Gerüchteküche
Platzen Koalitionsgespräche? Was dafür und dagegen spricht
Die Regierungsbildung nach der Nationalratswahl dürfte als die bisher schwierigste der österreichischen Nachkriegsgeschichte gelten. Österreich ist seit über 130 Tagen ohne eine neue Regierung.
Nach dem Platzen der Dreier-Koalition durch die NEOS und der ÖVP-Absage an eine instabile "große" Koalition mit der SPÖ mit nur einem Mandat Mehrheit, verhandeln seit Wochen FPÖ und ÖVP. Nach Konflikten rauften sich die Parteichefs Herbert Kickl (FPÖ) und Christian Stocker (ÖVP) im persönlichen Krisengespräch zusammen, doch von Harmonie ist weiter keine Spur.
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Am Dienstagvormittag twitterte der ehemalige Chefredakteur des "Profil", Christian Rainer, bedeutungsschwanger die aktuellsten Gerüchte um ein Platzen der Koalitionsgespräche: "Verlässliche Quellen: ÖVP überlegt, heute zu Mittag die Verhandlungen mit der FPÖ zu beenden. 'Nicht regierungsfit' Nicht fix, aber ..."
https://twitter.com/chr_rai/status/1889241649919717586
Es ist nicht das erste Mal, dass Polit-Beobachter das Scheitern der Koalitionsgespräche prophezeien, aber bisher war das vor allem Verhandlungspoker der beiden Parteien. Was spricht jetzt dafür und was dagegen?
Was dafür spricht
Zumindest die Oppositionsparteien scheinen davon auszugehen, dass Blau-Türkis nicht zustande kommt: SPÖ-Chef Andreas Babler hat am Montag in einer Videobotschaft erklärt, seine SPÖ sei weiterhin offen für eine Regierungszusammenarbeit. Auch Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, immerhin der mächtigste SPÖ-Landeschef, bekräftigte dies in einer eigenen Erklärung.
NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger - die die ursprünglichen Verhandlungen für eine Dreier-Koalition mit ÖVP und SPÖ platzen ließ - beraumte für Dienstagvormittag eine Pressekonferenz ein. Dort bekundete sie den Willen der NEOS, für eine Minderheitsregierung zur Verfügung zustehen.
Zuletzt hatten aber auch Teile der ÖVP, die zuvor alle anderen Koalitionsvarianten abgelehnt hatten, ihre Bedenken bezüglich einer Koalition mit der FPÖ angemeldet. Harald Mahrer, sozusagen Wortführer des mächtigen ÖVP-Wirtschaftsflügels, sagte der "Krone" am Dienstag: "Wer nicht konsensbereit ist und sich nur im Machtrausch befindet, der ist möglicherweise nicht regierungsfit." (Auf diese Formulierung bezog sich wohl Christian Rainer.)
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Die grundsätzlichen Konflikte wurden zuletzt immer virulenter, die Forderungen der FPÖ teils immer extremer. Es schien nur mehr eine Frage der Zeit, bis die Volkspartei "nicht mehr mitkann". Bereits in den vergangenen Tagen wurde aus Insider-Kreisen gemunkelt, dass ein Platzen der Verhandlungen dem Vernehmen nach bevorstehe.
Was dagegen spricht
Das größte Argument gegen ein Platzen der FPÖ-ÖVP-Gespräche ist zum einen, dass alle anderen Koalitionsvarianten - bis auf ÖVP-SPÖ-Grüne - in ihren Verhandlungen gescheitert sind. Die Alternativen wären eine instabile Minderheitsregierung, eine Expertenregierung oder eben Neuwahlen.
Auf Stimmen-Zugewinne bei Neuwahlen kann vielleicht die FPÖ spekulieren, die ÖVP aber sicherlich nicht, wenn man aktuellen Umfragen glaubt.
Aber auch für die jetzt fest im Sattel sitzende FPÖ wären Neuwahlen unter Umständen eine ungewisse Wette, wie FPÖ-Urgestein Andreas Mölzer am Montag im PULS 24 Interview sagte.
Aktuell hat die FPÖ eine Mehrheit, die Kanzlerschaft scheint für die Freiheitlichen in Reichweite. Dies zu riskieren, erscheine als riskantes Pokerspiel, denn möglicherweise sind nach mehr als einem Dritteljahr auch die FPÖ-Wähler:innen ermüdet von Wahlkampf, Wahl und Regierungsbildung.
Mölzer: Neuwahlen für FPÖ und ÖVP nicht gescheit
Die ÖVP wiederum würde - ohne Personalwechsel an der Spitze - bei Neuwahlen klar riskieren, stimmenmäßig hinter die SPÖ zurückzufallen und damit als Koalitionspartner irrelevanter zu werden.
Viel Empörung über angeblich nicht kompromissbereite Verhandlungspartner darf nicht zuletzt auch als Verhandlungspoker gesehen werden. FPÖ-Chef Herbert Kickl gab sich am Dienstagvormittag jedenfalls weiterhin optimistisch, dass eine Regierung mit der ÖVP zustande kommt.
Zusammenfassung
- Die Gerüchteküche brodelt, es wird kolportiert und jeder hat es eh schon immer gewusst.
- Die Koalitionsgespräche zwischen FPÖ und ÖVP sollen noch am heutigen Dienstag platzen, twittert zuletzt der Ex-"Profil"-Chefredakteur.
- Was spricht dafür und was dagegen?