Rohrer: "Die Sache ist für die ÖVP aus dem Ruder gelaufen"
Seit vier Jahrzehnten beobachtet Journalistin Anneliese Rohrer die österreichische Politik. Da würde man sich nicht mehr über so vieles wundern, sagte sie am Montag in Newsroom LIVE bei PULS 24 Anchorwoman Sabine Loho. Selbst die Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes, Akten aus dem Finanzministerium von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) notfalls per Exekution durch den Bundespräsidenten zum Untersuchungsausschuss zu bringen, verwundere da nicht mehr.
Dennoch zeigte sich die Journalistin, die regelmäßig für "die Presse" schreibt, ein wenig überrascht: Der ÖVP seien viele Fehler passiert. "Die Sache ist für die ÖVP-Führung aus dem Ruder gelaufen", analysierte sie. Denn gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) läuft ein Ermittlungsverfahren wegen einer möglichen Falschaussage im Ibiza-U-Ausschuss über seine Beteiligung an der Bestellung von ÖBAG-Vorstand Thomas Schmid. Kurz bestreitet die Vorwürfe und greift bei seiner Verteidigung immer wieder Opposition und Justiz an.
"Wir sind in diese Situation völlig unnötig und überflüssig gekommen", sagte dazu Anneliese Roher. Kurz hätte einfach sagen sollen, dass es seine Aufgabe sei, in solche Bestellungen eingebunden zu sein - "Schüssel hätte das vermutlich getan" (Wolfgang Schüssel war ÖVP-Bundeskanzler von 2000 bis 2007, Anm.). Im Angesicht der Wahlsiege und der guten Umfragewerte hätte die ÖVP aber vergessen, dass der Ibiza-Untersuchungsausschuss weg von der FPÖ, hin zur ÖVP führen könnte. Auf den guten Umfragewerten würde sich Rohrer an Stelle der ÖVP aber nicht ausruhen - das sei 2006 wiederum der Fehler Schüssels gewesen.
"Man hat den Eindruck, dass die ÖVP etwas zu verbergen hat"
Kurz hätte außerdem wissen müssen, dass die Akten zu liefern sind, dass die Casino- und die ÖBAG-Affäre "irgendwie an der Schwelle der ÖVP landet", sagte Rohrer. "Er hätte wissen müssen, dass er das Match gegen die Justiz nicht gewinnen kann", denn diese besitze ein hohes Ansehen in Österreich.
Mit jeder seiner Verteidigungen werde es nun schlimmer, sagte Rohrer, denn es entstünde der Eindruck, "dass die ÖVP etwas zu verbergen hat".
Mangelnder Respekt
In Wirklichkeit ginge es aber doch gar nicht um "das Schicksal des Herrn Kurz" und seine etwaige Falschaussage, meinte Rohrer. Es ginge vielmehr um den mangelnden Respekt vor den politischen Institutionen wie dem Parlament oder dem U-Ausschuss, die die ÖVP an den Tag lege. Das sei eine Zumutung, denn "die Leute haben andere Sorgen", wie Rohrer ausführte. Es solle derzeit eigentlich um Gesundheitspolitik und die Wirtschaft gehen. Wegen der Pandemie wären auch etwaige Neuwahlen "ein verantwortungsloses Szenario gegenüber der Bevölkerung", sagte Rohrer.
Die Grünen könnten ihrem Koalitionspartner schon noch eine Weile zuschauen, sagte sie. Andererseits würden sie sich zunehmend schwer tun, das gegenüber der Öffentlichkeit und den eigenen Reihen zu argumentieren. Für die ÖVP wäre es "aber gar nicht so unrecht", wenn die Grünen aus der Koalition aussteigen würden, da sie dann in der Opferrolle in Neuwahlen gehen könnten, so Rohrer.
Zudem glaube sie nicht, dass die ÖVP eine Verlängerung des U-Ausschusses zulassen würde - vielleicht werde es aber im Herbst aber einen anderen geben.
Zusammenfassung
- Im Newsroom LIVE war am Montag Journalistin Anneliese Roher zu Gast. Sie sprach über die Vorgänge rund um den Ibiza-Untersuchungsausschuss und mögliche Neuwahlen.
- Letztere wären für Rohrer ein "verantwortungsloses Szenario gegenüber der Bevölkerung". Die ÖVP habe "mangelnden Respekt" vor den politischen Institutionen.
- Der ÖVP seien viele Fehler passiert. "Die Sache ist für die ÖVP-Führung aus dem Ruder gelaufen", analysierte sie.
- Kurz hätte wissen müssen, dass die Akten zu liefern sind, dass die Casino- und die ÖBAG-Affäre "irgendwie an der Schwelle der ÖVP landet", sagte Rohrer.
- "Er hätte wissen müssen, dass er das Match gegen die Justiz nicht gewinnen kann", denn diese besitze ein hohes Ansehen in Österreich.
- Wegen der Pandemie wären auch etwaige Neuwahlen "ein verantwortungsloses Szenario gegenüber der Bevölkerung", sagte Rohrer.