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Schallenberg trifft Schwester von belarussischen Gefangener

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hat am Montag die Schwester der inhaftierten belarussischen Oppositionellen Maria Kolesnikowa getroffen. Tatjana Chomitsch ist nach Wien gekommen, weil im Schauspielhaus am Abend eine Aufführung ihrer Schwester gewidmet war. Im Gespräch mit der APA sagte Chomitsch: "Belarus darf nicht vergessen werden." Sie forderte Pragmatismus und auch Dialogbereitschaft des Westens, damit Belarus nicht endgültig in Fänge Russlands gerate.

Nach der Veranstaltung der belarussischen Künstlerin Martina Jakubowitsch (Maryna Yakubovich), die aus den Geschichten und Briefen weiblicher Gefangener das Solostück "Connection" gemacht hat, postete Schallenberg Montagabend auf X, dass Kolesnikowa mittlerweile "seit 600 Tagen in Isolationshaft gehalten" werde und ihre "Gesundheit in Gefahr" sei. "Alle BY politischen Gefangenen müssen sofort und bedingungslos freigelassen werden!", forderte der Außenminister in seinem Post weiter.

Die Performance "Connection", die durch ein Stipendium des Außenministeriums im Rahmen des "European Artists Solidarity Program" unterstützt wurde, ist Kolesnikowa gewidmet. Die Schauspielerin und Regisseurin Jakubowitsch hatte Belarus wegen der drohenden Repressionen 2021 verlassen, zuvor war sie mehr als eineinhalb Jahrzehnte lang Hauptdarstellerin des Belarus Free Theater. Derzeit ist sie Dozentin am Salzburger Mozarteum.

Die 1982 geborene Künstlerin und Politikerin Kolesnikowa gehört zu den bekanntesten belarussischen Oppositionellen. Kolesnikowa bildete mit Weronika Zepkalo und Swetlana Tichanowskaja als formaler Präsidentschaftskandidatin jenes legendäre Frauentrio, das im Sommer 2020 eine äußerst erfolgreiche Wahlkampfkampagne organisierte. Massive Wahlfälschungen sorgten nach den Wahlen am 9. August 2020 für öffentliche Proteste, die vom Regime des seit 1994 herrschenden Präsidenten Alexander Lukaschenko brutal niedergeschlagen wurden. Die EU-Staaten erkennen Lukaschenkos Legitimität nicht mehr an. Viele sehen Tichanowskaja als Siegerin des Urnengangs in der mit Russland verbündeten Ex-Sowjetrepublik.

Während Tichanowskaja und Zepkalo die Möglichkeit nutzten, ins Ausland zu fliehen, widersetzte sich Kolesnikowa äußerst mutig. Nachdem sie am 7. September 2020 von Vertretern des Regimes entführt worden war, vereitelte die belarussische Staatsbürgerin eine Abschiebung in die Ukraine, indem sie ihren Reisepass zerriss. Kurz danach wurde sie offiziell festgenommen und ein Jahr später für "Aufrufe zu Handlungen gegen die nationale Sicherheit" zu elf Jahren Haft verurteilt.

Sie habe zuletzt im Februar 2023 von ihrer Schwester gehört, berichtete Chomitsch am Montag. Von Gefangenen, die im vergangenen Monat freigelassen wurden, wisse sie, dass sich Maria Kolesnikowa in Isolationshaft befinde. Diese kleine, stinkende Zelle sei nur mit einem Waschbecken und einem Loch als WC ausgestattet. Ihre Schwester habe demnach auch sehr viel Gewicht verloren und wiege nur mehr 45 Kilogramm. Briefe könne sie nicht empfangen, sondern sie werden vor ihren Augen zerrissen, erzählte Chomitsch. Mindestens sechs "populäre" politische Gefangene würden unter ähnlichen schrecklichen Bedingungen festgehalten, u.a. Sergei Tichanowsky, Viktor Babariko und Maxim Snak. Mindestens sieben Gefangene seien in den vergangenen vier Jahren in belarussischer Haft gestorben.

Zuletzt hatte Lukaschenko immer wieder politische Gefangene freigelassen. Laut Chomitsch wurden seit dem Sommer rund 150 politische Häftlinge begnadigt. In allen Fällen hatte der Staatschef versichert, dass sie Reue gezeigt und um Gnade gebeten hätten. In einem Interview mit BBC zeigte sich Lukaschenko unlängst offen dafür, für Kolesnikowa Familienbesuche oder gar eine Freilassung zu erwägen, wenn die Familie ein Treffen beantrage und Maria um Begnadigung bitte. "Das gibt mir Hoffnung", sagte Chomitsch. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Wjasna sind aber weiterhin etwa 1.300 politische Gefangene inhaftiert. Gleichzeitig fänden wieder Verhaftungen statt.

Wichtig ist laut Chomitsch, dass der Westen auf diese Schritte reagiere. Europäische Länder sollten die Freilassungen anerkennen, eine Fortsetzung dieses Prozesses fordern und Fortschritte durch diplomatische Schritte fördern. Dialog und Diplomatie seien notwendig, dafür könnten auch Botschafter im Land hilfreich sein. Viele Länder wie auch Österreich sind derzeit nur auf Geschäftsträger-Ebene in Minsk vertreten. Die Sanktions- und Isolationspolitik der westlichen Länder hätte zwar Einfluss, aber "waren schlussendlich nicht erfolgreich", meint die Menschenrechtsaktivistin. Das belarussische Regime habe gelernt, die Sanktionen zu umgehen. Außerdem dürfe das Thema der Freilassung von politischen Gefangenen in Belarus bei möglichen Friedensverhandlungen für die Ukraine nicht ausgespart bleiben. Viele Gefangene säßen wegen ihrer Hilfe für die Ukraine in Belarus in Haft.

Lukaschenko will sich demnächst wieder wählen lassen. Er hatte den Wahltermin auf den 26. Jänner 2025 vorgezogen. Beobachter gehen davon aus, dass mit der Wahl im Winter Proteste der Bevölkerung erschwert werden sollten. Chomitsch zeigte sich überzeugt, dass es diesmal keine Proteste geben werde. "Das würde nur Menschen gefährden." Auch sei es nicht notwendig. "Die Belarussen haben bereits ihre Wahl 2020 getroffen", sagt sie. "Die Perspektiven für einen Regimewechsel sind nicht so optimistisch. Deswegen denke ich, dass es in dieser Situation einen pragmatischen Zugang geben sollte."

(Das Gespräch führte Alexandra Demcisin/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Außenminister Alexander Schallenberg traf in Wien Tatjana Chomitsch, die Schwester der seit 600 Tagen inhaftierten belarussischen Oppositionellen Maria Kolesnikowa.
  • Chomitsch betonte die Wichtigkeit des Dialogs mit dem Westen, um Belarus nicht weiter in Russlands Einflussbereich zu drängen.
  • Maria Kolesnikowa wurde zu elf Jahren Haft verurteilt, nachdem sie sich 2020 mutig gegen das Regime gestellt hatte.
  • Lukaschenko hat seit dem Sommer 150 politische Häftlinge begnadigt, doch etwa 1.300 bleiben inhaftiert.
  • Lukaschenko plant, sich am 26. Januar 2025 erneut wählen zu lassen, was mögliche Proteste erschweren könnte.