Kurz-Prozess: 104.060 Euro Geldbuße für Glatz-Kremsner
Es ist nicht alltäglich, dass ein ehemaliger Bundeskanzler die Anklagebank vor Gericht drücken muss. Und wenn es um Sebastian Kurz geht, dann wird es schon gar nicht alltäglich.
Schon vor dem Beginn des Prozesses, bei dem er am Mittwoch selbst noch kaum zu Wort kam, stellte sich Kurz demonstrativ vor die warteten Kamerateams und wollte seine Sicht der Dinge darlegen. Das sei "sein Recht", wie er meinte.
Schon zu diesem Zeitpunkt war klar, in welche Richtung der Prozess aus seiner Sicht gehen sollte: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) habe bei Interpretationen alles gegen ihn ausgelegt. Die WKStA würde politisch handeln, sagte er sinngemäß und die Vorwürfe seien sowieso falsch.
Vor Gericht hatte Kurz selbst am Mittwoch noch nicht Gelegenheit, groß auszusagen. Nur seine Daten wurden abgefragt. Er sei Unternehmer. Auskünfte über Vermögen und Einkommen übergab er dem Richter schriftlich.
Kurz-Statement vor dem Prozess-Start
Ansonsten verhielt sich Kurz ruhig. Er zeigte sich nur einmal offensichtlich verärgert über die WKStA – er hielt sich die Hand vors Gesicht - und tauschte sich nur manchmal mit dem neben ihm sitzenden Bonelli aus. Seinem Anwalt Otto Dietrich und dem Verteidiger von Bonelli, dem ÖVP-Anwalt Werner Suppan, steckte er einmal einen Zettel mit einer Botschaft zu.
Die beiden Anwälte hatten Zeit für ihre Ausführungen – und nutzten sie auch, um weiter gegen die WKStA und U-Ausschüsse auszuteilen. Und um Freisprüche zu beantragen. Dazu später mehr.
Überraschende Diversion für Glatz-Kremsner
Die ehemalige ÖVP-Vizechefin und Ex-Casinos-Chefin Bettina Glatz-Kremsner gab sich etwas anders. Zwar beantwortete sie keine einzige Frage der WKStA und bekannte sich "nicht schuldig", doch sie räumte in ihrer Befragung durch Richter Michael Radasztics ein: "Ja, ich habe Fehler gemacht."
Die Erstangeklagte kam mit einer Diversion davon. Sie muss in den nächsten 14 Tagen eine Geldbuße von 104.060 Euro an das Gericht überweisen, dann wird das Verfahren gegen sie eingestellt. Sie gilt dann weiter als unbescholten, während der Prozess gegen Kurz und Bonelli weiterlaufen wird.
WKStA lehnte Diversion ab
Die WKStA sprach sich aus generalpräventiven Gründen zwar grundsätzlich gegen eine diversionelle Erledigung aus, das hatte aber keine Auswirkung auf die richterliche Entscheidung.
Die Wahrheitsfindung in U-Ausschüssen sei genauso wichtig wie bei Gerichtsverfahren, hatten zuvor die WKStA-Vertreter Gregor Adamovic und Roland Koch beim Verlesen des Strafantrags betont.
Ein parlamentarischer U-Ausschuss ziele zwar nicht wie ein Gerichtsprozess auf ein Urteil ab, schaffe aber die Entscheidungsgrundlage für mögliche politische Konsequenzen und sei von ganz entscheidender Bedeutung für die Gesetzgebung. Angelogen worden seien "nicht die jeweiligen, die Fragen stellenden Abgeordneten, sondern die Allgemeinheit", befand die WKStA.
"Widerspruch zum neuen Stil"
Die Staatsanwälte werfen Bettina Glatz-Kremsner vor, im Ibiza-U-Ausschuss und in der Zeugenbefragung bei der WKStA falsch ausgesagt zu haben, wenn es um FPÖ-Bezirksrat Peter Sidlos Bestellung zum CASAG-Finanzvorstand ging. Glatz-Kremsner sagte vor Gericht: Heute würde sie bei Nachrichten, die sie mit dem damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache austauschte, auch "politische Implikationen" als solche bezeichnen. Generell seien das damals turbulente Zeiten bei den Casinos gewesen, die Presse sei nicht die beste gewesen, sie habe Druck verspürt und sich auf die Einvernahme bei der WKStA nicht ausreichend vorbereitet.
Moser: Kurz lässt sich medial gut verkaufen
Kurz und Bonelli wird von der WKStA vorgeworfen, sie hätten als Auskunftspersonen vor dem U-Ausschuss im Zusammenhang mit der Errichtung der ÖBAG und der Besetzung des Vorstandes und Aufsichtsrates dieser Gesellschaft falsch ausgesagt.
Er habe die Bestellung Schmids nicht befördert, habe Kurz im U-Ausschuss angegeben. Tatsächlich sei die Initiative aber vom ehemaligen ÖVP-Chef ausgegangen. Kurz habe seine Rolle "geleugnet", indem er mit seinen Antworten ein "Gesamtbild" geschildert habe, in dem er sich als Akteur aus dem Spiel genommen habe. Auch Bonelli habe seine "maßgebliche Rolle" hinuntergespielt.
"Kurz wollte politische Nachteile für sich persönlich und die neue ÖVP abwenden." Die im U-Ausschuss untersuchten Vorwürfe würden "in diametralen Widerspruch zum von ihm propagierten neuen Stil" stehen. Das "Herumwinden" der damaligen Auskunftspersonen zeige deutlich, dass die Angeklagten ihr wahres Wissen nicht preisgeben hätten wollen. "Fehlerinnerungen in so zentralen, politisch relevanten Punkten" seien außerdem auszuschließen.
Kurz und Bonelli wiesen die Vorwürfe zurück - ihre Anwälte beantragten Freisprüche.
Kurz und Bonelli wollten Richter wechseln
Noch davor aber hatten sie erfolglos einen Richterwechsel beantragt, da der Vorsitzführende Michael Radasztics nicht objektiv sein soll. Als Grund wurden dessen angebliche Kontakte zum ehemaligen Politiker Peter Pilz im Zuge des Eurofighter-Verfahrens genannt. Meinungen anderer hätten ihn nicht zu interessieren, argumentierte der Richter seine Abweisung des Antrags. Es gebe weder eine persönliche Beziehung noch ein Vertrauensverhältnis zu Pilz.
Kurz will neuen Richter
Kurz' Anwalt Otto Dietrich bezeichnete die Vorwürfe der WKStA gegen seinen Mandanten dann als nicht nachvollziehbar – die Staatsanwälte würden nicht objektiv arbeiten. Dann komme noch die Situation beim U-Ausschuss dazu. Er sprach von unvollständigen und unterstellenden Fragen durch manche Abgeordnete im U-Ausschuss, die Stimmung dort sei aggressiv gewesen und nicht zu vergleichen etwa mit einer Gerichtsverhandlung. Dort herrsche zudem Zeitdruck, was auch zu unvollständigen Antworten führen könne. Und auch Fehler bei der Protokollierung könnten dort passieren.
Aussagenotstand als argumentativer "Spagat"
Kurz' Aussagen als Auskunftsperson im U-Ausschuss seien richtig gewesen und stimmten auch mit der Wirklichkeit überein. Es gebe auch kein Beweisergebnis, dass der Ex-Kanzler persönlich über die Vorstandsbesetzung der Staatsholding ÖBAG entschieden habe, meinte dessen Anwalt zum Vorwurf, der Ex-Kanzler habe seine Rolle heruntergespielt.
Gebe es aber doch eine Falschaussage, dass gebe es noch das Argument des Aussagenotstands, so Dietrich. Kurz habe schließlich Angst vor Ermittlungen gegen ihn haben können. Die WKStA bezeichnete diese Argumentation als "Spagat".
"Screenshot-Fehler" vs. "Falschantrag"
Schwerwiegende Vorwürfe in Richtung WKStA kamen von Bonellis Verteidiger Werner Suppan. Er machte darauf aufmerksam, dass Aussagen der Ex-Minister Gernot Blümel und Hartwig Löger (beide ÖVP) zu den Koalitionsverhandlungen im Strafantrag wortgleich seien. Im Strafantrag sei zwei Mal die Antwort Blümels zitiert und behauptet worden, Löger hätte wortgleich ausgesagt.
"Diese Behauptung ist ein Fake, der Strafantrag ist ein Falschantrag", so der Verteidiger. Der Vorsitzende wollte von Suppan wissen, ob er daraus eine Verfolgung wegen Amtsmissbrauchs ableiten wolle. Er wolle dies dem Richter überlassen, so der Verteidiger. Er frage sich aber: "Wo war die Aufsicht?" Die WKStA gestand einen Screenshot-Fehler im Strafantrag ein, im Kern sei es aber richtig, dass die beiden wortgleich ausgesagt hätten.
Nächster Termin am Freitag
Mit Glatz-Kremsners Diversion endete auch der erste Verhandlungstag. Fixiert sind noch zwei weitere Termine bis zum 23. Oktober, der nächste ist am Freitag. Erst dann dürfte der ehemalige Bundeskanzler ausführlich zu Wort kommen. Zeuginnen und Zeugen sind vorerst noch keine geladen - zu deren Befragung werden wohl weitere Verhandlungstermine ab November vonnöten sein.
Der Liveblog zum Nachlesen:
Sebastian Kurz vor Gericht - Tag 1
Zusammenfassung
- Im Prozess gegen den ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und zwei weitere Beschuldigte wegen Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss ist es am Mittwoch zu einer ersten Entscheidung gekommen.
- Im Fall der ehemaligen Casinos-Chefin und einstigen ÖVP-Vizeobfrau Bettina Glatz-Kremsner kam es zu einer Diversion.
- Die ehemalige Casinos-Chefin muss konkret binnen zwei Wochen einen Geldbetrag von 104.060 Euro zahlen.
- Neben Kurz steht auch dessen Ex-Kabinettschef Bernhard Bonelli vor Gericht. Deren Verfahren wurde ausgeschieden, beide beantragten einen Freispruch.