ME/CFS: "Es ist erschreckend, wie wenig die Leute darüber wissen"
ME/CFS ist Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. Wer daran leidet, ist nicht "müde" im herkömmlichen Sinn, sondern schwer krank.
Am 28. April beschloss der Nationalrat einstimmig, sich besser für eine diagnostische und therapeutische Versorgung von Menschen mit ME/CFS einzusetzen. PULS 24 hat mit einem Betroffenen gesprochen, warum das notwendig ist. Bernd P. seit mehr als 20 Jahren chronisch krank.
Was würden Sie Menschen sagen, die zum ersten Mal von ME/CFS hören?
Es ist erschreckend, wie wenig Menschen darüber Kenntnis haben. Es gibt immer noch viele Menschen, die es zum ersten Mal hören und sich gar nicht auskennen. Erschreckenderweise auch oft Personen, die im Gesundheitsbereich arbeiten.
Es handelt sich hier um keine Müdigkeit im Sinne einer gewöhnlichen Müdigkeit und die Krankheit ist eine extreme Belastung und dadurch können natürlich auch psychologische Faktoren hinzukommen.
Ich für meinen Teil bin nicht depressiv, habe aber mit den Konsequenzen aus der schweren Behinderung zu kämpfen, wie jeder andere Mensch mit chronischer Krankheit eben auch.
Ich würde gerne vieles tun und aktiv sein, kann aber nicht. Früher wäre so ein Leben für mich unvorstellbar gewesen. Es ist aber auch erstaunlich, woran man sich alles gewöhnen kann, was die Schwere der Erkrankung jedoch um nichts verbessert.
Wie lange leiden Sie schon an ME/CFS?
Ich bin mit 18 an ME/CFS erkrankt. Angefangen hat es bei mir mit schwerem Schwindel und Herzrasen, sowie schwerste Schlafstörungen. Mit der Zeit wurden viele weitere Komorbiditäten sehr aggressiv und haben den Alltag immer mehr eingeschränkt, bis zur absoluten Belastungsintoleranz (Post Exertional Malaise oder PEM) und Bettlägerigkeit.
Post Exertional Malaise ist eines der Hauptsymptome von ME/CFS. Bereits bei geringer körperlicher, geistiger oder emotionaler Anstrengung verschlechtert sich der Gesundheitszustand, Anm.
Wissen Sie, wodurch die Krankheit ausgelöst wurde?
Durch mehrere Zeckenbisse. Sie kamen durch meine Freigängerkatze in mein Bett. Ich hatte viele Jahre Borreliose, was mit Co-Infektionen einherging - wie etwa dem Epstein-Barr-Virus (EBV), Herpes und diversen andere Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden können.
Der genaue Auslöser ist schwer festzumachen. Nicht jeder Mensch erkrankt wegen solcher Infektionen, aber gerade auch das EBV Virus steht immer nachhaltiger im Verdacht, Multiple Sklerose auszulösen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse verhärten sich.
Wie wurde schließlich ME/CFS diagnostiziert?
Die Diagnose hat bei mir in etwa 15 Jahre gedauert. Als es bei mir begann, war darüber so gut wie gar nichts bekannt. Ich wurde von keiner medizinischen Fachperson diesbezüglich aufmerksam gemacht. Es wurde immer sofort als psychiatrisch abgetan.
Mein höchstes Interesse war es, wieder "leistungsfähig" zu werden und meine Kraft, die ich vorher hatte, zurückgewinnen. Der Ursprung der Beschwerden war mir persönlich egal. Ich habe die psychiatrische Erklärung akzeptiert. Es gab auch nichts anderes Denkbares.
Dass es ME/CFS wurde, habe ich mit meinen zarten 20 Jahren noch nicht mitbekommen. Ich habe mich selber lange gegen dieses Krankheitsbild irgendwie gewehrt. Auch aus Angst und Sorge hoffte ich: "Bitte nein, lass es nicht so etwas sein". Viele Jahre, nach sehr später Diagnose, war ich einige Jahre der Meinung, was ja auch von diversen Ärzten bestätigt wurde, dass es sich um so etwas wie eine chronische Borreliose handelt. Das wurde aber genauso psychopathologisiert wie ME/CFS auch.
Wie wirkt sich die Krankheit auf Ihr Leben aus?
Mein Leben ist extrem eingeschränkt. Ich benötige für die seltenen kleinen Ausflüge ins Freie Begleitung und einen elektrischen Rollstuhl. Die restliche Zeit verbringe ich fast nahtlos im Bett. Tue ich das nicht, dann verschlechtert sich mein Zustand zunehmend. Anders ist das nicht zu bewältigen.
Es braucht das konsequente "Pacing" (eine Strategie, um mit den eigenen Energie-Ressourcen sparend umzugehen, Anm.), um zu überleben. Man kann an ME/CFS auch sterben, unter anderem wegen akuten Herzstillstands oder auch Suizid, weil nicht jeder mit so einem großen Leidensdruck auf Dauer leben kann. Oder man bekommt früher oder später auch Krebs, insbesondere wegen der erhöhten Entzündungswerte. Kaum ein Patient mit längerem Verlauf überlebt eine chemotherapeutische Behandlung, da der Körper schon extrem vorbelastet ist.
Sie können also nicht arbeiten gehen...
Viele Anträge auf die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit werden abgelehnt und kommen zum Sozialgericht. Dort wird dann bei Gericht mit Sachverständigen geklärt, ob man am Arbeitsmarkt noch einer Tätigkeit nachgehen könne. Die Standards für Arbeitsfähigkeit sind nicht hoch – Personen wie ich sind also offiziell arbeitsfähig. Ich selbst bin deswegen aktuell in einem Berufungsverfahren mit der Pensionsversicherungsanstalt.
Es ist also kompliziert. Wovon leben Sie, wenn Sie offiziell nicht als arbeitsunfähig gelten?
Vor Gericht bin ich invalide und berufsunfähig. Aktuell bin ich wegen des eingestuften Pflegegrades vor Gericht in Berufung. Vom Pflegegeld kann man jedoch nicht leben, das ist nur eine zusätzliche Beihilfe bei Pflegebedarf, eine Grundleistung erfolgt immer vom AMS, ÖGK als Krankengeld oder auch Reha-Geld, sofern die Pensionsversicherungsanstalt zustimmt.
Die Pflegestufe entscheidet maßgeblich, wie viel Hilfeleistung man bekommt. Im Sinne eines "selbstbestimmten Lebens". Menschen mit ME/CFS haben einen hohen Grad an Behinderung.
Das Pflegegeld wird allerdings vollkommen als "Selbstbehalte" von in Anspruch genommenen Leistungen wieder ausgegeben. Da baut man sich kein Vermögen damit auf, genau das Gegenteil ist der Fall.
Die Ablehnung eines Antrages auf Arbeitsunfähigkeit erschwert es einer kranken Person, besser mit Krankheit und Hilfeleistung zurechtzukommen. In 15 Jahren habe ich mittlerweile sechs Anträge gestellt und fünfmal gnadenlos verloren.
Was könnte die Politik tun, damit sich die Situation für Menschen mit ME/CFS bessert?
In Österreich herrscht die Ansicht, dass es hier kein Unrecht gibt. Hier wurde erfolgreich die Psychologisierung der Krankheit betrieben. Die Krankheit wurde 1969 von der WHO unter dem ICD Code G 93.3 als neurologische Erkrankung klassifiziert.
Zwei Drittel der Betroffenen sind Frauen, bei ihnen wird eine ME/CFS-Erkrankung immer noch als "Hysterie" abgetan. Diese alten, tief verwurzelten Denkmuster müssen aufgebrochen werden.
Das Sozialministerium braucht dringend eine Einschätzungsverordnung (EVO). Nur damit kann ME/CFS als Behinderung klassifiziert werden. Sachverständige können ohne die EVO keine Behinderung feststellen, eine Einstufung des Grads der Behinderung ist nicht möglich.
Telemedizin als Angebot wäre hier mehr als angebracht und das bei voller Kostenübernahme. Wer an ME/CFS leidet, kann nicht stundenlang beim Arzt in einer Ambulanz sitzen.
Zur Person: Bernd P., ist 46 Jahre alt. Er lebt im Westen Österreichs. Er hat überwiegend als Buchhalter gearbeitet und war auch in der Krankenpflege tätig. Die Ausbildung zum Krankenpfleger brach er aufgrund der fortgeschrittenen Erkrankung ab.
Zusammenfassung
- Bernd P. hat seit mehr als 20 Jahren ME/CFS.
- Dafür gibt es keine Behandlung.
- P. erklärt im Interview, mit welchen Problemen und Behörden er in Österreich zu kämpfen hat.