Schallenberg: Keine Rückkehr zum Status quo mit Russland
Höchstwahrscheinlich hätte man schon nach der Annexion der Krim 2014 sehr viel schärfer reagieren müssen und so vielleicht einen Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 verhindern können, so Schallenberg. Auch Österreich habe unterschätzt dass "Wladimir Putin ein imperiales Langzeitprojekt hatte". "Vielleicht haben wir seine Äußerungen nicht ernst genommen, auch, weil sie nicht in unser Weltbild gepasst haben", analysiert der Außenminister.
Kritik an seiner Mahnung, Augenmaß gegenüber Russland zu wahren, sieht Schallenberg nicht als gerechtfertigt an. Es gebe überhaupt keinen Zweifel, wo Österreich stünde. "Wir tragen jeden Beschluss in Brüssel mit und ganz intensiv zur Geschlossenheit innerhalb der EU bei. Einzig: Wir liefern aufgrund unserer militärischen Neutralität keine Waffen und kein letales Material in die Ukraine." Zudem sei er der erste Außenminister der Zweiten Republik, der einen russischen Diplomaten zur Persona non grata erklärt habe, betont Schallenberg.
Dennoch gelte es an den Tag nach dem Krieg zu denken. Deshalb sollte man nicht "mutwillig Dialogplattformen", wie die OSZE, "die wir dann brauchen werden, zerstören". Momentan versuchten jedenfalls beide Seiten noch, eine Entscheidung auf dem Schlachtfeld herbeizuführen. "Aber die Geschichte zeigt: Dauerhafter Frieden oder Waffenstillstände werden am Verhandlungstisch vereinbart. Irgendwann wird es hoffentlich wieder Raum für Diplomatie geben", sagt der Außenminister.
Österreich halte jedenfalls weiter die Gesprächskanäle zu Russland und auch zu Belarus offen. Eine weitere Eskalation des Krieges gelte es zu vermeiden. Wenn aber ein "ständiges Sicherheitsratsmitglied beschließt, die UN-Charta auszuhebeln, um in einem neo-imperialistischen Akt einen anderen Staat zu überfallen und zu inhalieren, kann es aus österreichischer Sicht keine Neutralität geben." Putin könnte den Krieg noch heute beenden. "Die gesamte Verantwortung, auch für die begangenen Kriegsverbrechen, liegt bei ihm", so Schallenberg.
Jedenfalls habe der russische Angriff "uns allen einen geopolitischen Eiskübel ins Gesicht geschleudert. Wir haben gewissermaßen unsere wirtschaftlichen Bedürfnisse an China ausgelagert, unsere Energiebedürfnisse an Russland und unsere Sicherheit an die USA." Das könne man nicht über Nacht korrigieren, trotzdem hätte im Februar "niemand gedacht, dass wir unsere Abhängigkeit von russischem Erdgas von 80 auf zwischenzeitlich 20 bis 30 Prozent verringern können."
Die Strategie Europas sei es, die Ukraine bei der Wiederherstellung ihrer vollen territorialen Integrität zu unterstützen und "Russland mit so starken Sanktionen und Maßnahmen" zu "belegen, dass es nicht nur diesen Krieg beendet, sondern auch keinen weiteren mehr führt". Immerhin habe man es mit einem systemischen Konflikt zu tun. "Die Art, wie wir reagieren, wird beobachtet. Nicht nur in Moskau, sondern auch in China." Hier gelte es ganz klare Kante zeigen, denn es dürfe "keinen Zweifel geben, wo Österreich steht - auf der Seite pluralistischer, westlicher und offener Demokratien."
Zusammenfassung
- Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hat in einem Interview mit der "Presse am Sonntag" ausgeschlossen, dass es mit Russland wieder so enge Beziehungen wie vor Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine geben werde.
- Einzig: Wir liefern aufgrund unserer militärischen Neutralität keine Waffen und kein letales Material in die Ukraine."
- Österreich halte jedenfalls weiter die Gesprächskanäle zu Russland und auch zu Belarus offen.