Sexuelle Gewalt: Ein bis zwei Kinder in jeder Klasse betroffen
Bei Burgschauspieler Florian Teichtmeister wurden laut Staatsanwaltschaft 58.000 Missbrauchsdarstellungen an Kindern gefunden. Sein Anwalt Michael Rami nannte das ein rein "digitales Delikt". "Aus Kinderschutzsicht ist das zynisch", sagt Psychologin Hedwig Wölfl von der Kinderschutzorganisation "Die Möwe". "Die juristische Unterscheidung ist das eine, das, was es für betroffene Kinder oder Jugendliche bedeutet, ist einfach eine schwerste Grenzverletzung und einfach Gewalt." Das dürfe man durch so ein Wording nicht bagatellisieren.
Pro Klasse ein bis zwei betroffene Kinder
"Dieser eine Fall eines prominenten Menschen, der jetzt medial bekannt wird, steht einer riesigen Dunkelziffer gegenüber", so Wölfl. Die "Möwe" würde jährliche einige hundert schwere sexuelle Gewaltfälle begleiten. "Wir müssen davon ausgehen, dass ganz viele Fälle nie aufgedeckt werden." Man müsse davon ausgehen, dass "in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder sitzen, die sexuelle Gewalt in einem strafrechtlich relevanten Kontext erleben und das bis zum Erwachsenwerden, bis zum 18. Lebensjahr". Der Prozentsatz an Pädophilen sei sehr gering und noch geringer die Zahl derjenigen, die zu Tätern werden. Die meisten Missbrauchstäter hätten keine pädophilen Neigungen, ihnen gehe es um Machtmissbrauch, den sie über eine sexuelle Ebene begehen.
Ruzowitzky: Verständnis für "Corsage"-Macherin
Stefan Ruzowitzky, der selbst einen Oscar gewonnen hat, hat Verständnis für "Corsage"-Macherin Marie Kreutzer, die den Film, in dem Florian Teichtmeister Kaiser Franz Joseph spielt, nicht zurückzog. Er selbst hätte auch nicht gewusst, wie er in so einem Fall reagieren würde. Es sei aus der Distanz auch nicht nachvollziehbar, wie früh den Filmemacher:innen klar war, was passiert sei. "Das haben sicher viele mitgekommen", so Ruzowitzky, der selbst nicht Bescheid wusste, "manche haben mehr gewusst, manche haben nichts gewusst".
Teichtmeister rausschneiden "praktisch unmöglich"
Teichtmeister nachträglich rauszuschneiden sei bei so einer großen Rolle faktisch unmöglich, glaubt der Regisseur und "wahrscheinlich auch ein rechtliches Problem". Regisseur Sebastian Brauneis weist hingegen darauf hin, dass es bei Fördergeldern "Überschreitungsreserven" gebe, die man genau dafür hätte einsetzen können, "außer, man war sich zu dem Zeitpunkt, weil man so geschockt war (...) dass man sich dessen nicht bewusst war, was das bedeutet". Darüber könne er aber nur mutmaßen.
Psychologin: Produktionen unterbrechen
Psychologin Wölfl rät, alle Produktionen zu unterbrechen, bis alle Vorwürfe geklärt sind, wenn herauskommen sollte, dass während einer laufenden Produktion gegen einen Mitarbeitenden von der Staatsanwaltschaft ermittelt wird. Man könne auch mit der Staatsanwaltschaft Rückfrage halten, ob sich die Vorwürfe verdichten. Es sei eine "typische Dynamik", dass im Nachhinein alle sagen würden, ihnen sei etwas komisch vorgekommen und dass Gerüchte die Runde gemacht hätten. "Das ist bei allen Formen von Gewalt gegen Kinder fast immer der Fall." Das Verdrängen sei bei Betroffenen ein Schutzmechanismus, bei allen anderen sei das Nicht Hinschauen "fehl am Platz".
Kaum Höchststrafen verhängt
Aktuell werden vom Kanzler abwärts von vielen Seiten härtere Strafen gefordert. "Ich denke, es wäre einmal wichtig die Strafrahmen, die wir jetzt schon haben auszuschöpfen. Die werden bei weitem nicht ausgeschöpft", kritisiert "Möwe"-Psychologin Hedwig Wölfl. Wichtiger als höhere Strafen wären Schutzbeauftragte, Kinderschutzkonzepte und klare Verhaltenskodizes, "wo jeder Schauspieler, jeder Regisseur unterschreibt" und ein österreichweites Kinderschutzgesetz.
Wo Opfer von Kindesmissbrauch Hilfe finden können:
Rat auf Draht: 147
Die Möwe: 01 532 1515, online auf: www.die-moewe.at
Beratungs- und Notfalltelefon Pro Juventute: 058 618 80 80
Der weiße Ring/Opfernotruf: 0800 112 112
Zusammenfassung
- Die Psychologin Hedwig Wölfl weist bei "Milborn" auf die enorme Dunkelziffer bei sexueller Gewalt gegen Kinder hin und dass selten die Höchststrafe verhängt wird.
- Oscar-Regisseur Stefan Ruzowitzky und Regisseur Sebastian Brauneis diskutieren über den bestmöglichen Umgang mit dem Film "Corsage", nachdem der Fall Teichtmeister bekannt wurde.