Am Puls der Politik: Massenansturm aufs Hohe Haus, eine ungenutzte Chance…
Morgen Mittwoch startet im Hohen Haus ein Ritual, das nicht aus der Welt zu schaffen ist: ein dreitägiger Sitzungsmarathon mit mehr als drei Dutzend Tagesordnungspunkten. Bis zum Ferienstart in den westlichen Bundesländern diesen Freitag haben die Abgeordneten gut dreimal soviel in die Tagesordnung wie zuletzt in der Juni-Session hineingepackt. Im aquariumartigen fensterlosen Plenarsaal lässt sich selbst dieser Dichtestress zumindest jetzt besser aushalten, seit ein aufwändig installiertes Glasdach für Tageslicht und bessere Stimmung sorgt.
"Parlament schauen" ist in
Das historische Gebäude erstrahlt nicht nur außen und innen im neuen Glanz. Seit dem Wiedereinzug der Mandatare und Mitarbeiter nach fünf Jahren Renovierung reißt auch der tägliche Strom an Menschen, die "Parlament schauen" kommen, nicht ab. Zweieinhalb Monate nach der Wiedereröffnung wurde bereits die 100.000ste Besucherin begrüßt. Damit wurde, gestützt auf Erfahrungen anderer Parlamente, erst dieser Tage gerechnet.
Die Parlaments-Verantwortlichen rechnen daher bis Jahresende, statt der ursprünglich erwarteten maximal Viertel-Million Besucher, mit doppelt so vielen Bürgern, die heuer noch das runderneuerte Parlament von innen gesehen haben wollen.
Offene Neugierde statt kleinlicher Kritik
Der Besucher-Strom ist auch an ganz normalen Wochentagen ohne besondere Ereignisse im Hohen Haus nicht endenwollend. Es gibt nur sehr selten Kritik über Ausmaß und Kosten von Renovierung und Umbau, berichten jene Mitarbeiter, die täglich mit Führungen und Bürger-Fragen zu tun haben. Im Gegenteil, es dominiert der Eindruck: Das Gros der Besucher betritt neugierigen Auges das Ringstraßen-Gebäude und verlässt es durchwegs beeindruckt.
Sorge um "Würde des Hauses"
In den Parlamentsklubs sorgen die Besuchermassen da und dort immer wieder für Bedenken und Diskussionen. Etwa, weil Besucher jenen Bereich im Plenarsaal, von dem aus Wolfgang Sobotka, Doris Bures oder Norbert Hofer die Sitzungen leiten, für Erinnerungs-Selfies ("Ich war Präsident") nutzten. Dies soll künftig unterbunden werden, "um die Würde des Hauses zu wahren" (so ein Parlamentarier).
Weil in den Abgeordnetenreihen vor allem die Namensschilder von FPÖ-Mandataren, allen voran Herbert Kickl, immer wieder beschädigt würden und generell immer wieder zusätzlicher Reinigungsbedarf entstehe, wird parlamentsintern überlegt, das Fläzen von Besuchern in den Abgeordneten-Sesseln generell zu untersagen.
Erfolgsmodell "Demokratie-Werkstatt"
Die Mandatare täten gut daran, nicht nur über neue Verbote nachzudenken. Angesichts des grassierenden Politiker-Frusts und des zugleich überraschend großen Interesses am "Parlament Schauens" wäre die Gelegenheit günstig, über eine Erweiterung des Angebots für Besucher nachzudenken.
Eines der erfolgreichsten Projekte des Parlaments ist die "Demokratie-Werkstatt", in der Schüler den demokratischen Umgang mit anderen Meinungen und politischer Willensbildung spielerisch lernen.
Fragestunde für Bürger im Hohen Haus
Was spricht dagegen, auch den vielen längst der Schule entwachsenen Besuchern ein Stück lebendiger Demokratie abseits des musealen Rundgangs anzubieten: Etwa eine Fragestunde, in der Bürger von den Abgeordneten-Sesseln aus ihre Anliegen und Fragen an Regierungs-Vertreter richten. Oder eine offene Gesprächsrunde zu aktuell heiß diskutierten Themen mit Abgeordneten und Experten nach Vorbild einer Parlamentsenquete, aber diesmal mit Bürger-Beteiligung.
Wähler fühlen sich nicht gehört
Umfragen zeigen, dass sich immer mehr Österreicher von der Politik nicht gehört fühlen. Das neugierige Auge auf jenen zentralen Ort, wo tagtäglich Politik gemacht wird, ist hunderttausendfach da. Es wäre ein guter Anlass, den Besucherstrom für einen erwachseneren Umgang zwischen übel beleumundeten Politikern und demokratiemüden Bürgern zu nutzen.
Josef Votzi ist Kolumnist des Magazin "Trend" und Kommunikationsberater (www.linkedin.com/in/josef-votzi). Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage" erscheint jeden Freitag neu auf trend.at.
Zusammenfassung
- Das frisch renovierte Parlament ist ein Besucher-Magnet. Wie das Hohe Haus das große Interesse an der runderneuerten Architektur auch zum Abbau des Politik-Frusts nutzen könnte.