APA/APA/THEMENBILD/HANS KLAUS TECHT

"Krisen" in Wiens Spitälern: Das empfiehlt die Patientenanwaltschaft

Von Corona über Personalmangel und Klassenmedizin bis hin zur Sterbehilfe. Die Themen, mit denen sich die Wiener Patientenanwaltschaft im vergangenen Jahr beschäftigen musste, sind vielseitig. PULS 24 liegt der Jahresbericht vor.

Ein 31-Jähriger kommt in ein Wiener Spital, klagt über Schmerzen in der linken Brust, wird aber mit der Diagnose Muskelkater wieder heimgeschickt. Kurz darauf stirbt er an einem Herzinfarkt

Eine 53-Jährige verblutet bei der Dialyse, weil die Drehverriegelung nicht korrekt durchgeführt wurde.

Ein Neugeborenes erleidet beim Baden durch eine Pflegeassistentin Verbrühungen. Das Wasser hat nach dem Baden noch 49 Grad. Die Pflegerin spürt das nicht, sie trägt wegen eines multiresistenten Keimes Handschuhe. 

Eine 63-jährige Patientin wird mit der Bettnachbarin verwechselt. Sie bekommt ein Chemotherapeutikum verabreicht und erleidet starke Knochen-, Muskel- sowie Gelenksschmerzen und vorübergehend Haarausfall. 

In solchen Einzelfällen steht die Wiener Pflege- und Patientenanwaltschaft (WPPA) laut ihrem Jahresbericht 2022 Betroffenen zur Seite, um mögliche Entschädigungen zu erwirken.

So drastisch dürften aber nicht alle Fälle sein. Insgesamt prüfte die WPPA im Jahr 2022 3.218 Fälle nach Beschwerden, von Amtswegen oder nach Meldungen aus den betroffenen Gesundheitseinrichtungen.

  • Ein Großteil der Anliegen betraf städtische Krankenanstalten (723 Fälle, 744 waren es im Vorjahr).
  • 353 Fälle betrafen niedergelassene Ärzt:innen und 249 Fälle sonstige Krankenanstalten (295 waren es im Vorjahr).
  • 249 Fälle betrafen Sozialversicherungen, 38 Meldungen soziale Dienste, 14 Fälle städtische und 118 Fälle private Pflegeheime. 
  • In 27 Prozent der 2.973 schließlich aktenmäßig dokumentierten Anliegen wurden Schäden durch Behandlungsfehler behauptet.
  • In den restlichen Fällen ging es beispielsweise um Verrechnungsproblematiken, Wartezeiten, Verhaltensbeschwerden oder Rechtsauskünfte.

Der Jahresbericht wird am kommenden Mittwoch im Wiener Landtag präsentiert, schon am Donnerstag sickerten erste Details durch und sorgten für Aufregung. Wurden die oben genannten Einzelfälle in doch in Zusammenhang mit dem viel diskutierten Personalmangel gebracht. Das sei laut Patientenanwalt Gerhard Jelinek unzulässig. 

PULS 24 liegt nun der ganze Jahresbericht vor: Die WPPA zeigt darin strukturelle Probleme im Gesundheitswesen auf und gibt spannende Empfehlungen an die Politik ab. 

Mehrklassenmedizin und Personalmangel

"Das dominierende Gesundheitsthema des Jahres 2022 schlechthin war im Spitalsbereich der Personalmangel an Ärzt:innen, vor allem aber an Pflegekräften", heißt es im Bericht. Daraus würden lange Wartezeiten bei Operationen, Terminverschiebungen, Bettsperren, Mehrklassenmedizin und unzumutbare Wartezeiten in Ambulanzen sowie Kommunikationseinbußen und Qualitätsmängel resultieren. 

Besonders im Herbst 2022 sorgten einige Gefährdungsanzeigen von Abteilungsleitern verschiedener Wiener Spitäler - PULS 24 berichtete - für Aufsehen. Diese Anzeigen sollten "keinesfalls" "bagatellisiert oder 'schubladisiert' werden", heißt es im Bericht.

Kritisiert wird, dass die Direktion des Wiener Gesundheitsverbund (WiGeV) in einer Dienstanweisung einen Hinweis unterbrachte, missbräuchliche Anzeigen seien als Dienstpflichtverletzungen anzusehen. Das würde Patient:innen schaden, so die WPPA. Auch, dass nach getätigten Anzeigen die Innenrevision vorbeigeschickt wurde, sei laut WPPA "diskutabel". 

Die Beschwerden über OP-Absagen oder Terminverschiebungen seien nicht nur auf die Corona-Pandemie zurückzuführen, heißt es im Bericht. Es gebe nicht nur Personalprobleme im nichtärztlichen Bereich, "daneben gibt es (...) auch einen Engpass bei Fachärzt:innen". So wird etwa auf die Klinik-Floridsdorf verwiesen, wo die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie geschlossen bleiben müsse. 

In Ambulanzen würde es "zum Teil exorbitante Wartezeiten" geben. Die WPPA berichtet im ambulanten Bereich von mangelnder telefonischer Erreichbarkeit, von Betreuungsdefiziten während des Wartens und Diagnosefehlern. 

"Manche Behandlungsbeschwerden" seien wirklich auf Ressourcen- und Kommunikationsproblem zurückzuführen, heißt es. Die WPPA nennt auch Beispiele: So wurde etwa einem Patienten mit Herzbeschwerden eine Wartezeit von 40 Tagen zugemutet. Er erlitt in der Zeit einen Herzinfarkt. Ein Patient erlitt nach einer "unsachgemäßen Lagerung" nach einer Wirbelsäulen-OP einen schmerzhaften Weichteilschaden, dessen Heilung vier Monate dauerte. 

All diese Missstände würden "zu einem Großteil aus der Personalknappheit und damit starken Belastung bis Überforderung des verbliebenen Personals" resultieren, so die WPPA. Es drohe eine "Abwärtsspirale".

Die Gründe für den Personalmangel seien vielschichtig: Dazu gehören Aus- und Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie, ein ungewöhnliches Zusammentreffen mehrerer hochinfektiöser Erkrankungen zum selben Zeitpunkt, demografische Gründe, die verringerte Bereitschaft des Personalnachwuchses, übermäßige Belastungen in Kauf zu nehmen oder Vollzeitbeschäftigungen anzustreben, Imageprobleme einzelner Fächer, verlockende Arbeitsbedingungen für Wahlärzt:innen und dass zu viele Patient:innen in Spitälern ambulant behandelt werden, weil es zu wenige Kassenärzt:innen gebe.

Um dem Mangel an Kassenärzt:innen und Klagen über beschränkte Öffnungszeiten bei diesen entgegenzukommen, empfiehlt die Patientenanwaltschaft unter anderem die Erhöhung der Tarife zur Anhebung der Attraktivität von Kassenverträgen, Unterstützung für Berufseinsteiger:innen in der Selbstständigkeit, den Ausbau von Primärversorgungseinrichtungen und ein Controlling bei OP-Terminen, damit Privatpatient:innen nicht bevorzugt werden. 

Die WPPA fordert außerdem eine "Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Spitalspersonals" und eine "echte Verhandlungsbereitschaft" aller Institutionen im Gesundheitswesen ein. 

Medikamenten-Lager gefordert

Um den Jahreswechsel zeichnete sich der Engpass bei manchen Medikamenten auch bei den Beschwerden, die an die WPPA herangetragen wurden, ab. Die Patientenanwälte empfehlen daher die Errichtungen einer Datenbank über den aktuellen Medikamenten-Stand bei Apotheken, auf die Ärzt:innen zugreifen können. Außerdem sollten die Wirkstoffverschreibung forciert werden und Medikamente in angemessenen Packungsgrößen verschrieben werden. Für den Winter sollte ein Lager aufgebaut werden

"Zick-Zack-Kurs" bei der Impfpflicht

Corona habe den Gesundheitsbereich vor allem im ersten Halbjahr 2022 noch gefordert. "Erfreulicherweise ließ sich die Wiener Gesundheitspolitik von dieser Eile mit der Rückkehr zur Normalität nicht anstecken und fuhr in Teilbereichen weiterhin den bewährten vorsichtigen Kurs", schreibt Patientenanwalt Gerhard Jelinek in seiner Einleitung.

Die WPPA kritisiert hingegen den "Zick-Zack-Kurs der Bundesregierung bei der eingeführten und kurz darauf rückgängig gemachten allgemeinen Impfpflicht". Die "außerordentliche Belastung von Kindern und Jugendlichen" hätte "besonders schmerzlich vor Augen geführt, dass die ärztliche Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie völlig unzureichend ist".

Empfohlen wird in diesem Bereich, das Abwassermonitoring sowie die Gratistests für vulnerable Gruppen und Menschen mit Symptomen beizubehalten. Im Umgang mit Vulnerablen sollte Maske getragen werden und es sollte eine Kampagne für Auffrischungsimpfungen geben. 

Bei etwaigen Impfschäden sollte es eine höhere Entschädigung sowie eine Lockerung der Voraussetzungen geben. Höhere Entschädigungen sollte es auch für Menschen geben, die sich in Spitälern infizierten. Long-Covid sollte besser erforscht werden und es brauche ein besseres Datenmanagement sowie eine "raschestmögliche" Erhöhung des Angebotes an kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung.

Mehr Sensibilisierung für seltene Krankheiten

Die WPPA empfiehlt zudem eine Sensibilsierung und Fortbildung für Allgemeinmediziner:innen und Kinderärzt:innen, was den Umgang mit seltenen Krankheiten angeht. Es sollte spezielle Rehas und Kompetenzzentren geben. So hat es im Zusammenhang mit ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/ chronic fatigue syndrome) und Long-Covid Klagen über verspätete oder falsche Diagnosen, teilweise schädigende Behandlungen und fehlende soziale Anlaufstellen gegeben. 

Offene Fragen bei Sterbehilfe

Seit Jänner 2022 ist das Sterbeverfügungsgesetz, welches die rechtlichen Voraussetzungen für den assistieren Suizid regelt, in Kraft. Noch immer werden Klarstellungen des Gesetzgebers aber "schmerzlich vermisst", heißt es von der WPPA. Schon im Jahresbericht 2021 wurde beispielsweise kritisiert, dass etwa die Gruppe, die assistierten Suizid in Anspruch nehmen darf, nicht klar definiert sei. Zwei Ärzt:innen müssen laut Gesetz Aufklärung durchführen - unklar sei, wie Menschen mit stark eingeschränkter Mobilität diese finden sollten. 

Verbesserungen bei Rettungs- und Krankentransport

Ein kleines Lob gibt es bei den Wartezeiten auf Rettungs- und Krankentransporte. Nach wie vor gebe es Beschwerden, diese seien aber zurückgegangen. Vor allem in der Klinik Floridsdorf sei es mit der Entlassungs-Area zu Erfolgen gekommen. Das Modell sei auf anderen Kliniken auszudehnen. 

Rasante Abfolge von "Krisen"

Das Gesundheitssystem befinde sich also in einer "rasanten Abfolge von 'Krisen'", fasst Patientenwanwalt Gerhard Jelinek im Bericht zusammen. Ein "schlechter werdendes Gesprächsklima von Teilen der Ärztekammer und der Stadtpolitik" prägten auch den Beschwerdealltag der WPPA. Das Gesundheitssystem werde auf eine "harte Belastungsprobe" gestellt.

Dennoch, so Jelinek, sei "die Qualität des österreichischen Gesundheitssystems europaweit noch immer hoch einzuschätzen". 

ribbon Zusammenfassung
  • Von Corona über Personalmangel und Klassenmedizin bis hin zur Sterbehilfe. Die Themen, mit denen sich die Wiener Patientenanwaltschaft im vergangenen Jahr beschäftigen musste, sind vielseitig.
  • PULS 24 liegt der Jahresbericht mit zahlreichen Empfehlungen an die Politik vor.