Moskau und Peking kontern NATO: "Kriegsrhetorik"
Dagegen begründete der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz die geplante Stationierung von US-Marschflugkörpern mit einer Reichweite von bis zu 2.500 Kilometern mit der Bedrohung aus Russland. "Wir wissen, dass es eine unglaubliche Aufrüstung in Russland gegeben hat, mit Waffen, die europäisches Territorium bedrohen", sagte Scholz am Rande des Gipfels. Die Stationierung weitreichender Waffen sei bereits vor einem Jahr in der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik festgeschrieben worden. "Deshalb passt die Entscheidung der Vereinigten Staaten genau in diese Strategie, die wir öffentlich diskutieren seit langer Zeit."
Die USA wollen erstmals seit dem Kalten Krieg wieder Waffensysteme in Deutschland stationieren, die bis nach Russland reichen. Das hatten das Weiße Haus und die deutsche Regierung am Mittwoch vereinbart. Moskau ist etwa 1.600 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt. Von 2026 an sollen Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit, Flugabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu entwickelte Überschallwaffen für einen besseren Schutz der NATO-Verbündeten in Europa sorgen.
Zum Abschluss des dreitägigen Treffens in Washington garantierten die 32 Staats- und Regierungschef des Bündnisses dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj militärische und politische Unterstützung, die eines Tages in einem NATO-Beitritt münden soll. Mit Blick auf China nahmen auch Vertreter aus Indopazifik-Staaten an den Beratungen teil.
Selenskyj selbst rief die Verbündeten auf, alle Beschränkungen für Angriffe auf Ziele in Russland zu streichen. "Wenn wir siegen, triumphieren wollen ... dann müssen wir alle Einschränkungen aufheben", sagt er auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Dieser berichtete von einer russischen Kampagne feindseliger Handlungen gegen die Allianz. Das Vorgehen habe jedoch den gegenteiligen Effekt, sagte Stoltenberg.
Für Verärgerung im Bündnis sorgten angebliche Pläne des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, Ex-US-Präsident Donald Trump nach dem Gipfel zu besuchen. Eine offizielle Bestätigung für diese Medienberichte unter anderem der "New York Times" stand aus. Die britische Zeitung "The Guardian" meldete unter Berufung auf eine Quelle aus dem Umfeld Orbans, das Treffen werde in Trumps Residenz Mar-a-Lago stattfinden. Trump will nach der US-Wahl im November wieder ins Weiße Haus einziehen. Der Wahlkampf gegen US-Präsident Joe Biden befindet sich mitten in der heißen Phase.
Scholz sagte dazu beim NATO-Gipfel auf Nachfrage, er kommentiere die Reisepläne von Regierungschefs anderer Länder nicht. Der ungarische Ministerpräsident agiere als solcher und nicht im Rahmen der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft. Orban hatte bereits in den Tagen vor dem Gipfel für Schlagzeilen gesorgt. Im Rahmen einer als "Friedensmission" inszenierten Staatentour besuchte der Regierungschef des NATO-Landes China, Russland und die Ukraine.
Biden stand beim NATO-Treffen unter ständiger Beobachtung, nachdem er bei einem TV-Duell gegen Trump Ende Juni Zweifel an seiner geistigen und körperlichen Fitness gesät hatte. Die ersten beiden Tage kam Biden als Gastgeber nahezu pannenfrei durch. In der Nacht auf Freitag wollte er zum Ende des NATO-Gipfels eine Pressekonferenz geben.
Russland will nach Angaben seines Außenministeriums militärisch auf die geplante Stationierung weitreichender US-Waffen in Deutschland reagieren. Die russische Sicherheit werde durch solche Waffen beeinträchtigt, sagte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow der staatlichen Nachrichtenagentur Tass zufolge. Es handle sich um "ein Kettenglied im Eskalationskurs" der NATO und der USA gegenüber Russland. "Wir werden, ohne Nerven oder Emotionen zu zeigen, eine vor allem militärische Antwort darauf ausarbeiten."
Der Kreml nannte die NATO-Beschlüsse zur Ukraine eine Bedrohung der eigenen Sicherheit und kündigte Gegenmaßnahmen an. Die Entscheidung, die Ukraine früher oder später in die Allianz aufzunehmen, verdeutliche das Hauptziel des Bündnisses, Russland kleinzuhalten, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow und erwähnte einmal mehr die russische Atomdoktrin. Er bestätigte, dass an Veränderungen gearbeitet werde. Das bisherige Leitprinzip lautet, dass Russland Atomwaffen nur als Reaktion auf einen Atomangriff oder einer existenziellen Gefahr für das Land bei einem konventionellen Angriff einsetzen darf.
China übte scharfe Kritik an der Erklärung des NATO-Gipfels. Sie übertreibe hinsichtlich der angespannten Lage im Asien-Pazifik-Raum und sei voll von Kriegsrhetorik, Verleumdung und Provokationen gegenüber China, sagte Außenamtssprecher Lin Jian in Peking. Die Verantwortung Chinas im Ukraine-Krieg, die die NATO propagiere, sei ungerechtfertigt, erklärte Lin. Die NATO verbreite falsche, von den USA geschaffene Informationen und untergrabe damit die Zusammenarbeit zwischen China und Europa.
Die NATO koordiniert künftig von Wiesbaden aus Waffenlieferungen und Ausbildungsaktivitäten für die ukrainischen Streitkräfte. Für das neue NATO-Kommando sollen insgesamt rund 700 Mitarbeitende im Einsatz sein, Deutschland will davon bis zu 40 Mitarbeiter stellen, darunter auch einen Zwei-Sterne-General als stellvertretenden Kommandanten.
In der Gipfelerklärung wird der Ukraine zugesichert, dass sie auch innerhalb des nächsten Jahres wieder Militärhilfen im Wert von mindestens 40 Milliarden Euro erhält. Das ist in etwa der Betrag, der auch im vergangenen Jahr mobilisiert werden konnte. Die Zusage entspricht nicht der mehrjährigen Verpflichtung, die der scheidende NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ursprünglich gefordert hatte. Beim Streitthema NATO-Beitrittsperspektive gibt es einen Kompromiss. Das Bündnis sichert der von Russland angegriffenen Ukraine zudem zu, dass sie auf ihrem Weg in das Verteidigungsbündnis nicht mehr aufgehalten werden kann.
Rumänien, Bulgarien und Griechenland schließen nach rumänischen Angaben eine Vereinbarung zur raschen Verlegung von Truppen und Waffen an die NATO-Ostflanke. Das am Rande des Gipfels in Washington unterzeichnete Abkommen solle Militärtransporte über Schiene, Straße und Seehäfen in Friedenszeiten erleichtern und in Notfällen optimieren, teilt das rumänische Verteidigungsministerium mit. Rumänien grenzt an die Ukraine sowie an die Republik Moldau, in der ein Konflikt um prorussische Separatisten schwelt.
Zusammenfassung
- Russland und China kritisieren die NATO-Beschlüsse und bezeichnen die NATO-Erklärung als provokativ und verleumderisch.
- Russland kündigt militärische Gegenmaßnahmen gegen die Stationierung von US-Waffen in Deutschland an, die eine Reichweite von bis zu 2.500 Kilometern haben.
- Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz rechtfertigt die Stationierung der US-Waffen als Reaktion auf die Bedrohung aus Russland.
- Die NATO sichert der Ukraine militärische und politische Unterstützung im Wert von mindestens 40 Milliarden Euro im nächsten Jahr zu.
- Rumänien, Bulgarien und Griechenland vereinbaren eine schnellere Verlegung von Truppen und Waffen an die NATO-Ostflanke.