SPD-Politikerin Barley bezweifelt Widerstandskraft gegen AfD
Barley wies darauf hin, dass ein Parteienverbot nur vom Bundesverfassungsgericht verfügt werden könne. Die Unabhängigkeit des Höchstgerichts solle gestärkt werden, um zu verhindern, "dass das nicht gekapert werden kann wie in Ungarn und Polen". Man versuche parteienübergreifend, "unsere Institutionen resilienter zu machen", sagte die Spitzenkandidatin der SPD bei der Europawahl in einer Diskussion mit ihrem SPÖ-Pendant Andreas Schieder in der SPÖ-Parteiakademie Renner-Institut.
Barley zeigte sich besorgt über den Zustand der Demokratie in Europa. Anders als früher seien rechtspopulistische Kräfte gut vernetzt und würden auch stark soziale Netzwerke nützen. Dies sei eine "toxische Mischung". Es werde "an den inneren Schweinehund" der Menschen appelliert, wofür sich die Flüchtlingsproblematik "perfekt" eigne. "Dieser Mechanismus funktioniert nicht nur bei Menschen, die nicht viel haben. Das funktioniert in jeder Schicht, bei jedem Geschlecht", betonte die Europaabgeordnete.
Sie forderte, dass die Verteidiger der Demokratie ebenfalls auf Gefühle setzen sollen und nannte die Massenproteste nach den Correctiv-Enthüllungen zum Potsdamer Rechtsaußentreffen einen "Hoffnungsschimmer". Die Menschen hätten erstmals "Klartext" gehört und erkannt, dass die Deportationspläne der Rechtsextremisten nicht abstrakt seien, sondern auch die jeweils eigenen Arbeitskollegen oder Familienangehörigen treffen würden.
Eine zentrale Bedeutung im Kampf um die Demokratie haben laut Barley die Medien. Ihre komplette Übernahme sei das "Erfolgsmodell" des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán gewesen, weswegen es von anderen Rechtspolitikern wie dem Slowenen Janez Janša kopiert werde. "Wenn man die Medien unter Kontrolle hat, dann kann man das kreieren, was in den USA alternative Fakten genannt wird", so Barley, die dies anhand eines Beispiels aus Ungarn verdeutlichte. Dort hätten bei einer Umfrage nämlich nur vier Prozent der Menschen gemeint, die Schuld am russischen Aggressionskrieg in der Ukraine Russland zukomme. Öfter genannt worden seien die NATO, die USA, die EU und sogar die Ukraine selbst.
Schieder erhob in der Debatte schwere Vorwürfe gegen die FPÖ, aber auch die Regierungspartei ÖVP. Letztere würde nämlich im Europaparlament fertig ausverhandelte Kompromisse über Haufen werfen, um mit Rechtsaußenparteien gemeinsam abzustimmen. In diesem Kontext seien auch die Beteuerungen zu sehen, keinesfalls nicht mit FPÖ-Chef Herbert Kickl zusammenzuarbeiten. "Exakt das wird passieren, wenn sie können", sagte er unter Verweis auf die ÖVP-FPÖ-Koalitionen auf Landesebene. Die Gefahr für die Demokratie komme nicht nur von Rechtsaußen, sondern auch von der bürgerlichen Mitte, die mit eben diesen Parteien zusammenarbeite, wenn sie "den Atem von Rechtsaußen im Gnack spürt", wie der Wiener SPÖ-Mandatar formulierte.
Der FPÖ warf Schieder vor, in die Affäre um das jüngst von der tschechischen Regierung abgedrehte pro-russische Infoportal "Voice of Europe" verwickelt zu sein. "Das wundert uns nicht", sagte er unter Verweis darauf, dass FPÖ-Europaabgeordnete jüngst "eine Reihe von alternativen Medien" ins Europaparlament eingeladen hätten, die dort "ganz bewusst Störaktionen gemacht haben und auch Fake News produziert haben". Manipulation attestierte der SPÖ-Delegationsleiter in Straßburg auch seinem FPÖ-Gegenüber Harald Vilimsky. Dieser habe bei einer Rede im Europaparlament die strikt festgelegte Redezeit so lange überzogen, bis ihm das Mikrofon abgedreht worden sei, was in solchen Fällen "ganz normal ist", wie Schieder erläuterte. Auf sozialen Medien habe Vilimsky dann aber nur den Ausschnitt mit der Abschaltung des Mikrofons verbreitet nach dem Motto "So wird mit uns umgegangen".
Ein weniger dramatisches Bild zum Zustand der Demokratie zeichnete der Politikwissenschafter Andreas Schedler von der Central European University (CEU), In seinem Einführungsvortrag wies er darauf hin, dass sich die Zahl der Demokratien weltweit in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht wesentlich verändert habe. Gerade in den reichen Ländern seien die demokratischen Systeme stabil, mit Ungarn als großer Ausnahme. Man müsse bei der Verteidigung der Demokratie "sorgfältig und umsichtig" vorgehen und den Vorwurf der Demokratiefeindlichkeit nicht allzu leichtfertig erheben, mahnte er. Mit Blick auf die Linke kritisierte er, dass sehr oft schon als Rechtsradikaler gebrandmarkt werde, "wenn jemand auch nur einen halben Millimeter abweicht vom puritanischen Dogmatismus". "Wenn wir Demokratie auf solche Weise intolerant verteidigen, werden wir selbst demokratiegefährdend", mahnte der Politikwissenschafter.
Zusammenfassung
- SPD-Politikerin Katarina Barley bezweifelt, ob Deutschland gegen die AfD gewappnet ist und fordert mildere Mittel als Parteienverbote.
- Sie spricht sich für die Stärkung der Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts aus, um eine 'Kaperung' wie in Ungarn und Polen zu verhindern.
- Barley beschreibt die Nutzung sozialer Netzwerke durch Rechtspopulisten als 'toxische Mischung' und sieht in der Flüchtlingsproblematik einen 'perfekten' Mechanismus zur Manipulation.
- Die Kontrolle der Medien durch Regierungen wie in Ungarn, wo nur 4% Russland die Schuld am Ukraine-Krieg geben, wird als Gefahr für die Demokratie hervorgehoben.
- Andreas Schieder kritisiert die ÖVP und FPÖ im Europaparlament und wirft der FPÖ vor, in die Affäre um das pro-russische Infoportal 'Voice of Europe' verwickelt zu sein.