Van der Bellen: Österreicher warten auf politische Generalsanierung - "Und ich auch"
Die Schritte, um Zweifel an der Integrität der Politik auszuräumen, seien noch nicht gesetzt. "Die Generalsanierung hat noch immer nicht begonnen", kritisierte das Staatsoberhaupt: "Und so viel möchte ich an dieser Stelle sagen: Die Österreicherinnen und Österreicher warten darauf. Und ich auch."
Er nannte dies als eines von mehreren Themen, die befürchten ließen, dass das kommende Jahr härter werde als das vorangegangene. Vor allem die wirtschaftliche Situation mit Inflation und hohen Energiepreisen als Folge des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine, aber auch die Klimakrise mit ihren Auswirkungen sowie die Folgen der Pandemie, erwähnte Van der Bellen.
Hoffnung nicht aufgeben
Dennoch rief Bundespräsident zur Bereitschaft auf, sich vom kommenden Jahr positiv überraschen zu lassen. "Ich weiß schon, manche finden das naiv. Und manche können es auch nicht mehr hören, wenn ich zum gefühlt 100. Mal 'Wir kriegen das schon hin' sage." Wichtig sei aber, dass man die Hoffnung zulasse und sich wie ein Skirennläufer mental auf die Strecke und den bestmöglichen Ausgang fokussiere.
Van der Bellen nannte wichtige Aufgaben, die in Summe den Erfolg als Gemeinschaft ermöglichten: Von Eltern über Menschen in Pflege. Sozialem und Medizin bis zu Lehrern und Schülern, politisch Engagierten, Journalisten, Wirtschaftstreibenden, Pensionisten oder der Exekutive. "Wenn wir alle unsere täglichen Aufgaben mit Optimismus und gutem Willen erledigen und im Rahmen unserer ganz persönlichen Möglichkeiten unser Bestes geben, Schritt für Schritt für Schritt: Dann wird unser gemeinsames Jahr gut werden. Weil wir einander so am besten helfen", so der Bundespräsident.
Van der Bellens Rede im Wortlaut:
Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle, die in Österreich leben,
ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen ein gutes Neues Jahr.
Noch ist es ein unbeschriebenes Blatt.
Aber insgeheim haben wir alle Erwartungen.
Oft glauben wir zu wissen, was kommen wird und viele von uns, das muss ich so ansprechen, befürchten auch, dass das kommende Jahr härter wird als das vergangene. Kein Wunder.
Die wirtschaftliche Situation mit Inflation und hohen Energiepreisen als Folge des Angriffskrieges in der Ukraine ist eine Herausforderung für unsere Gesellschaft.
Ganz abgesehen von dem menschlichen Leid, das durch die systematischen Angriffe Russlands auf zivile Einrichtungen entsteht. Das ist einfach schrecklich.
Wir können auch die Klimakrise und ihre Auswirkungen nicht ignorieren, die Jahr für Jahr stärker spürbar werden.
Und dazu kommen die Folgen der Pandemie, mit denen wir immer noch kämpfen.
Auf der Ebene der Europäischen Union steht unsere Gemeinschaft vor großen Umwälzungen. Europa muss seine geostrategische Rolle finden und verteidigen.
Und innenpolitisch, als ob das alles noch nicht genug wäre, sehen wir uns nach wie vor mit diesem, wie ich es genannt habe, "Wasserschaden" konfrontiert: Dem Zweifel an der Integrität der Politik.
Und auch da sind entsprechende Schritte noch immer nicht gesetzt. Die Generalsanierung hat noch immer nicht begonnen.
Und so viel möchte ich an dieser Stelle sagen:
Die Österreicherinnen und Österreicher warten darauf.
Und ich auch.
Aber dennoch: Ich möchte Sie heute einladen, noch kein vorschnelles Urteil über das Jahr 2023 zu fällen.
Noch nicht aufzugeben, bevor das neue Jahr überhaupt erst begonnen hat.
Und in Ihrem Kopf die Möglichkeit offen zu halten, dass wir alle gemeinsam positiv überrascht werden vom kommenden Jahr.
Ich weiß schon, manche finden das naiv.
Und manche können es auch nicht mehr hören, wenn ich zum gefühlt 100. Mal "Wir kriegen das schon hin" sage.
Aber trotzdem muss und möchte ich uns alle an eines erinnern:
Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass etwas gelingt, ist, dass man es zulässt.
Dass man die Hoffnung zulässt. Dass man es zulässt, die guten Dinge zu sehen. Dass man im Kopf die Möglichkeit des Erfolgs zulässt. Dass man trotz aller Schwierigkeiten an einen guten Ausgang glaubt. Auch wenn die Rahmenbedingungen höchst herausfordernd sind.
Ein Beispiel: Sportlerinnen und Sportler wissen ganz genau, dass ein guter Wettkampf im Kopf beginnt.
Deswegen sieht man Skirennläufer oft vor dem Start in Gedanken die Strecke hinunterfahren. Sie nehmen im Kopf schon jede Kurve und jeden Sprung so, wie es ideal wäre.
Sie kennen solche Bilder. Das ist charakteristisch für Leistungssportlerinnen.
Manche halten das für ein bisschen seltsam. Aber es funktioniert: Sich auf den bestmöglichen Ausgang fokussieren.
Und das sollten wir alle tun.
Wir mögen nicht alle Leistungssportlerinnen- und sportler sein, aber jede und jeder von uns hat jeden Tag Aufgaben zu bewältigen. Wichtige Aufgaben, die in Summe unseren Erfolg als Gemeinschaft ermöglichen. Die Arbeit der alleinerziehenden Mütter.
Die Arbeit in pflegenden und medizinischen Berufen und im ganzen Sozialbereich.
Die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer.
Der Schülerinnen und Schüler.
Der freiwilligen Vereine – unserer Zivilgesellschaft. Der Menschen, die sich politisch engagieren.
Die Arbeit der Journalistinnen und Journalisten.
Die Arbeit der Beschäftigten in der Wirtschaft. Der Unternehmerinnen und Unternehmer.
Unseres Mittelstandes.
Der Ingenieurinnen und Ingenieure.
Unserer Bäuerinnen und Bauern.
Die Arbeit im Tourismus.
Die Arbeit der Menschen in Verwaltung,
Exekutive und Bundesheer.
Und natürlich der Beitrag der Pensionistinnen und Pensionisten. Der Opas und Omas, Mamas und Papas.
Wenn wir alle unsere täglichen Aufgaben mit Optimismus und gutem Willen erledigen und im Rahmen unserer ganz persönlichen Möglichkeiten unser Bestes geben, Schritt für Schritt für Schritt: Dann wird unser gemeinsames Jahr gut werden. Weil wir einander so am besten helfen.
Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle, die in Österreich leben,
ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen ein gutes Neues Jahr.
Möge es besser, einfacher und schöner werden, als Sie es erwarten. Guten Abend.
Zusammenfassung
- In seiner Neujahrsansprache forderte der Bundespräsident erneut, den innenpolitischen "Wasserschaden" nach ÖVP-Affäre zu beheben.
- Gleichzeitig müsse man aber Hoffnung zulassen.
- Mehr Infos und die Rede im Wortlaut finden Sie im Artikel: