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Briefbomben-Terror hielt vor 30 Jahren Österreich in Atem

"Es kam ein Anruf aus der Steiermark: Da ist etwas explodiert." So schildert Robert Sturm, jahrelang Sprecher der Briefbomben-Sonderkommission, den 3. Dezember 1993, der den Beginn eines beispiellosen Falles österreichischer Kriminalgeschichte markierte: der Bombenterror des Südsteirers Franz Fuchs, der als "Bajuwarische Befreiungsarmee" firmierte. Vier Tote in Oberwart, mehrere Verletzte, 25 Briefbomben sowie weitere Anschläge gingen auf sein Konto.

"Es war der Start einer fast vierjährigen Tragödie, einer gesellschaftlichen, politischen, auch sicherheitspolitischen Herausforderung", resümierte Sturm, der zu Beginn der Serie noch weit davon entfernt war, sich in der Causa um die Medienarbeit zu kümmern, im Gespräch mit dem "Standard" und der APA. Erst im Juni 1995 - also mehrere Monate nach dem Rohrbombenanschlag in Oberwart mit vier Toten -, als die Betreiberin einer Partnervermittlung durch eine Briefbombe verletzt wurde, übernahm er den Job. Im Innenministerium unter Caspar Einem (SPÖ) hatte man angesichts nicht enden wollender öffentlicher Kritik an den zunächst erfolglosen Ermittlungen in der Briefbomben-Causa die Notwendigkeit eines Pressesprechers extra dafür erkannt.

Die größte Serie der BBA war gleich die erste, mit zehn Briefbomben. Am 3. Dezember 1993 - einem Freitag - wurden ORF-Minderheitenredakteurin Silvana Meixner und der Hartberger Flüchtlingspfarrer August Janisch schwer verletzt. Zwei Tage später - am Sonntagabend - wurde der damalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk (SPÖ) von einer Briefbombe schwer verletzt und musste notoperiert werden. Zilk war erst am Sonntagabend aus der Schweiz zurückgekehrt und sortierte die Post. Dabei explodierte der Sprengsatz, Zilk wurde vor allem an der linken Hand schwer verletzt. Besonders dieser Fall erschütterte Österreich und verlieh den Anschlägen eine ganz neue Dimension.

Am selben Tag wurde ein Brief an die damalige Grüne Klubobfrau Madeleine Petrovic abgefangen. Weitere Briefe waren unter anderem an den damaligen Caritas-Präsidenten Helmut Schüller, die Grüne Mandatarin Terezija Stoisits oder an die damalige Frauenministerin Johanna Dohnal (SPÖ) adressiert, wurden aber rechtzeitig entdeckt.

Die Serie platzte mitten in eine ohnehin politisch aufgeheizte Stimmung in Österreich: Jörg Haiders FPÖ war auf dem Vormarsch. Und das trotz Spaltung: Haiders Stellvertreterin Heide Schmidt wollte den rechten Kurs nicht mehr mittragen und hatte im Februar 1993 gemeinsam mit weiteren liberal eingestellten Freiheitlichen die Partei nach dem sogenannten Ausländervolksbegehren verlassen. Auch gab es dauernd Vorwürfe wegen Verbindungen zu Rechtsextremisten. Die neonazistische Volkstreue Außerparlamentarische Opposition (VAPO) war bereits zerschlagen, deren Mastermind Ende September 1993 zu zehn Jahren Haft verurteilt worden.

Angesichts der Adressaten der Briefbomben und des Absenders "Graf Starhemberg" auf den Sendungen - ein Hinweis auf den Stadtverteidiger Wiens während der Türkenbelagerung 1683 - gingen die Ermittler rasch davon aus, dass der oder die Urheber in rechtsextremen Kreisen zu suchen waren. Nach nicht einmal einer Woche gab es die ersten Festnahmen, einer der Verdächtigen hatte davor Verbindungen zur VAPO. Weitere Festnahmen folgten, darunter ein Mann und sein erst Anfang November enthafteter Sohn. Doch bald tauchten Zweifel an der Urheberschaft der Verdächtigen auf. Drei wurden letztlich angeklagt, im Dezember 1995 aber von der Urheberschaft der Anschläge freigesprochen. Verurteilungen gab es aber wegen Wiederbetätigung.

Zur Entlastung der Angeklagten trug sicher auch bei, dass während der Untersuchungshaft die BBA wieder in Erscheinung trat: Im August 1994 wurde auf dem Gelände der Klagenfurter Rennerschule eine Bombe entdeckt, die zum Flughafen gebracht wurde. Dort detonierte sie, der Polizist Theo Kelz verlor beide Unterarme. Der Anschlag wurde medial zunächst nicht dem Terror der BBA zugerechnet. Auch zwei weitere Beamte wurden verletzt. Im Oktober 1994 gab es dann die zweite Briefbombenserie: Ein Mitarbeiter des Gastarbeiterreferats der Diözese Feldkirch, der Klagenfurter Wieser-Verlag, der Abt des Stifts Wilten in Tirol und die Hallein Papier AG waren die Adressaten, alle vier Sprengkörper wurden rechtzeitig erkannt.

In der Nacht auf den 5. Februar ereignete sich bei einer Roma Siedlung in Oberwart der folgenschwerste Anschlag der Serie: An einer Wegkreuzung detonierte eine Sprengfalle, in der Früh wurden die Leichen von vier jungen Männern - Bewohner der Siedlung - gefunden. Auch eine Tafel mit der Aufschrift "Roma zurück nach Indien" wurde entdeckt. Vermutet wird, dass die Opfer diese Tafel entfernen wollten und diese mit der Sprengfalle gekoppelt war. Diese löste aus, als sie die Tafel aufhoben. "Die Bombe von Oberwart war eine gesellschaftliche Erschütterung", sagte Sturm. Am Tag darauf detonierte in Stinatz ebenfalls ein Sprengkörper, durch den ein Mitarbeiter des burgenländischen Umweltdienstes verletzt wurde.

Sturm selbst trat erst mit der dritten Briefbombenserie im Juni 1995 als medialer Ansprechpartner in Erscheinung. Diese Serie hatte neben Linz auch Ziele in Deutschland im Visier. In der Redaktion des TV-Senders "Pro 7" in München explodierte eine Briefbombe und verletzte eine Mitarbeiterin der Adressatin, Moderatorin Arabella Kiesbauer. In der norddeutschen Stadt Lübeck wurde der SPD-Geschäftsführer im Rathaus, Thomas Rother, beim Öffnen der Post verletzt. In Linz traf es die Betreiberin eines Partnervermittlungsbüro, die ebenfalls verletzt wurde.

"Der von der Organisation soll die Medien betreuen", schildert Sturm, wie er zu dem Job kam, der ihn bekannt oder gar berühmt machte. Zuvor war der damalige Beamte der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT) in der ebendort angesiedelten Sonderkommission für Organisatorisches zuständig gewesen. Die Ermittler waren in Linz in Zusammenhang mit der Briefbombe gegen die Partnervermittlerin im Einsatz. Sturm bekam ein Telefon in die Hand gedrückt. "Robert, da schau her, da hast das Handy", erzählt Sturm. Der Rest ist Geschichte: Auf 300 Radio-, 200 Fernsehinterviews und rund 8.000 Zitierungen brachte es Sturm in Zusammenhang mit der Causa.

"Ich war das Gesicht des Briefbombenfalles", resümiert er. "Es war aber nie meines, ich habe das aus Professionalität gemacht." Dabei war Sturm darauf bedacht, sich mit seinen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern nicht zu "verhabern": "Aus meiner Erfahrung heraus war Distanz gut. Es gibt zwischen Polizisten und Journalisten keine Freundschaft und auch keine Feindschaft", betont Sturm.

Es sollten auf die Briefbombenserie in Deutschland und Linz noch zwei weitere folgen: Bei der vierten wurden in Niederösterreich im Oktober 1995 die Flüchtlingshelferin Maria Loley in Poysdorf und der aus Syrien stammende damalige Gemeindearzt von Stronsdorf verletzt. Ein aus Südkorea stammendes Arztehepaar entging in Mistelbach einem Briefbombenanschlag nur knapp. Die fünfte Serie im Dezember nur sechs Tage vor der Nationalratswahl forderte glücklicherweise keine Verletzten. Adressaten waren das Flüchtlingshochkommissariat UNHCR, eine in Wien lebende indische Familie, eine Partnervermittlungsagentur mit Postfach in Güns (Ungarn) sowie Angela Resetarits, die Mutter des Kabarettisten Lukas, des Sängers Willi ("Ostbahn Kurti") und des ORF-Redakteurs Peter Resetarits.

Am 9. Dezember 1996 explodierte schließlich eine weitere Briefbombe. Adressiert war sie an die Schriftstellerin Lotte Ingrisch, Stiefmutter des damaligen Innenministers Caspar Einem (SPÖ).

Am 1. Oktober 1997 - Sturm: "nach 1.398 Tagen" - fühlten sich zwei Frauen in dem südsteirischen Ort Gralla bei Leibnitz verfolgt und alarmierten die Gendarmerie. Beamte stoppten den zu diesem Zeitpunkt 48-jährigen Vermessungstechniker Franz Fuchs und forderten ihn auf, den Wagen zu verlassen. Das tat er auch, hatte aber einen undefinierbaren Gegenstand in der Hand, ein Sprengsatz, der unmittelbar danach explodierte. Fuchs verlor einen Unterarm und beide Hände. Auch die Gendarmen wurden verletzt, einer von ihnen schwer. Bei der Durchsuchung des Hauses, in dem der Techniker mit seiner Mutter lebte, fanden die Ermittler weitere Sprengsätze und im hinteren Teil eine Werkstatt. Seine Mutter durfte diese nicht betreten.

Fuchs wurde im März 1999 zu lebenslanger Haft verurteilt. Dem Prozess selbst blieb er fern. Wurde er in den Saal geführt, begann er zu schreien und Hasstiraden auszustoßen. Auch die Information über das Urteil überbrachte der Richter dem Angeklagten in die Zelle. Im Februar 2000 beging Fuchs in seiner Zelle Suizid.

Sturm bezeichnet den Eigenbrötler als "hochintelligenten Versager": "Er hat seinen Frust an der Gesellschaft ausgelassen." Nie ganz verstummt ist die Diskussion, ob Fuchs allein gehandelt hat. Es gibt einige, die nach wie vor nicht vom Einzeltäter überzeugt sind. Sturm zählt nicht dazu, und er begründet das mit der Persönlichkeitsstruktur des Südsteirers: "Für mich war es ausschließlich er. Er war ein Genie, er hätte nicht geteilt." Nachsatz: "Alles wird man in dem Fall nie klären können."

Robert Sturm ist mit dem Fall bekanntgeworden. Und er ist froh, dass es die Briefbomben-Causa in den 1990er-Jahren gegeben hat, nicht heute: "Ich danke dem lieben Gott, dass es damals Social Media nicht gab. Das hätte uns zerlegt. So haben wir 'nur' 10.000 Hinweise bekommen."

(Von Gunther Lichtenhofer/APA).

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  • "Es kam ein Anruf aus der Steiermark: Da ist etwas explodiert." So schildert Robert Sturm, jahrelang Sprecher der Briefbomben-Sonderkommission, den 3. Dezember 1993, der den Beginn eines beispiellosen Falles österreichischer Kriminalgeschichte markierte: der Bombenterror des Südsteirers Franz Fuchs, der als "Bajuwarische Befreiungsarmee" firmierte. Vier Tote in Oberwart, mehrere Verletzte, 25 Briefbomben sowie weitere Anschläge gingen auf sein Konto.