Moskau versucht Schlüsselpositionen im Donbass einzunehmen
Die Lage im Donbass sei sogar "extrem schwierig", da die Russen versuchten, "alles Lebende zu eliminieren", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Nacht zum Dienstag. Der Fall von Bachmut in der Region Donezk würde den russischen Truppen die Kontrolle über einen entscheidenden Knotenpunkt verschaffen, der derzeit als Kommandozentrale für einen Großteil der ukrainischen Kriegsanstrengungen im Osten dient. "Wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir dabei sind, Evakuierungen zur Pflicht zu machen", erklärte der Leiter der Militärverwaltung von Bachmut, Serhij Kalian.
Im Osten der Ukraine haben russische Truppen nach Angaben beider Seiten im Gebiet Donezk die Kleinstadt Switlodarsk und drei weitere Ortschaften erobert. Der Chef der kommunalen Militärverwaltung, Serhij Hoschko, bestätigte am Dienstag nach Berichten ukrainischer Medien entsprechende Angaben der prorussischen Separatisten. In der Nähe von Switlodarsk befindet sich das größte Kohlekraftwerk der Ukraine.
Der Gouverneur der Region Donezk hatte eingeräumt, dass die Russen drei Ortschaften in der Region sowie die Stadt Switlodarsk kontrollieren würden. Zuvor hatten die Separatisten über den Rückzug ukrainischer Truppen aus dem Gebiet berichtet, die von der Einkesselung bedroht waren.
Parallel dazu sei im nördlichen Donezker Gebiet mit dem Sturm der Stadt Lyman begonnen worden, hieß es von den Separatisten. Der ukrainische Generalstab bestätigte, dass russische Truppen mit Unterstützung von Artillerie und Luftwaffe die Stadt angriffen. Zur Lage in Switlodarsk gab es vom Generalstab keinen Kommentar. Die ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform teilte am Dienstag mit, dass die Armee Kiews seit Beginn des russischen Überfalls am 24. Februar mehr als tausend Ortschaften befreit habe.
Der Gouverneur von Luhansk, Serhij Gajdaj, berichtete von so schwerem Beschuss in Sewerodonezk, dass Evakuierungen unmöglich seien. "Eine solche Dichte des Beschusses wird es uns nicht erlauben, die Menschen in aller Ruhe zu sammeln und sie zu holen", erklärte er auf Telegram. Die ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform meldete, dass bei einem Angriff auf ein Chemiewerk in Sewerodonezk vier Menschen getötet worden seien, ein weiterer Bewohner im Zentrum der Stadt.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba forderte erneut schnellere Militärhilfen des Westens. "Es ist zu früh, um zu dem Schluss zu kommen, dass die Ukraine bereits über alle Waffen verfügt, die sie benötigt", schrieb Kuleba am Dienstag auf Twitter. "Die russische Offensive im Donbass ist eine erbarmungslose Schlacht, die größte auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg." Sein Land benötige insbesondere schnell Mehrfachraketenwerfer und Langstreckenartillerie.
Die Spitzen des russischen Verteidigungsministeriums und des mächtigen Sicherheitsrates machten am Dienstag deutlich, dass der russische Militäreinsatz in der Ukraine länger dauern werde. Der Einsatz werde so lange dauern wie nötig, erklärte der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats, Nikolai Patruschew, der russischen Zeitung "Argumenty i Fakty".
Verteidigungsminister Sergej Schoigu kündigte an, der Militäreinsatz werde "bis zur Realisierung aller Ziele, unabhängig von der enormen westlichen Hilfe für das Regime in Kiew und von dem beispiellosen Sanktionsdruck" fortgesetzt. Das russische Bemühen, zivile Opfer zu vermeiden, "verlangsamt natürlich das Tempo der Offensive, aber das ist beabsichtigt".
Nach Einschätzung britischer Geheimdienste hat Russland bei seiner Offensive in der Ostukraine einige lokale Fortschritte gemacht. Moskau habe die Intensität seiner Aktivitäten im Donbass deutlich verstärkt und versuche dort, mehrere Städte zu umzingeln, hieß es am Dienstagmorgen in einem Update des britischen Verteidigungsministeriums. Allerdings sei dies nur ein Teil von Russlands Mission, die gesamte Donbass-Region unter seine Kontrolle zu bringen. Der ukrainische Widerstand sei stark.
Sollte sich die Frontlinie im Donbass weiter nach Westen verschieben, werde dies mutmaßlich weitere logistische Schwierigkeiten für die Russen mit sich bringen, so die britischen Geheimdienste. Schon seit Monaten veröffentlicht die britische Regierung in ungewöhnlich offener Art und Weise regelmäßig Geheimdienstinformationen zum Verlauf des Angriffskriegs. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.
Russlands Militär berichtete am Dienstag vom Abschuss eines ukrainischen Kampfflugzeugs bei Kramatorsk. Zudem seien innerhalb von 24 Stunden insgesamt 36 militärische Stellungen der Ukrainer mit Raketen beschossen worden. Dabei sei ein ukrainisches Waffenlager, das genutzt werde, um Artilleriegranaten für Haubitzen des Typs M777 aus amerikanischer Produktion zu lagern, teilt das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Die Nachrichtenagentur Ukrinform meldete, dass Kanada den ukrainischen Streitkräfte 20.000 Granaten vom Kaliber 155 mm für schwere Artillerie liefern wird.
Im Süden schien die Front hingegen stabil zu sein, auch wenn die Ukrainer Gewinne für sich beanspruchen. Das ukrainische Südkommando berichtete in der Nacht zum Dienstag von einem "Vorstoß" seiner Divisionen "durch die Region Mykolajiw in Richtung der Region Cherson". Die Ukrainer beschuldigten die russischen "Besatzer" zudem, fliehende Zivilisten durch Minen, Bomben und Schüsse zu töten.
Seit Beginn des Kriegs vor drei Monaten hat Russland laut Präsident Selenskyj fast 1.500 Raketenangriffe und mehr als 3.000 Luftangriffe auf die Ukraine ausgeführt - die meisten davon auf zivile Ziele. Nach Angaben der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft wurden allein 234 Kinder getötet und 433 weitere verletzt.
Westliche Länder haben die Ukraine in den vergangenen drei Monaten mit enormen Summen und Waffenlieferungen bei der Abwehr der russischen Angriffe unterstützt.
Zusammenfassung
- Die russischen Streitkräfte versuchen nach ukrainischen Angaben, mit heftigen Bombardierungen Schlüsselpositionen im Osten der Ukraine zu erobern.
- Zur Lage in Switlodarsk gab es vom Generalstab keinen Kommentar.
- Moskau habe die Intensität seiner Aktivitäten im Donbass deutlich verstärkt und versuche dort, mehrere Städte zu umzingeln, hieß es am Dienstagmorgen in einem Update des britischen Verteidigungsministeriums.