APA/APA/AFP/PRAKASH SINGH

Indien-Wahl: Modi wohl dramatisch schlechter als gedacht

Bei der Unterhauswahl in Indien war die Partei von Ministerpräsident Narendra Modi siegessicher, nun wartet wohl eine herbe Enttäuschung. Es dürfte wohl für eine dritte Amtszeit reichen, die Mehrheit dürfte aber knapp ausfallen.

Indische Medien berichteten am Dienstagabend unter Berufung auf das Ergebnis nach Auszählung nahezu aller Stimmen, Modis Parteien-Allianz NDA komme auf etwa 290 Sitze im Unterhaus - zur Mehrheit benötigt sie 272

Am Samstag nach Schließung der Wahllokale hatten Nachwahl-Befragungen noch auf 350 Sitze hingedeutet, bis Dienstagmorgen war die Zahl dann schon auf 300 geschrumpft.

Gandhi-Oppositionsbündnis verdoppelt

Deutlich hinzugewinnen konnte indes das von Rahul Gandhi angeführte Oppositionsbündnis INDIA, das den Medien zufolge künftig mehr als 230 Abgeordnete stellen wird - und damit fast doppelt so viele wie noch am Samstag prognostiziert.

Absturz für Modi

Für Modis Partei BJP ist das Ergebnis ein schwerer Schlag. Sie hatte bei den Wahlen 2014 und 2019 jeweils allein die Mehrheit der Abgeordneten stellen können und damit eine Ära unsicherer Koalitionsregierungen in Indien beenden können. In diesem Jahr hingegen kommt die BJP den Medienberichten zufolge wohl nur noch auf 240 Sitze - nach 303 im Jahr 2019.

Börse sackt ab

Das Ergebnis hat Anleger aufgeschreckt. Die Kurse an der indischen Börse sackten am Dienstag um bis zu 8,5 Prozent ab, am Ende schloss der Index Nifty50 5,9 Prozent schwächer. Modi wird nun erstmals seit seiner Machtübernahme im Jahr 2014 auf mindestens drei unterschiedliche regionale Parteien angewiesen sein, deren Zuverlässigkeit in den letzten Jahren nicht immer gegeben war. Experten zufolge bringt das nach einem Jahrzehnt, in dem Modi mit autoritärer Hand regiert hat, nun eine gewisse Unsicherheit in Indiens Politik. Am Montag waren die Börsen noch deutlich gestiegen in der Annahme, dass die NDA-Koalition eine Zweidrittelmehrheit erreichen könne und es weitere Jahre starken Wirtschaftswachstums und wirtschaftsfreundlicher Reformen gebe.

Modi sagte am Dienstagabend vor Anhängern in Neu-Delhi, er werde künftig härter arbeiten und "große Entscheidungen" treffen. Er werde sich vor allem auf die Branchen Elektronik, Halbleiter, Rüstungsproduktion, erneuerbare Energien und den Agrarsektor konzentrieren. Details dazu nannte er nicht. Ein Sprecher der BJP erklärte, man werde sich mit dem schlechten Ergebnis eingehend befassen "und das Ohr an der Basis haben". Die NDA werde aber zum dritten Mal die Regierung bilden, Modi zum dritten Mal vereidigt werden und die Kongress-Partei zum dritten Mal in der Opposition sitzen.

Zwei wichtige NDA-Verbündete, die TDP und die United, wiesen Medien-Spekulationen zurück, sie könnten in ihrer Unterstützung für Modi wanken oder die Seiten wechseln. Oppositionsführer Gandhi sagte auf die Frage, ob er eine Regierungsbildung versuchen werde, seine Partei werde am Mittwoch Gespräche mit Verbündeten führen und über das weitere Vorgehen entscheiden.

Der Experte Ken Peng von Citi Global Wealth in Singapur sagte, die Kernfrage werde sein, ob die BJP ihre Einparteienmehrheit behalten könne. Wenn nicht, werde sich klären müssen, ob die Koalition die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere die Infrastruktur, vorantreiben könne. "Es könnte eine expansivere Fiskalpolitik geben, um die Sozialleistungen und andere lokale Regierungsausgaben zu stärken."

642 Millionen wählten

Gut eine Milliarde Inder und Inderinnen waren aufgerufen, ein neues Unterhaus zu wählen. 642 Millionen kamen dem nach, das entspricht einer Wahlbeteiligung von mehr als 66 Prozent. Aufgrund der Größe wurde die Wahl in sieben Phasen abgehalten.

Modi wäre erst der zweite Ministerpräsident Indiens mit einer dritten Amtszeit. Das gelang vor ihm nur Jawaharlal Nehru, dem ersten Ministerpräsidenten seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1947.

Rivale vor Wahl inhaftiert

Modis wichtiger politischer Rivale, der Regierungschef des Hauptstadt-Unionsstaates Delhi, Arvind Kejriwal, sitzt im Gefängnis. Er war im März, kurz vor Beginn der Parlamentswahl, wegen Korruptionsvorwürfen inhaftiert worden.

Kejriwal, der jegliches Fehlverhalten bestreitet, wurde zwischenzeitlich aus der Haft entlassen, um an der Wahl teilnehmen zu können. Vor seiner Rückkehr ins Gefängnis sagte er: "Wenn die Macht zur Diktatur wird, dann ist eine Haftstrafe ein Zeichen von Verantwortung."

Nach Erkenntnissen des US-Think-Tanks Freedom House nutzt die BJP zunehmend Regierungsinstitutionen, um gegen politische Gegner vorzugehen. Die Opposition und Menschenrechtsgruppen werfen Modi zudem vor, die hinduistische Mehrheit im Land zu bevorzugen. So bezeichnete Modi die 210 Millionen Muslime im Land im Wahlkampf als "Eindringlinge" und "diejenigen mit mehr Kindern". Beschwerden der Opposition über den Regierungschef blieben folgenlos.

Die Parlamentswahl in Indien war der größte demokratische Urnengang der Welt. Bis zum Samstag waren sechs Wochen lang mehr als 968 Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Auszählung erfolgte durch spezielle Zählcomputer. Die endgültigen Ergebnisse wurden im Laufe des Dienstages erwartet.

ribbon Zusammenfassung
  • Die Partei von Ministerpräsident Narendra Modi hat bei der Unterhauswahl in Indien dramatische Verluste erlitten und kommt auf etwa 290 Sitze, benötigt werden 272 für die Mehrheit.
  • Das Oppositionsbündnis INDIA unter Rahul Gandhi konnte deutlich zulegen und wird mehr als 230 Abgeordnete stellen.
  • Die indische Börse reagierte negativ auf das Wahlergebnis, die Kurse fielen um bis zu 8,5 Prozent.
  • Modi wird für eine dritte Amtszeit vereidigt, benötigt jedoch die Unterstützung von mindestens drei regionalen Parteien.
  • Die Wahlbeteiligung lag bei über 66 Prozent, etwa 642 Millionen Inder gaben ihre Stimme ab.