Kurz' Aussage bei Gericht: Nudelsieb, Lemminge, Schmid-Chats
Ein "angespanntes Verhältnis" gebe es zwischen Sebastian Kurz und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), erklärte dessen Anwalt Otto Dietrich. Das konnte man am zweiten Prozesstag um mutmaßliche Falschaussage seines Mandanten auch deutlich erkennen.
WKStA-Vertreter Gregor Adamovic bat Kurz noch, über den eigenen Schatten zu springen. Doch Kurz beantwortete keine Fragen der WKStA. Die Staatsanwaltschaft würde Chats und Aussagen vor dem Ibiza-Ausschuss immer gegen ihn interpretieren, wiederholte Kurz.
"Nicht kommentieren, wer wie dreinschaut"
Kurz warf Adamovic vor "verdutzt" zu schauen. Der Richter musste ihn ermahnen: "Tun ma nicht kommentieren, wer wie dreinschaut". Als der Oberstaatsanwalt ausholte: Kurz würde so tun, als wolle er zur Aufklärung beitragen, es sei daher "bedauerlich", dass er keine Fragen beantworte, wurde er vom Richter unterbrochen: "Herr Oberstaatsanwalt, bitte!"
Wortreich gab sich Kurz hingegen in seinem Eingangsstatement und auch bei den Fragen des Vorsitzführenden Michael Radasztics.
Der ehemalige ÖVP-Chef versuchte vor Gericht, die vorliegenden Beweise, Chats und Aussagen von Thomas Schmid völlig anders zu interpretieren, als dies die WKStA in ihrem Strafantrag tut.
Schmid habe Kurz "torpediert"
So behauptete Kurz, nicht er habe sich für die Bestellung von Thomas Schmid zum ÖBAG-Chef eingesetzt. Thomas Schmid sei in einer "ultimativen Machtposition" gewesen, habe "auch Eigeninteressen" verfolgt und Kurz' Vorschlag, den Unternehmer Siegfried Wolf oder den ehemaligen deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg in den ÖBAG-Aufsichtsrat zu ernennen, habe Schmid "torpediert".
Generell behauptete Kurz, er habe Schmid sogar einbremsen wollen. Sein berühmter Chat "Kriegst eh alles, was du willst" an Schmid habe in Wirklichkeit bedeutet: "Krieg den Hals einmal voll".
Kurz gestand aber doch ein, dass er allen "ein gutes Gefühl" geben wollte, er habe gewusst, dass Schmid gute Chancen hatte, ÖBAG-Chef zu werden. Er habe ihn für qualifiziert gehalten, war darüber informiert, dass Schmid es wohl werden würde. Eingesetzt für ihn habe er sich aber nicht, entschieden habe er es schon gar nicht, wiederholte Kurz.
Der Vorwurf der WKStA, Kurz habe im U-Ausschuss seine Rolle bei der Besetzung von Aufsichtsräten und dem Aufsichtsrat-Vorsitzenden bei der ÖBAG fälschlicherweise heruntergespielt, sei laut Kurz falsch. Wie berichtet, beantragte Kurz einen Freispruch.
Nicht nur "loyale Lemminge"
Kurz versuchte vor Gericht, abermals seine Rolle herunterzuspielen. So seien nicht nur seine Vorschläge nicht durchgegangen, es habe während seiner Zeit in der Regierung generell diverse Absprachen gegeben, von denen er nichts gewusst habe. Die Aufsichtsräte hätte der damalige ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger bestellt. Er habe nicht nur "loyale Lemminge" um sich gehabt, auch die Aufsichtsräte seien keine Lemminge, so Kurz.
Schmid behauptete hingegen in seiner Einvernahme, dass es keine Personalentscheidungen ohne Kurz' Wissen gegeben habe. Auch der Richter hinterfragte die Aussagen des ehemaligen Kanzlers: "Das lassen Sie sich aufs Aug drücken?"
Der Richter wollte auch wissen, ob Kurz nun einen Aussagenotstand sehe. Sein Anwalt brachte einen solchen in seiner Gegendarstellung auf. Einfach erklärt würde des bedeuten, dass Kurz falsch ausgesagt habe und das zugibt, weil er Strafverfolgung fürchte und sich sonst selbst belasten müsse. In solchen Fällen könnte eine Falschaussage gerechtfertigt sein.
Kurz argumentierte um Aussagenotstand herum
Kurz erklärte zwar, dass es immer wieder Verfahren gegeben habe, er deswegen schon Angst gehabt hätte, etwas Falsches zu sagen. Die Befragung beim U-Ausschuss sei zudem unfair gewesen und die Opposition habe ihn sowieso "zerstören" wollen. Er sei außerdem – wegen des Corona-Stresses – "schlecht vorbereitet" gewesen. Am Weg zum Ausschuss habe er einen Mitarbeiter gefragt, zu welchem Ausschuss man überhaupt fahre. Er habe "kein Hirn wie ein Nudelsieb", aber habe sich auch nicht an alles, wonach er befragt wurde, erinnern können.
Aber: Dass er falsch ausgesagt habe, müsse ihm erst nachgewiesen werden. Es wird sich zeigen, ob Richter Radasztics dieser Argumentation folgen kann.
Schmid wird der erster Zeuge
Für die Erstangeklagte Bettina Glatz-Kremsner ist der Prozess voraussichtlich vorüber – er endete am Mittwoch mit einer Diversion und einer Geldbuße von 104.060 Euro. Die WKStA kann das aber noch beeinspruchen.
Der Drittangeklagte Bernhard Bonelli wird am kommenden Montag befragt werden. Die Folgetermine werden ebenfalls am Montag vereinbart. Thomas Schmid soll der erste Zeuge werden, fix geladen werden auch die ehemaligen Finanzminister Hartwig Löger und Gernot Blümel.
Der Liveblog zum Nachlesen:
Sebastian Kurz vor Gericht - Tag 2
Zusammenfassung
- Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Freitag erstmals zu den Vorwürfen gegen ihn vor Gericht Stellung genommen.
- Ihm wird Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss vorgeworfen. Kurz betonte abermals seine Unschuld und begründete seine Aussagen zum Teil mit der Stimmung im U-Ausschuss.
- Er blieb bei seinen Schilderungen der Vorgänge rund um die Bestellung der ÖBAG-Spitze. In seinem Chat mit Thomas Schmid habe er sogar dessen Ambitionen einbremsen wollen, sagte Kurz.
- "Ich habe mich schlicht und ergreifend nicht an jedes Detail erinnern können", begründete Kurz seine Aussagen im U-Ausschuss. Zudem habe er vieles allgemein ausgedrückt, um nichts Falsches zu sagen.
- Auch die Angst vor einem möglichen Strafverfahren habe eine Rolle gespielt, habe es im U-Ausschuss doch viele strafrechtliche Unterstellungen gegeben, kritisierte der Ex-Kanzler.
- Fragen der WKStA beantwortete Kurz nicht, was diese "bedauerlich" fand.