Trotz Drohung der Revolutionsgarden weiter Proteste im Iran
Dabei setzen die Sicherheitskräfte am Wochenende nach Berichten von Augenzeugen wieder Gewalt ein. Ein bekannter iranischer Rapper wurde nach Kritik in Teheran festgenommen. Mehr als 300 iranische Journalisten forderten unterdessen die Freilassung von zwei ihrer Kollegen.
Über sechs Wochen
Die Proteste gegen die autoritäre Führung des islamischen Landes dauern inzwischen schon mehr als sechs Wochen. Am Samstag hatte der Kommandant der einflussreichen Revolutionsgarden (IRGC), Hossein Salami, in einer Rede ein Ende der Demonstrationen verlangt. "Die Demonstranten sollten die Geduld des Systems nicht überstrapazieren", warnte der General nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA. "Heute ist der letzte Tag der Unruhen. Kommt nicht mehr auf die Straßen." Niemand werde den Demonstranten erlauben, weiter Unsicherheit zu stiften und die Universitäten des Landes in ein "Schlachtfeld" zu verwandeln.
Trotzdem setzten Studierende in der Hauptstadt Teheran, der Pilgerstadt Mashhad im Nordosten sowie anderen Landesteilen ihre Protestaktionen fort. Sicherheitskräfte gingen auf einem Campus in Mashhad gewaltsam gegen Hunderte Studenten vor, wie Augenzeugen berichteten. In Teheran soll die Polizei Berichten zufolge Tränengas eingesetzt haben. Auch in vielen weiteren Städten gab es Proteste gegen den Kurs der Regierung und das islamische Herrschaftssystem.
Journalisten festgenommen
Mehr als 300 iranische Journalisten forderten in einer gemeinsamen Stellungnahme die Freilassung ihrer Kollegen Niloofar Hamedi und Elaheh Mohammadi. "Etemad" und andere Zeitungen veröffentlichten den Aufruf am Sonntag. Die Journalisten waren wegen ihrer Berichterstattung über den Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam festgenommen worden.
Hamedi hatte ein Foto von Aminis Eltern auf Twitter veröffentlicht. Darauf ist zu sehen, wie sie sich in einem Krankenhaus in Teheran umarmen, während ihre Tochter im Koma lag. Mohammadi schrieb über Aminis Beerdigung in ihrer kurdischen Heimatstadt Saqez. Der iranische Geheimdienst und der Nachrichtendienst der einflussreichen Revolutionsgarden beschuldigten die beiden am Freitag, Agenten des US-Geheimdienstes CIA zu sein. Dem Iran zufolge stecken die Erzfeinde USA, Israel und andere westliche Länder hinter den Unruhen.
Bekannter Rapper festgenommen
In Teheran wurde der landesweit bekannte Rapper, Toomaj Salehi, festgenommen. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Tasnim, die als Sprachrohr der einflussreichen Revolutionsgarden gilt, wird dem Musiker vorgeworfen, bei den anhaltenden Protesten Gewalt angezettelt zu haben. Offiziell hieß es, Salehi sei beim Versuch festgenommen worden, außer Landes zu fliehen. Auf seinem Telegram-Kanal widersprach ein Onkel des Rappers dieser Version und äußerte Sorgen über dessen Verbleib. In den sozialen Medien empörten sich viele über die Festnahme.
Auslöser der seit mehr als sechs Wochen andauernden Demonstrationen war Mitte September der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Mahsa Amini. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verstoßen haben soll. Die junge Frau starb dann in Polizeigewahrsam. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisation wurden seither im Iran mindestens 250 Menschen getötet und mehr als 10.000 verhaftet.
Zu Beginn der siebenten Protestwoche verschärfte Teheran nochmals den Ton. Beobachter werteten die Rede des IRGC-Kommandanten Salami als letzte Mahnung, die Proteste zu beenden. Befürchtet wird, dass demnächst auch das Militär und die Revolutionsgarden gegen Demonstranten eingesetzt werden.
In zahlreichen europäischen Ländern - darunter auch in Österreich - gingen am Wochenende wieder viele Menschen aus Solidarität mit den Demonstranten im Iran auf die Straße.
Das Internet ist im Iran unterdessen weiterhin eingeschränkt. Viele soziale Netzwerke sind gesperrt, um Absprachen zwischen Demonstranten zu erschweren. Die Führung in Teheran macht "Feinde" des Landes - allen voran die USA und Israel - für die Unruhen verantwortlich. Die Forderung der Bürger nach mehr Freiheit wurde bisher als ausländische Verschwörung bezeichnet - und ignoriert.
Irans Sicherheitskräfte sollen einem Gesetzesbeschluss zufolge mehr Lohn bekommen. Das Parlament stimmte am Sonntag in Teheran einer Erhöhung der Bezüge um 20 Prozent zu, wie Irna berichtete. Begründet wird dies damit, dass die Löhne der Sicherheitskräfte im Vergleich zu zivilen Angestellten des Staats besser gestellt werden sollten.
Zusammenfassung
- Im Iran sind die Proteste trotz einer massiven Drohung der Revolutionsgarden in vielen Städten in eine neue Runde gegangen.
- Dabei setzen die Sicherheitskräfte am Wochenende nach Berichten von Augenzeugen wieder Gewalt ein.
- Ein bekannter iranischer Rapper wurde nach Kritik in Teheran festgenommen.
- Mehr als 300 iranische Journalisten forderten unterdessen die Freilassung von zwei ihrer Kollegen.
- In zahlreichen europäischen Ländern - darunter auch in Österreich - gingen am Wochenende wieder viele Menschen aus Solidarität mit den Demonstranten im Iran auf die Straße.