APA/APA/AFP (Archivbild)/JOE KLAMAR

Ukraine-Krieg: IAEA in Sorge wegen russischen AKW Kursk

Angesichts des ukrainischen Vorstoßes auf das russische Gebiet Kursk warnt die Internationale Atomenergiebehörde IAEA vor möglichen Gefahren für das dortige Kernkraftwerk. IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi rief am Freitagabend in Wien beide Seiten auf, sich an die Regeln für nukleare Sicherheit in Konfliktgebieten zu halten. Die Ukraine wehrt seit fast zweieinhalb Jahren eine großangelegte russische Invasion ab.

Der tatsächliche Umfang und die genauen Ziele des ukrainischen Vorstoßes über die Grenze seit Dienstag blieben weiter unklar. Es werde von "signifikanten militärischen Aktivitäten" in der Region berichtet, erklärte Grossi. "Zu diesem Zeitpunkt möchte ich an alle Seiten appellieren, sich maximal zurückzuhalten, um einen nuklearen Unfall mit potenziell ernsten Strahlungsfolgen zu vermeiden."

Wegen des Vordringens ukrainischer Truppen im russischen Gebiet Kursk werden bereits Arbeiter von der Baustelle für zwei neue Atomreaktoren im Kernkraftwerk Kursk abgezogen. Die Zahl der Bauarbeiter werde vorübergehend reduziert, teilte die Firma Atomstroieksport mit, eine Tochter des staatlichen russischen Nuklearkonzerns Rosatom. Die anderen Fachkräfte setzten die Arbeit wie geplant fort. In dem AKW werden zwei Reaktoren neu gebaut, um die zwei ältesten, bereits stillgelegten Blöcke des Werks zu ersetzen. Im Betrieb sind zwei weitere Reaktoren.

Das Atomkraftwerk Kursk in der Stadt Kurtschatow wird immer wieder als ein mögliches Ziel des am Dienstag begonnenen Vorstoßes auf russisches Gebiet genannt. Es liegt allerdings etwa 60 Kilometer weit von der Grenze entfernt. Die weitesten Vorstöße ukrainischer Trupps, die berichtet, aber nicht bestätigt wurden, reichten gut 30 Kilometer nach Russland hinein. Die russische Nationalgarde hatte nach offiziellen Angaben den Schutz des Kraftwerks nach Bekanntwerden der ukrainischen Offensive verstärkt.

Als eine Reaktion auf die Operationen der Ukraine beschoss die russische Armee am Freitag einen Supermarkt in der ostukrainischen Stadt Kostjantyniwka, wobei mindestens 14 Menschen getötet und weitere 40 verletzt wurden. "Das ist bewusster und gezielter russischer Terror", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. "Ein weiteres Kriegsverbrechen, für das der Besatzer zur Rechenschaft gezogen werden wird."

Seitens des österreichischen Außenministeriums wurde auf "X" (vormals Twitter) folgende Botschaft gepostet: "Wir fordern Russland und seine Führung auf, die Angriffe auf Zivilisten einzustellen. Russland muss diesen brutalen und illegalen Krieg gegen die Ukraine und ihr Volk beenden."

Die Ukraine wehrt seit fast zweieinhalb Jahren eine großangelegte russische Invasion ab. In der Nacht beschoss die russische Luftwaffe das ukrainische Gebiet Sumy mit Gleitbomben.

Aus der Sorge vor ukrainischen Späh- und Sabotagetrupps wurden die russischen Gebiete Kursk, Brjansk und Belgorod zu Zonen mit Anti-Terror-Operationen erklärt, wie die staatliche Nachrichtenagentur Tass meldete. Dies sind die drei Gebiete, in denen sich russische und ukrainische Kräfte direkt an der Grenze gegenüberstehen. Die Sicherheitsorgane bekommen zur Terrorabwehr weitere Befugnisse.

Wegen des Kernkraftwerks Kursk rief Grossi als Leiter der Atomenergie-Behörde Russland wie der Ukraine die Grundsätze für die Sicherheit von nuklearen Anlagen in Krisengebieten ins Gedächtnis. Und er erinnerte an die zusätzlichen Regeln, die für das russisch besetzte AKW Saporischschja in der Südukraine aufgestellt worden seien "und die auch auf diesen Fall anwendbar sind". Es spiele keine Rolle, wo ein Kernkraftwerk liege.

Obwohl völlig unklar ist, ob der ukrainische Vormarsch auf das AKW Kursk zielt, wuchs dort die Nervosität. Die russische Nationalgarde verstärkt seit Mittwoch den Schutz der Atomanlage in der Stadt Kurtschatow, die etwa 60 Kilometer von der Grenze entfernt liegt. Die weitesten Vorstöße ukrainischer Trupps, von denen ohne Bestätigung berichtet wurde, reichten nur gut halb so weit nach Russland hinein.

In der Stadt Kurtschatow und dem Umland fiel wegen eines ukrainischen Drohnentreffers der Strom aus. Das teilte der kommissarische Gouverneur von Kursk, Alexander Smirnow, auf Telegram mit. Russland teilte außerdem der IAEA mit, dass auf dem Gelände des AKW Teile ukrainischer Raketen gefunden worden seien. Einen direkten Beschuss habe es aber nicht gegeben, hieß es in einem Schreiben der russischen Vertretung bei den internationalen Organisationen in Wien. Die Angaben zu diesem Fund waren nicht unabhängig überprüfbar.

Die ukrainische Führung äußerte sich weiter nicht zum Vormarsch ihrer Armee mit Panzern und Artillerie auf russischem Gebiet. Selenskyj dankte aber in seiner Videobotschaft vom Freitagabend den Soldaten, die russische Gefangene gemacht hätten. "Das ist äußerst wichtig, und in den vergangenen drei Tagen war es besonders erfolgreich", sagte er. Wenn der Austauschfonds gefüllt sei, könne man weitere ukrainische Gefangene aus Russland freibekommen. Seit Beginn des Vorstoßes am Dienstag hatte es mehrere Videos gegeben mit Aufnahmen, wie Gruppen russischer Soldaten gefangen genommen werden. Dazu zählten auch Grenzschützer am Übergang Sudscha.

Zur militärischen Lage in diesem Kampfgebiet gab es weiter nur wenige verlässliche Angaben. Über den ukrainischen Fernsehsender Hromadske verbreitete sich ein Video, das ukrainische Soldaten an der Gasmesstation Sudscha zeigte. Von dort führt eine wichtige russische Erdgaspipeline in Richtung Ukraine und Zentraleuropa. Im russischen Militärblog Rybar hieß es, die Lage habe sich seit den Vortagen stabilisiert. "Aber es ist zu früh zu sagen, dass wir die Initiative übernommen haben."

Der ukrainische Generalstab sprach in seinem Abendbericht von 70 Gefechten entlang der Front im Osten und Süden des Landes. Auch wenn die genaue Zahl nicht überprüfbar ist, liegt sie doch niedriger als im Vergleich der vergangenen Tage. Besonders heftig gekämpft wurde demnach am Frontabschnitt Pokrowsk im ostukrainischen Gebiet Donezk.

Die USA stellen der Ukraine zur Abwehr des russischen Angriffskriegs weitere Militärhilfe im Umfang von rund 125 Millionen US-Dollar (rund 114 Millionen Euro) zur Verfügung. Enthalten seien "Abfangraketen für die Luftverteidigung, Munition für Raketensysteme und Artillerie, Mehrzweckradare und Panzerabwehrwaffen", teilte US-Außenminister Antony Blinken mit. Es handelt sich demnach um das zehnte Paket dieser Art. In den vergangenen Monaten hatten die USA Stück für Stück mehrere Tranchen bereitgestellt, nachdem der US-Kongress Ende April neue Mittel im Umfang von rund 61 Milliarden US-Dollar (56,2 Milliarden Euro) für Kiew freigegeben hatte.

ribbon Zusammenfassung
  • Die IAEA warnt vor möglichen Gefahren für das Kernkraftwerk Kursk angesichts des ukrainischen Vorstoßes und appelliert an beide Seiten, sich an die Regeln für nukleare Sicherheit zu halten.
  • Arbeiter werden von der Baustelle für zwei neue Atomreaktoren im Kernkraftwerk Kursk abgezogen, während die russische Nationalgarde den Schutz des Kraftwerks verstärkt.
  • Russland beschießt als Reaktion auf die ukrainische Offensive einen Supermarkt in Kostjantyniwka, wobei mindestens 14 Menschen getötet und weitere 40 verletzt wurden.
  • Das österreichische Außenministerium fordert Russland auf, die Angriffe auf Zivilisten einzustellen und den Krieg gegen die Ukraine zu beenden.
  • Die USA stellen der Ukraine weitere Militärhilfe im Umfang von rund 125 Millionen US-Dollar zur Verfügung, um deren Abwehrkräfte zu stärken.