Fall Teichtmeister: "Höhere Strafen würden nicht helfen"
Alexander Seppelt ist Psychotherapeut und seit 30 Jahren bei der Männerberatung tätig. Knapp 200 Klienten meldeten sich 2022 bei der Beratungsstelle wegen eines Missbrauchsdelikts. Am präventiven "Nicht Täter werden"-Projekt nahmen 45 Personen teil. Der Fall um den Schauspieler Florian Teichtmeister lenkt die Aufmerksamkeit auf Pädosexualität und Pädophilie, ein Thema, das sonst oft tabusiert wird. Doch wie blickt jemand auf die Causa, der tagtäglich damit zu tun hat?
PULS24: Herr Seppelt, der Anwalt von Florian Teichtmeister betonte, dass sein Klient wegen eines "digitalen Delikts" angeklagt werde, nicht wegen eigenhändigen Missbrauchs. Juristisch macht das einen Unterschied, für Sie auch?
Alexander Seppelt: Das digitale Medium ist die Abbildung von Kindesmissbrauch. Je mehr Nachfrage es nach diesen Fotos gibt, desto mehr wird produziert. Jeder Klick ist für die Betreiber der Websites Cents wert.
Ist die Verwendung des Wortes Kinderpornografie verharmlosend?
Ich würde das Wort Pornografie überhaupt weglassen, weil es nicht konsensuell ist. Kinder machen keine Pornografie, Kinder werden missbraucht dafür. Jeder, der gesehen hat, was mit diesen Kindern passiert, würde nicht mehr von Pornografie sprechen. Wobei man dann natürlich die Pornografie auch verharmlost, weil sie auch sehr oft nicht konsensuell ist, wenn man an Menschenhandel und die massive Unterdrückung von Frauen denkt.
Die Vorwürfe gegen Teichtmeister waren dem Burgtheater schon länger bekannt. Das Theater musste Kritik einstecken, den Schauspieler nicht früher entlassen zu haben. Die Strafrechtlerin Katharina Beclin argumentierte wiederum, dass harte Konsequenzen vor einer Verurteilung verhindern würden, dass sich Menschen an Beratungsstellen werden.
Bei der präventiven Therapie bei pädophilen Männern ist das überhaupt kein Thema. Dass Therapeuten Schweigepflicht haben, kann man recherchieren.
Es ist aber immer mit wahnsinnig viel Scham behaftet, einem Therapeuten zu erzählen: "Ich stehe auf Kinder." Da gehört immer wahnsinnig viel Überwindung dazu, weniger aber die Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Es gibt in 30 Jahren vielleicht zwei Fälle, in denen Männer, die Missbrauchsbilder runtergeladen haben, zu uns kommen, bevor sie erwischt werden. Anders ist das in unserem "Nicht Täter werden"-Programm, wo Pädophile behandelt werden, die noch keine Taten gesetzt haben – die kommen immer freiwillig.
Hätte das Burgtheater früher reagieren sollen?
Das ist eine heikle Frage, auf die ich keine eindeutige Antwort habe. Wenn jemand ein pädosexuelles Problem hat, kann er meiner Meinung nach nicht mehr in Berufen arbeiten, wo er mit Kindern zu tun hat. Wenn ein Burgschauspieler in einem Stück spielt, wo nur Greise vorkommen, dann ist das relativ wurscht für den Schutz unserer Kinder und Jugendlichen. Wenn er Harry Potter inszeniert, wo Kinder und Jugendliche mitspielen, haben wir wiederum ein Problem. Wenn das Delikt aus Pornografie-Sucht passiert ist, dann ist es nicht wahnsinnig häufig, dass daraus Taten folgen. Aber es passiert. Kinder sind eindeutig zu schützen.
Mitleid oder Gnade sind für mich keine relevanten Kategorien. Ich versuche den Täter dabei zu unterstützen, keine Taten mehr zu setzen.
Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) fordert nun höhere Strafen. Was wäre eine angemessene Strafe?
Die Strafen, die es gibt, sind angemessen. Unsere Justiz ist gut aufgestellt. Höhere Strafen würden nicht helfen und die Strafen sind nicht nieder. Wenn jemand sein Verhalten nicht und nicht stoppen kann, gibt es den Maßnahmenvollzug, dann muss er im Gefängnis lernen, seine Gefährlichkeit zu reduzieren, sonst wird man ihn nicht rauslassen. Wie schnell das im Gefängnis passiert, ist eine andere Frage, auch eine Frage des Budgets.
Politaktivist Rudi Fußi sagte im PULS 24 Interview, Teichtmeister habe "keinerlei Gnade oder Mitleid verdient". Wie sehen Sie das?
Ich als Therapeut bin in Beziehung mit den Klienten. Manche von ihnen fragen selbst: "Warum sind Sie so nett zu mir?" Sie haben eine Tat begangen, sie sind nicht die Tat. Es gibt andere Seiten auch noch in ihnen und die sehe ich. Wiewohl ich dabei den Teil von ihm, der die Tat begangen hat, weder unter den Teppich kehre, noch verharmlose. Das ist meine therapeutische Haltung. Mitleid oder Gnade sind für mich keine relevanten Kategorien. Ich versuche den Täter dabei zu unterstützen, keine Taten mehr zu setzen.
Wie funktioniert so eine Therapie?
Das kommt darauf an, ob jemand schon Handlungen in der realen Welt gesetzt hat oder nicht. Es gibt bei uns ein Hands-Off-Team (Täter hatten keine realen Berührungen, Anm.) und ein Hands-On-Team (Täter übten Missbrauch aus, Anm.). Es geht in beiden Fällen aber um Verhaltensänderung. Es wird nicht großartig viel Energie in die Frage gesteckt, warum jemand so ist, wie er ist.
Warum ist der Unterschied so wichtig?
Beim Hands-Off-Delikt gibt es oft einen suchtartigen Hintergrund. Die Männer kommen über ihre Pornografie-Sucht zu Kindesmissbrauchsbildern, weil normale pornografische Inhalte nicht mehr den Kick geben, den sie gerne hätten. Da muss auch eine Sucht-Arbeit stattfinden. Dann wird es wichtig sein, dass man mit Pornografie aufhört. Das ist sonst, wie wenn man beim Alkoholentzug sagt, man mag nur mit dem Schnaps aufhören, aber weiter Wein trinken. Irgendwann bin ich wieder beim Schnaps.
Gibt es wirklich Menschen, die Kindesmissbrauchsbilder nur wegen einer Porno-Sucht schauen, sie fühlen sich nicht zu Minderjährigen hingezogen?
Dass es gar nicht darum geht, kann man nicht sagen, weil es hat einen Grund, dass diese Abbildungen einen Reiz ausmachen. Man muss auch wieder unterscheiden: Zwischen Hebephilie (sexuelles Interesse an pubertären Jugendlichen, Anm.) und Pädophilie (Interesse an Kindern, Anm.). Wenn das Delikt aus einer Pornografiesucht begangen wird, dann geht es sehr oft um hebephile Motivationen.
Auf wie viele Männer trifft das zu?
Es gibt Studien, wonach vier Prozent aller Männer präpubertäre Kinder als attraktiv empfinden. Die sind nicht ausschließlich erregbar über diese Kinder, aber auch. Etwa zwei Promille aller Männer sind ausschließlich pädophil – das ist immerhin jeder 500.
In etwa 80 Prozent aller Fälle, die zu uns kommen, haben eine Pornografie-Sucht-Geschichte, 20 Prozent suchen wirklich gezielt pädo- oder hebephile Inhalte. Selbst im Hands-On-Bereich haben Sie nur zu 20 Prozent mit Pädophilen zu tun. Beim Rest geht es um Machtmissbrauch, um die Steigerung des Selbstwertgefühls, um Männer, die sich nicht trauen, mit erwachsenen Frauen sexuellen Kontakt zu haben.
Wie gelingt nun die Verhaltensänderung?
Sex Offender Treatment Programme (SOTP, Anm.) sind alle relativ gleich aufgebaut. Zuerst geht es um die Delikt-Einsicht. Gerade im Hands-Off-Bereich höre ich in den ersten Stunden oft: "Es waren ja eh nur Bilder." Also, dass das ein Delikt ist, ist noch nicht ganz durchgedrungen.
Das ist aber ein wichtiger Teil, weil erst, wenn er einsieht, dass das schädigend ist, wird er Energie dafür aufwenden, was zu verändern. Wenn Sie als Alkoholiker nicht wissen, warum Sie aufhören sollen zum Trinken, werden sie nicht aufhören. Wenn Sie die Diagnose Leberzirrhose haben – auf einmal geht’s. Dann folgen drei weitere Teile – der Ich-Teil, der Du-Teil, der Präventions-Teil.
Die 58.000 Dateien bei dem Herrn Teichtmeister, das ist bei Weitem nicht die höchste Zahl an Dateien, die mir in meiner Arbeit begegnet sind.
Um was geht es im Ich-Teil?
Man schaut sich an, welche Vor- und Nachteile das Verhalten hat. Was kostet es mich, welche Motivation habe ich, welche Bedürfnisse hätte ich gerne befriedigt. Worum geht es eigentlich, wenn Inhalte gedownloadet werden? Meistens ist es nie ein rein sexuelles Interesse.
Es geht selten um das Sexuelle?
Nicht nur ums Sexuelle. Das Sexuelle ist immer irgendwie dabei, sonst würde man eine andere Sucht haben, oder andere Bedürfnisbefriedigungen suchen. Aber es geht auch ohne. Manche entwickeln eine Sammel-Leidenschaft. Es sagt daher nichts aus, wie viele Bilder bei jemandem gefunden werden. Die 58.000 Dateien bei dem Herrn Teichtmeister, das ist bei Weitem nicht die höchste Zahl an Dateien, die mir in meiner Arbeit begegnet sind. Manchen Klienten geht es auch darum, im Forum zu sagen, was man alles gesammelt hat – es geht um den sozialen Status im Netz. Oder es geht darum, Probleme im echten Leben zu verdrängen, in dem man sich vor den Rechner setzt.
Dann kommt der Du-Teil?
Dabei geht es um Opfer-Empathie. Nur weil ein Kind ruhig ist, ist es nicht einverstanden, mit dem, was passiert. Wenn ein 17-jähriges Mädchen in einem Video masturbiert, muss der Klient lernen: Das hat sie nicht für ihn produziert, sondern mit großer Sicherheit für ihren Freund oder ihre Freundin. Und dass die Opfer leiden.
Die meisten Klienten müssen verharmlosen, um Lust zu generieren, weil die meisten wollen schöne Bilder haben. Es gibt natürlich auch Gewaltfantasien, aber die sind in der Minderheit. Die Schönrede-Varianten werden in den Therapiestunden thematisiert und hinterfragt.
Und dann folgt die Prävention?
Ich sage immer, wir müssen Warnlampen installieren. Die Strategie ist, möglichst früh zu merken, dass man wieder in die Welle kommt. Nicht erst, wenn schon die URL eingegeben ist.
Wenn die Polizei da ist oder vor Gericht, da haben fast alle das Gefühl: "Nie wieder werde ich das machen." Aber die Fantasien beginnen meistens irgendwann wieder im Kopf zu arbeiten. Und dann brauchen die Klienten mehr Möglichkeiten als den verblassenden Schrecken.
Wie lange dauert das alles?
Nicht unter zwei Jahre, meistens drei Jahre.
Ist die Therapie erfolgreich?
Unbehandelt liegt die Rückfallquote bei 22 Prozent, behandelt bei 3,9 Prozent. Behandelt bedeutet, dass die ganze Therapie durchgemacht wurde. Bei Abbruch ist die Rückfallquote so hoch wie bei Unbehandelten. Kernpädophile haben allerdings eine höhere Rückfallquote.
Es hat sich ja niemand ausgesucht, diese Neigung zu haben.
Welche Möglichkeiten gibt es für Pädophile oder Pädosexuelle, die noch keine Handlungen gesetzt haben?
Wenn jemand diese Fantasien im Kopf hat und noch nie im Leben ein Missbrauchsvideo oder -bild gesehen hat und niemanden angefasst hat, dann muss man ihm eigentlich sein Verhalten nicht abtrainieren. Dann gehört unterstützt, dieses Verhalten beizubehalten.
Aus dem Gedanken, etwas haben zu wollen, aber es nicht kriegen zu können, kann aber ein Zwangsgedanke, ein Leidensdruck werden. Bei fast allen psychischen Krankheiten gibt es erhöhte Werte bei pädophilen Menschen. Weil diese Sexualität ja niemand wollte. Es hat sich ja niemand ausgesucht, diese Neigung zu haben. Die Sexualität sollte nicht die ganze Persönlichkeit beherrschen, sondern zum Teil der Persönlichkeit werden. Das kann den Leidensdruck bereits mildern.
Kann Pädophilie wegtherapiert werden?
Was heißt wegtherapiert? Dass die Ideen, die Gedanken weggehen? Nein, das geht nicht. Zumindest ist noch nichts erfunden worden. Dass die Gedanken einen nicht mehr beherrschen? Dass man aus den Gedanken keine Handlung machen muss? Ja, das geht.
Männerberatung:
Telefon: 01 603 28 28
Webseite: www.maenner.at
Zusammenfassung
- Der Fall um den Schauspieler Florian Teichtmeister lenkte die Aufmerksamkeit auf Pädosexuelität und Pädophilie. Ein Thema, das sonst oft tabusiert wird. Doch wie blickt jemand auf die Causa, der tagtäglich damit zu tun hat?
- Alexander Seppelt ist Psychotherapeut und seit 30 Jahren bei der Männerberatung tätig.
- Er spricht im PULS 24 Interview über den Fall Teichtmeister und angemessene Strafen. Er erklärt, wie erfolgreich Therapien überhaupt sind.