Druck, aber keine Mittel: Oberösterreich verlangt von Ukrainern "Bemühungspflicht"
"Wer Leistungen beziehen will, muss sich um Arbeit bemühen". Ein Stehsatz, der von ÖVP-Politikern schon oft zu hören war. Nun richtet er sich speziell an Vertriebene aus der Ukraine. Kurz nach dem Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine hielt Oberösterreichs Soziallandesrat Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) eine Pressekonferenz ab. Er wolle nun allen Ukrainer:innen ein Schreiben zukommen lassen, das sie auf die oberösterreichische "Bemühungspflicht" hinweisen soll, kündigte er an.
Ganz neu ist die Idee nicht: So ein Brief wird nun schon zum zweiten Mal ausgeschickt - das erste Rundschreiben an Ukrainer:innen in Grundversorgung erfolgte schon im Juli. Nun soll es eine zweite Runde geben.
"Law-and-Order-Pathos"
Um weiter Leistungen aus der Grundversorgung zu beziehen, müssen sich Vertriebene aus der Ukraine entweder beim AMS vormerken lassen oder an Jobbörsen teilnehmen, sagte der ÖVP-Landesrat. Das solle den Ukrainer:innen nun abermals klar gemacht werden. Die SPÖ spricht von "Law-and-Order-Pathos mit wenig Substanz". Asylrechtsexperte Lukas Gahleitner-Gertz von einem "Peitschensystem".
Oberösterreich hat die sogenannte "Bemühungspflicht" nicht nur als Voraussetzung für den Bezug der Sozialhilfe, auch im Landesgesetz für Grundversorgung ist ein solcher Passus zu finden. Konkret heißt es im Gesetzestext, dass die Grundversorgung verweigert, entzogen oder eingeschränkt werden kann, sollte eine Person "die Aufnahme einer zumutbaren Beschäftigung" verweigern.
Rechtliche Unklarheiten
Was das nun im Fall der Ukrainer:innen, die teils noch nicht einmal ein Jahr im Land sind, heißen soll, ist allerdings unklar. Verfassen sollen das Schreiben Volkshilfe und Caritas, präzisierte ein Sprecher des Landesrats gegenüber PULS 24. Diese Organisationen zahlen die Grundversorgung in Oberösterreich aus. Nachweise über die Meldung beim AMS, einen Besuch der Jobbörsen, die das AMS abhalten wird, oder Deutschkurse, müssen dann ebenfalls dort vorgelegt werden. Personen, die der "Bemühungspflicht" nicht nachkommen, müssen Nachweise erbringen, warum sie das nicht können.
"Ob und wann die Bemühungspflicht nicht erfüllt wird, wird dann im Einzelfall beurteilt", heißt es aus dem Büro von Hattmannsdorfer. Wie hoch eine etwaige Kürzung ausfallen soll, steht nicht fest. Einen "starren Zeitrahmen" gebe es ebenfalls nicht.
Die Caritas Oberösterreich bestätigt gegenüber PULS 24, dass man "im Auftrag des Landes OÖ die entsprechenden Bestätigungen" entgegennehmen werde. Man werde diese Unterlagen dann aber "an die Grundversorgungsstelle des Landes" weiterleiten. Die Caritas betont: "Mögliche Einschränkungen oder Einstellungen der Leistungen werden nicht von der Caritas entschieden, sondern von ebendieser Stelle des Landes." Die Volkshilfe wollte sich gegenüber PULS 24 noch nicht äußern, man müsse erst beraten.
Ob der Druck durch den Landesrat zielführend ist, darüber scheiden sich in Oberösterreich die Geister: Die Caritas begrüße die Vorgehensweise des Landes, "da ein aktives Berufsleben ein wichtiger Schritt in Richtung Integration ist". Asylrechtsexperte Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination bezeichnet das Vorhaben der oberösterreichischen Landesregierung im Gespräch mit PULS 24 hingegen als "Peitschensystem".
Oberösterreich droht mit Obdachlosigkeit
Die Grundversorgung sei "ohnehin das unterste Netz". Hier Leistungen zu streichen, bedeute Obdachlosigkeit oder dass Menschen in andere Bundesländer ziehen müssten. In der Grundversorgung bekommen Ukrainer:innen, die privat untergebracht sind, 425 Euro pro geflüchteter Person und Monat. Dazuverdienen dürfen sie 110 Euro im Monat. Sonst verlieren sie die Grundversorgung, und damit womöglich die Wohnung. Arbeiten zu gehen könnte somit die Existenz gefährden.
Man sollte die Menschen aus der Grundversorgung bekommen, betont auch Gahleitner-Gertz. Man sollte aber viel mehr auf positive Anreize setzen. "Man droht mit Sanktionen, hat aber nicht genug Angebot". Eine Möglichkeit, die Gahleitner-Gertz, aber auch Organisationen wie die Diakonie, die SOS-Kinderdörfer und AMS-Chef Johannes Kopf selbst fordern, wäre die Überführung in die Sozialhilfe. Dort gibt es Anspruch auf Mindestsicherung, aber auch eine engere Anbindung an das AMS und Qualifizierungsmaßnahmen.
"Eine Überführung in die Sozialhilfe ist aus unserer Sicht derzeit kein Thema, wir warten dazu entsprechende Weichenstellungen auf Bundesebene ab", heißt es dazu aber aus dem Büro von Hattmansdorfer.
Jahrelange Rechtsstreits?
Mit seiner Vorgangsweise riskiere Oberösterreich nun jahrelange Rechtsstreits, kritisiert Gahleitner-Gertz. Denn die Begrifflichkeit 'zumutbare Beschäftigung', sei schwammig. Unter den Vertriebenen aus der Ukraine seien vor allem Frauen, viele mit Kindern. Dass diese Vollzeit arbeiten, könne man nicht verlangen. Im Gesetz steht, dass Menschen im Pensionsalter, Kranke oder Behinderte sowie Menschen mit Betreuungspflichten von der "Bemühungspflicht" ausgenommen sind.
Das Gesetz sei "nicht ganz ausgereift", kritisiert der Asylrechtsexperte. Man riskiere jahrelange Rechtsstreits, ob jemand nun krank sei oder, ob ein Job nun zumutbar sei oder nicht. Zudem sei noch nicht mal klar, wer den Ukrainer:innen Fahrten zum AMS oder zu Deutschkursen bezahlen soll.
Ukrainer in Warteposition
Ob es sinnvoll sei, qualifizierte Menschen zu Stundenjobs zu zwingen, sei laut Gahleitner-Gertz sowieso zu hinterfragen. Unter den Ukrainer:innen seien "sehr viele Gebildete - die wollen arbeiten". Sie bräuchten aber eine Perspektive - ihre Aufenthaltsgenehmigung läuft noch für ein Jahr. Wie es dann weitergeht, steht noch nicht fest. Die Politik sei dazu "noch nicht bereit" - die Ukrainer:innen befinden sich in einer "Warteposition".
"Ganz offensichtlich wird hier auf dem Rücken von Kriegsflüchtlingen, sehr oft Frauen und Kinder, Stimmung gemacht", kritisiert auch SPÖ-Landesgeschäftsführer Florian Koppler gegenüber PULS 24. Er bezieht sich auf Zahlen des Integrationsministeriums, wonach zwei Drittel der Ukrainer:innen gut qualifiziert seien. Es gebe aber von AMS und Integrationsfonds "zu wenig Unterstützung für Bildungsangebote damit diese Qualifikationen für den Arbeitsmarkt nutzbar gemacht werden können". Die Bemühungspflicht heiße "nichts anderes, als dass jede Arbeit angenommen werden muss", so Koppler. Es komme "zu einer massiven Dequalifizierung. Deutschland macht es anders und nützt die Qualifikationen, um den Fachkräftebedarf reduzieren zu können".
Deutschkurse rechtlich dünnes Eis
Auch dass Oberösterreich den Ukrainer:innen Deutschkurse abverlangt, ist rechtlich dünnes Eis. Die damals türkis-blaue Bundesregierung unter Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache wollte schon 2019 35 Prozent der Sozialhilfe an die Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt knüpfen. Die Vermittelbarkeit sollte dann gegeben sein, wenn zumindest das Sprachniveau B1 (Deutsch) oder C1 (Englisch) nachgewiesen wird.
Der Verfassungsgerichtshof kippte das schwarz-blaue Sozialhilfegesetz: Es sei eine "unsachliche Regelung" gewesen, weil keine Gründe ersichtlich seien, "weshalb ausschließlich bei Deutsch- und Englischkenntnissen auf diesem hohen Niveau eine Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt anzunehmen sein soll", so das Höchstgericht. Ein bestimmtes Niveau an Deutschkenntnissen zu verlangen, ist also nicht möglich.
Nachdem das Bundesgesetz gekippt wurde, schuf Oberösterreich die unkonkrete "Bemühungspflicht" für Sozialhilfe und Grundversorgung. Hattmannsdorfer sagte, Oberösterreich habe das als einziges Bundesland. Tatsächlich findet sich ein ähnlicher Passus auch im niederösterreichischem Landesgesetz. Auch darin heißt es, Personen in der Grundversorgung müssen "alle Maßnahmen ergreifen, die geeignet sind, die Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt, die Arbeitsfähigkeit oder soziale Stabilisierung zu verbessern". Töne wie aus Oberösterreich waren aus St. Pölten aber noch nicht zu hören.
Kein wirkliches Problem
Ein wirkliches Problem scheint Oberösterreich mit den Ukrainer:innen aber ohnehin nicht zu haben: 7.260 Vertriebene aus der Ukraine befinden sich aktuell im Bundesland, zwei Drittel davon sind Frauen, 718 Kinder unter sechs Jahren. 5.205 Vertriebene sind in der Grundversorgung, 4.643 sind im erwerbsfähigen Alter. 1.740 Menschen aus der Ukraine sind bereits beim Arbeitsmarkservice gemeldet. Es sind also nur acht Prozent der in Oberösterreich lebenden Ukrainer:innen, die die "Bemühungspflicht" überhaupt betreffen könnte.
Gahleitner-Gertz spricht daher von "Symbolpolitik": "Man sendet ein Signal an die Österreicher: 'Wir zwingen sie eh'". Ob das arbeitsmarktpolitisch schlau sei, sei aber eine andere Frage.
Zusammenfassung
- Oberösterreich will Ukrainer:innen zum Arbeiten bewegen. Ein gutes Ziel. Doch die Mittel stoßen auf Kritik.
- Die ÖVP setzt auf Druck, Symbolpolitik und ein Gesetz, das viele Unklarheiten mit sich bringt, wie Asylrechtsexperte Lukas Gahleitner-Gertz kritisiert.
- Um weiter Leistungen aus der Grundversorgung zu beziehen, müssen sich Vertriebene aus der Ukraine entweder beim AMS vormerken lassen oder an Jobbörsen teilnehmen, sagte der ÖVP-Landesrat Wolfgang Hattmannsdorfer.
- Das solle den Ukrainer:innen nun abermals klar gemacht werden. Die SPÖ spricht von "Law-and-Order-Pathos mit wenig Substanz". Asylrechtsexperte Lukas Gahleitner-Gertz von einem "Peitschensystem".