küchen angeschafft – nun mache man sich auf die Suche nach passenden Alternativen und ist zuversichtlich, fündig zu werden. Mit der im FSW angesiedelten "Wohnplattform Wien" habe man schließlich Kontakte zu Bauträgern und Immobilienbesitzer:innen, betont man, und könne so auch selbst Immobilien für soziale Einrichtungen und Projekte suchen.

Mehr Umbauarbeiten am ehemaligen Arbeiterheim wird wohl die SPÖ Wien vornehmen müssen. Leicht wird das vermutlich nicht, ist ja schon die Fassade mit ihren rostbraunen Verzierungen unter Denkmalschutz. Vieles im Inneren erinnert noch an das Hotel, das hier von 1992 bis 2014 Gäste empfing.

Beschilderung, die an Hotel erinnertKonstantin Auer / PULS 24

Die schier endlosen Gänge tragen – zugeschnitten auf Wien-Touristen – immer noch Namen wie "Adolf Loos", "Oskar Kokoschka" oder "Otto Wagner". Der Teppichboden ist fleckig und ausgeblichen. Noch immer sind in allen sechs Stockwerken Wegweiser zur Rezeption und zu Seminarräumen angebracht. An jeder Tür hängt noch die Zimmernummer, auch die Badezimmer nutzten schon die Gäste des "Trend-Hotel Favorita".

"Festung der Solidarität"

Im untersten Stockwerk erinnern die schlicht eingerichteten Zimmer ein wenig an Gefängniszellen, vor den Fenstern befinden sich Gitter. Wie viele Gebäude aus dem Roten Wien, wurde auch dieser Komplex vor den Februarkämpfen als "Festung" für die Arbeiter errichtet. Von einer "Festung der Solidarität" spricht die SPÖ Wien noch heute.

Schlafzimmer in der FlüchtlingsunterkunftKonstantin Auer / PULS 24

Wer verstehen will, warum die Roten hierher zurückwollen, muss nach hinten gehen. Nicht nur zeitlich, sondern auch im Gebäude selbst.

Das erste Kino in Favoriten

Eröffnet wurde der Komplex, der vom Otto Wagner-Schüler Hubert Gessner geplant wurde, im Jahre 1902. Möglich war der Bau, weil sich Viktor Adler persönlich dafür einsetzte und die Ottakringer Brauerei einen Kredit gewährte. Das "Arbeiterheim Favoriten" beherbergte Vereins- und Versammlungsräume für die Arbeiterbewegung. Es gab Bildungsangebote, ein Restaurant, eine Konsum-Filiale, eine Sporthalle und das erste Kino in Favoriten. Die Sozialdemokraten hielten hier zahlreiche Parteitage ab – auch den letzten, bevor die Partei 1933 verboten wurde. Es zogen dann die Austrofaschisten, die Nationalsozialisten und schließlich die sowjetrussische Kommandatur in das Gebäude ein, ehe es 1952 wieder zum Arbeiterheim wurde.

InnenhofKonstantin Auer / PULS 24

"Jeder Favoritner kam ins Kino zur SPÖ", ist Konstantin Böck, Geschäftsführer der SPÖ Favoriten, noch heute stolz. Die Bezirkspartei bezog in den 1990er-Jahren den hinteren Zubau des Komplexes. Auch Böck hat hier sein Büro.

Jeder Favoritner kam ins Kino zur SPÖ

Konstantin Böck

In diesem hinteren Teil – Eingang Jagdgasse - erinnern die Stiegenhäuser noch stark an den von Otto Wagner geprägten Jugendstil. Selbst der Grünton an den Türen steht hier unter Denkmalschutz, im Ballsaal erinnert eine Wandmalerei an die Gründung des Heims durch Viktor Adler. "Das Recht auf die Frucht der Arbeit", wünscht man sich darauf. Auch sie ist geschützt.

Wandmalerei erinnert an Viktor AdlerKonstantin Auer / PULS 24

Bilder von Michael Ludwig und noch viel öfter Bruno Kreisky säumen die Wände der SPÖ Favoriten. Im Sitzungsaal, wo früher die Favoritner Judokas und Gewichtsheber trainierten, ehrt seit den 90ern eine Ausstellung die Errungenschaften der Sozialdemokratie. Bezirksgeschäftsführer Konstantin Böck wollte sie einmal updaten – doch den älteren Genossen sei das nicht recht gewesen, sagt er. Zu viele Erinnerungen hängen daran.

Grüne Türen sind denkmalgeschütztKonstantin / PULS 24

Als das Haus während der 80er-Jahre an Bedeutung verlor und wegen Baufälligkeit immer mehr Vereine auszogen, drohte die SPÖ-Favoriten im Streit mit der Landespartei, nicht beim 1. Mai mitzumarschieren. Man warf der Landespartei vor, das Haus verfallen zu lassen. Der Einzug des Hotels verhinderte den Eklat.

Bezirk, Land und Bund sollen vereint werden

2026 sollen Bezirks – und Landespartei und später eventuell die Bundespartei wieder in dem Gebäude vereint werden. Die Stimmung in den SPÖ-Organisationen sei seit dem Beschluss der Gremien großartig, betont man. Schon jetzt würden Funktionäre fragen, wo sie denn einmal sitzen werden, heißt es.

Bruno KreiskyKonstantin Auer / PULS 24

So genau wisse man das natürlich noch nicht. Ziel sei es, das Gebäude zu kaufen, aber auch eine Mietlösung will man bei der Wiener SPÖ nicht ausschließen. Man müsse eben erst mit den Eigentümern verhandeln. Die Mehrheit hält eine Bank-Austria-Tochter, aber auch der Verein Wiener Arbeiterheime ist beteiligt. Wie teuer der Umbau wird, soll dann ein Gutachten klären.

Zukunft der Löwelstraße ungewiss

Dass die Bundespartei folgt, gilt als wahrscheinlich. Ein gemeinsamer Standort sei nach wie vor das Ziel, teilt die SPÖ mit. In der Löwelstraße zahlt man zwar nur rund 12.000 Euro Miete im Monat, der Zustand des Gebäudes sei aber "nicht mehr tragbar". Die Kosten eines Umbaus können "derzeit nicht beziffert werden", heißt es von der Bundespartei.

Sitzungssaal der SPÖ FavoritenKonstantin Auer / PULS 24

Sitzungssaal der SPÖ Favoriten

Eigentümer des Prunkgebäudes am Ring ist die Stadt Wien, die derzeit auf laufende Mietverträge mit der Partei verweist und sich laut eigenen Angaben noch keine Gedanken gemacht hat, wie es dort nach einer etwaigen Kündigung weitergeht.

Stiegenhaus in der FlüchtlingsunterkunftKonstantin Auer / PULS 24

Stiegenhaus in der Flüchtlingsunterkunft

Im Arbeiterheim in Favoriten will die SPÖ jedenfalls alte Traditionen wieder hochleben lassen. So will man etwa in einem Café und in Begegnungszonen mit Menschen ins Gespräch kommen und auch das Kino wieder eröffnen. Die Bezirkspartei – und da "vor allem die Älteren - freuen sich mega", sagt Konstantin Böck.

"Back to the roots"

Er wirkt nur wenig wehmütig, als er erzählt, dass die Sitzungen der Bezirkspartei teils unterbrochen werden mussten, weil die im Innenhof spielenden Kinder an die Scheiben klopften. Wenn die Landespartei kommt, müssen die Kinder umziehen. Die SPÖ wolle eben "back to the roots", sagt auch Böck.

ribbon Zusammenfassung
  • Favoriten statt Innere Stadt: Die SPÖ will von der Löwelstraße in die Laxenburger Straße ziehen.
  • Wo derzeit noch Geflüchtete unterkommen, soll eine neue Parteizentrale entstehen.
  • Warum will die SPÖ ihre "Festung der Solidarität" genau dort errichten? Eine PULS 24 Spurensuche.