Ex-Kanzler Kurz vor Gericht: Wie er sich verteidigen wird
Wenn mit Kurz ein früherer Bundeskanzler, mit Bettina Glatz-Kremsner eine Ex-ÖVP-Vizeparteichefin und mit Bernharad Bonelli ein ehemaliger Kabinettschef im Bundeskanzleramt auf der Anklagebank Platz nehmen müssen, wird im Wiener Straflandesgericht einiges los sein. Schon jetzt steht fest: Der Schwurgerichtssaal ist bis auf den letzten Platz "ausreserviert".
Dabei geht es vorerst nur um mutmaßliche Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss. Bis die Prozesse um die mutmaßliche Inseraten-Korruption starten, wird es noch dauern.
Die Vorwürfe
Kurz und Bonelli wird von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in diesem Verfahren vorgeworfen, sie hätten als Auskunftspersonen vor dem U-Ausschuss im Zusammenhang mit der Errichtung der ÖBAG und der Besetzung des Vorstandes und Aufsichtsrates dieser Gesellschaft wissentlich falsch ausgesagt. Glatz-Kremsner soll sowohl vor dem U-Ausschuss als auch bei ihrer Vernehmung als Zeugin im Ermittlungsverfahren der WKStA zur Bestellung Peter Sidlos zum Vorstandsmitglied der Casinos Austria AG wissentlich die Unwahrheit gesagt haben.
Kurz sagte beim U-Ausschuss, er sei über die Bestellung des Alleinvorstands Thomas Schmid informiert, aber nicht in die Vorgänge involviert gewesen. Formal war der damalige Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) zuständig. Die WKStA vermutet aber, dass in Wirklichkeit Kurz und sein enges Umfeld die Strippen zogen.
So schrieb etwa der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) mit Löger über einen Deal zwischen FPÖ-Verhandler Arnold Schiefer und Thomas Schmid. Kurz sagte vor dem U-Ausschuss, er habe "keine Ahnung, was die vereinbart" hätten. Laut WKStA stimmte das nicht.
Die WKStA führt in ihrem über 100 Seiten umfassenden Strafantrag, der PULS 24 vorliegt, aus, dass die ÖVP im Koalitionsabkommen mit der FPÖ damals ein Nominierungsrecht bei Aufsichtsräten vereinbart habe. Kurz soll sich laut Strafantrag bei Besetzungsgesprächen beteiligt und aktiv eingebracht haben. Alle Aufsichtsräte, die die ÖVP bestimmte, seien mit Kurz abgestimmt worden.
Kurz habe laut WKStA - und das ist wichtig (siehe unten) - falsch ausgesagt, weil er sich politischer Kritik entziehen wollte und weil er nicht wissen konnte, dass die Schmid-Chats sichergestellt werden und dieser ihn später schwer belasten würde.
Die Zeugen
Die WKStA stützt sich unter anderem auf die Aussagen von Thomas Schmid. Er soll im Prozess auch als Zeuge aussagen. Nicht weniger als 18 Zeuginnen und Zeugen wurden von der Anklagebehörde insgesamt beantragt. Neben Schmid sollen auch die ehemaligen ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger und Gernot Blümel, Peter Sidlo, der Industrielle Siegfried Wolf sowie Ex-Vizekanzler und -FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache befragt werden.
Die ausführlichen Zeug:innen-Befragungen sind auch der Grund, warum der Prozess länger dauern wird, als zunächst angenommen. Bisher sind drei Verhandlungstermine bis zum 23. Oktober anberaumt. Sebastian Kurz wird vermutlich erst am zweiten Verhandlungstag zu Wort kommen. Zuvor werden die WKStA und die Verteidiger der drei Angeklagten ihre Eröffnungsvorträge halten. Die Zeug:innen kommen erst bei weiteren Terminen - vermutlich im November - zu Wort.
Kurz und die anderen Angeklagten bestreiten die Vorwürfe gegen sie. Sie alle werden sich als nicht schuldig bekennen. "Wir freuen uns darauf, wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt", hatte sich Kurz nach Bekanntwerden der Anklage geäußert.
Die Verteidigung
Am Freitag wurde auch klar, wie sich der ehemalige Bundeskanzler verteidigen wird. Kurz' Anwalt Otto Dietrich brachte eine Gegenäußerung zum Strafantrag der WKStA ein, der PULS 24 ebenfalls vorliegt. Darin wird abermals ausgeführt, dass man sich von der WKStA unfair behandelt fühle. Ein Argument ist dabei besonders beachtlich.
Kurz' Anwalt führt an, es hätten etwa auch andere Personen vor dem U-Ausschuss falsche Aussagen getätigt, diese seien aber nicht angeklagt worden - etwa Reinhold Mitterlehner oder auch einer der WKStA-Staatsanwälte.
Thomas Schmids Aussagen würde von der WKStA zu hoher Stellenwert eingeräumt werden, dieser wolle den Kronzeugenstatus erreichen. Zudem habe die Staatsanwaltschaft nicht beachtet, dass die Befragung beim U-Ausschuss "im Gegensatz zu einer Befragung vor Gericht, Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei" "tendenziös und unterstellend" stattfinden würden.
Die Befragung würde keiner Systematik folgen, da nicht einzelne Themenblöcke hintereinander abgefragt werden würden. Es werde beim U-Ausschuss nicht nach einer materiellen Wahrheit, sondern nach einer "politischen Wahrheit" gesucht. Und: Dem Strafantrag würden politisch motivierte Anzeigen von Jan Krainer (SPÖ) und Stephanie Krisper (NEOS) zu Grunde liegen.
Außerdem wird Kurz' Verteidigung betonen, dass man beim U-Ausschuss als Auskunftsperson gelte, auch wenn sich die Untersuchung des Ausschusses gegen die Person selbst richte. Dadurch würde man um Beschuldigtenrechte umfallen.
Die Anwälte von Kurz werden vorbringen, dass die WKStA Missverständnisse gegen den Angeklagten interpretieren würde. Da wird es vor Gericht dann auch um einzelne Worte gehen. So habe Kurz zum Protokoll seiner Befragung beim U-Ausschuss 15 Änderungsvorschläge gemacht. Der Untersuchungsausschuss müsse darüber allerdings mit Mehrheit entscheiden, deswegen seien seine Wünsche nicht durchgegangen. Vor Gericht werden daher wohl die Audioaufzeichnungen vom U-Ausschuss angehört werden müssen.
Das Überraschungs-Argument
So weit, so bekannt. Doch Kurz hat noch ein weiteres Argument in der Pipeline. Anders als von der WKStA (siehe oben) behauptet, habe Kurz sehr wohl damit gerechnet, dass Chats bzw. Ermittlungen gegen ihn auftauchen könnten, so seine neue Verteidigungsstrategie. Daher habe er nicht richtig aussagen können, um sich selbst zu schützen. Das würde Kurz in diesem Verfahren helfen - im nächsten Verfahren aber wohl gegen ihn verwendet werden.
Der Richter
Einzelrichter Michael Radasztics, der schon als Rechtsanwalt und Staatsanwalt fungierte, wird entscheiden müssen, wessen Darstellungen er folgt. Für eine Verurteilung müssen den Angeklagten nicht nur Widersprüche, sondern auch Vorsatz nachgewiesen werden.
Sollte es zu einer Verurteilung kommen, dann liegt der Strafrahmen bei bis zu drei Jahren Gefängnis. Kurz ist allerdings unbescholten, eine Haftstrafe gilt daher als unwahrscheinlich. Eine diversionelle Erledigung des Verfahrens hatte die WKStA in ihrem Strafantrag abgelehnt. Rund 75 bis 80 Prozent der Prozesse wegen falscher Beweisaussage enden mit einem Schuldspruch - am häufigsten mit einer bedingten Freiheitsstrafe. Für Kurz, Bonelli und Glatz-Kremsner gilt die Unschuldsvermutung. Sie werden einen Freispruch beantragen.
Zusammenfassung
- Ab 18. Oktober muss sich Österreichs ehemaliger Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Wien vor Gericht verantworten.
- Der Prozess wird länger dauern, als zunächst erwartet. Es wird viel über semantische Details und U-Ausschüsse an sich debattiert werden.
- Kurz könnte aber auch mit einem neuen Argument überraschen.
- Anders als von der WKStA behauptet, habe Kurz sehr wohl damit gerechnet, dass Chats bzw. Ermittlungen gegen ihn auftauchen könnten, so seine neue Verteidigungsstrategie.
- Daher habe er nicht richtig aussagen können, um sich selbst zu schützen. Das würde Kurz in diesem Verfahren helfen - im nächsten Verfahren aber wohl gegen ihn verwendet werden.