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Der Libanon kommt nicht aus dem Krisenmodus

Die libanesische Hauptstadt Beirut galt einst als das "Paris des Ostens", doch diese Zeiten sind längst vorbei. Die Spuren des Bürgerkriegs, der das multikonfessionelle Land von 1975 bis 1990 erschütterte, sind immer noch zu sehen. Wie ein Mahnmal steht das 1974 eröffnete und nur ein Jahr betriebene Holiday Inn Hotel mit riesigen Granatlöchern da. Das Regierungsviertel ist abgeriegelt, nur noch Anrainer dürfen rein, offenbar fürchtet die Politik Proteste der Bevölkerung.

Seit über drei Jahren leidet das Land nämlich unter der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Seitdem können Libanesen kaum Geld abheben. Wer Dollar-Guthaben hat, bekommt nur libanesische Pfund, was aber niemand will. Die Inflation lag nämlich in den ersten Monaten des Jahres 2023 bei über 260 Prozent. Der massive Währungsverlust führte dazu, dass mehrere Libanesen im vergangenen Sommer Banken überfielen, um Geld für Krankenhausbehandlungen zu bekommen. Drei Viertel der Bevölkerung leben in Armut. Strom gebe es nur maximal sechs Stunden am Tag, erzählt Mireille Karaky, eine lokale Mitarbeiterin des Hilfswerks International. "Wir Libanesen haben das Gefühl von der Welt verlassen zu sein", sagt sie.

Durch die Corona-Pandemie und die verheerende Explosion im Hafen von Beirut im August 2020 verschärfte sich die Situation zudem noch. Hunderte Tonnen Ammoniumnitrat waren fahrlässig im Hafen gelagert worden. Als Arbeiter eine defekte Tür schweißen wollten, kam es zur Explosion und ganze Stadtteile Beiruts wurden dem Erdboden gleichgemacht. Mehr als 200 Menschen starben, 6.500 weitere wurden verletzt und rund 300.000 obdachlos.

Die Dysfunktionalität des Landes zeigte sich auch in der Bewältigung der Katastrophe. Sein Bruder sei bei der Explosion gestorben, erzählt Kayan Tlays, der selbst im Hafen gearbeitet hatte, zur Zeit der Explosion aber nicht vor Ort war. Die Behörden lieferten der Familie zunächst einen falschen Leichnam, einen Franzosen, erzählt er. Darauf habe er gedroht, diesen Leichnam erst wieder herzugeben, wenn er den seines Bruders bekomme, was schließlich zwei Wochen gedauert habe, so der 48-Jährige.

"Es war ein Albtraum, alles was wir wollen ist Gerechtigkeit", doch "leider haben wir keine Regierung, es gibt keinen Fortschritt", sagt er deprimiert. Alles im Libanon sei politisiert, es gebe keine Entscheidungen, ohne ewig lange Diskussionen, kritisiert er. "Die Toten werden nicht zurückkommen, wir würden uns aber schon besser fühlen, wenn die Verantwortlichen hinter Gitter kämen." Dennoch bleibt er skeptisch und glaubt, dass es "keine Aufklärung" geben werde. Schließlich sei auch der Mord am damaligen Premierminister Rafic Hariri seit 2005 nicht aufgeklärt worden.

Der politische Proporz habe nach Ende des Bürgerkriegs zu einer gewissen Stabilität geführt, erzählt Bernhard Stepanek vom Hilfswerk International, das seit 2006 im Land tätig ist. So sind die vier höchsten Staatsämter bestimmten religiösen Gruppen vorbehalten. Das Staatsoberhaupt muss ein maronitischer Christ sein, der Parlamentspräsident ein schiitischer Muslim, der Regierungschef sunnitischer Muslim und der Oberbefehlshaber der Armee ein Christ. Das System funktioniert jedoch mehr schlecht als recht, Mitte Juni war die Wahl eines neuen Präsidenten zum zwölften Mal gescheitert. Der Proporz basiert auf einer Volkszählung aus dem Jahre 1932, die Zahl der Christen hat seither abgenommen, vor allem die schiitischen Muslime haben stark zugelegt.

Verschärft wurde die Krise im Land außerdem durch den syrischen Bürgerkrieg, der seit zwölf Jahren tobt. Von den geschätzten 6,8 Millionen Einwohnern sind seither mindestens 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge im Libanon, dazu kommen 211.000 palästinensische Flüchtlinge und knapp 14.000 Flüchtlinge anderer Nationalitäten. Anfangs habe es sehr große Unterstützung für die Flüchtlinge gegeben, berichtet Stepanek, doch aufgrund der schlimmen wirtschaftliche Lage habe sich das geändert.

Auch Krieg in der Ukraine hatte Auswirkungen auf das arabische Mittelmeerland, erzählt Stepanek, immerhin seien bisher mehr als 80 Prozent aller libanesischen Getreideimporte aus der Ukraine gekommen. Bei den Projekten der NGO versuche man daher auch die libanesische Bevölkerung vermehrt einzubinden. So könnten auch Libanesen etwa das medizinische Zentrum des Hilfswerk International in der Bekaa-Ebene, wo der Großteil der geflüchteten Syrer lebt, nutzen. Zudem versuche man die libanesische Bevölkerung auch bei den Projekten der Organisation, wie dem Projekt "Sabun - Die gute Seife", wo Seife auf traditionelle Weise hergestellt wird, einzubinden.

Doch die Lage zwischen Einheimischen und Flüchtlingen werde zunehmend schwieriger, erzählt Mireille Karaky. So fordern viele Libanesen das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR auf, die Zahlungen, die eine Flüchtlingsfamilie bei der Geburt eines Kindes erhält, einzustellen, mit der Begründung so die syrischen Familien nur dazu zu ermutigen, noch mehr Kinder zu bekommen.

Doch auch die Syrer, die am Bau, in der Landwirtschaft und im Service arbeiten dürfen und von libanesischen Arbeitgebern oft bevorzugt werden, weil für sie keine Sozialabgaben zu zahlen sind, spüren die Wirtschaftskrise. Der Syrer Musafa, der schon vor dem Krieg in seiner Heimat im Libanon arbeitete, sieht deshalb nur eine Chance. "Ich will nach Europa", sagt er, obwohl der Versuch schon zwei Mal gescheitert ist. Vergangenes Jahr saß er sechs Monate in Libyen fest, die Überfahrt wurde gestoppt. Dennoch sagt er: "Ich werde das auf jeden Fall wieder versuchen."

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  • Die libanesische Hauptstadt Beirut galt einst als das "Paris des Ostens", doch diese Zeiten sind längst vorbei. Die Spuren des Bürgerkriegs, der das multikonfessionelle Land von 1975 bis 1990 erschütterte, sind immer noch zu sehen. Wie ein Mahnmal steht das 1974 eröffnete und nur ein Jahr betriebene Holiday Inn Hotel mit riesigen Granatlöchern da. Das Regierungsviertel ist abgeriegelt, nur noch Anrainer dürfen rein, offenbar fürchtet die Politik Proteste der Bevölkerung.