Afghanische Entschädigungsforderungen nach US-Eingeständnis
Das US-Militär hatte eingeräumt, bei einem Drohnenangriff in Kabul Ende August unschuldige Zivilisten statt Extremisten getötet zu haben. Der Luftangriff sei ein "tragischer Fehler" gewesen, sagte General Kenneth McKenzie, der das US-Zentralkommando Centcom führt, am Freitag in einer Videoschaltung vor Journalisten. Eine Untersuchung habe gezeigt, dass bis zu zehn Unschuldige, darunter bis zu sieben Kinder, ums Leben gekommen seien. Man halte es für unwahrscheinlich, dass das Fahrzeug und die getöteten Personen eine direkte Bedrohung für die US-Streitkräfte dargestellt hätten oder mit Isis-K, einem Ableger der Terrormiliz IS, in Verbindung gestanden hätten.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sprach den Familien der Getöteten sein Beileid aus und erklärte: "Wir entschuldigen uns und werden uns bemühen, aus diesem schrecklichen Fehler zu lernen." Er habe angeordnet, zu untersuchen, inwiefern Abläufe bei künftigen Drohnenangriffen womöglich geändert werden müssten.
Nach der Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban in Afghanistan Mitte August hatten die USA und ihre internationalen Partner eine groß angelegte Militär-Evakuierungsmission gestartet, um westliche Staatsbürger und schutzbedürftige Afghanen außer Landes zu bringen. Inmitten des Evakuierungseinsatzes wurden Ende August bei einer Terrorattacke des IS, der mit den Taliban verfeindet ist, vor dem Flughafen von Kabul Dutzende Afghanen und 13 US-Soldaten getötet. Die USA reagierten daraufhin mit Luftangriffen und nahmen Kämpfer von Isis-K ins Visier.
Das US-Militär hatte zunächst mit einem Drohnenangriff in der afghanischen Provinz Nangarhar nach eigenen Angaben zwei ranghohe Vertreter von Isis-K getötet. In Kabul wiederum griff das US-Militär am 29. August unweit des Flughafens mit einer Drohne ein Auto an, in dem die Amerikaner ebenfalls Isis-K-Anhänger vermuteten. Argumentiert wurde, dadurch sei möglicherweise ein weiterer schwerer Terrorangriff am Flughafen verhindert worden.
Medien hatten bereits kurz nach diesem Luftanschlag berichtet, dass mehrere Zivilisten bei der Drohnenattacke ums Leben gekommen seien. Die USA hatten dies nicht direkt zurückgewiesen, sondern eine Prüfung angekündigt. Generalstabschef Mark Milley hatte den Angriff aber noch nach ersten Berichten über mögliche zivile Opfer verteidigt.
Das US-Militär hatte ursprünglich mitgeteilt, in dem zerstörten Fahrzeug habe sich "eine große Menge Sprengstoff" befunden, die womöglich zu weiteren Opfern geführt habe. Man wisse nun mehr, sagte Pentagon-Sprecher Kirby am Freitag. Der Sender CNN berichtete, dass der US-Auslandsgeheimdienst CIA kurz dem Angriff davor gewarnt habe, dass sich wahrscheinlich Zivilisten in dem Fahrzeug aufhielten. Die Warnung sei nur Sekunden vor dem Luftschlag erfolgt, so CNN unter Berufung auf mit der Situation vertraute Quellen. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür zunächst nicht.
McKenzie sagte ausdrücklich: "Ich bin heute hier, um das geradezurücken und unseren Fehler einzugestehen." Er betonte: "Dieser Schlag wurde in dem ernsten Glauben ausgeführt, dass er eine unmittelbare Bedrohung unserer Streitkräfte durch die Evakuierten auf dem Flughafen verhindern würde, aber das war ein Fehler." Das US-Militär bedaure dies zutiefst.
Aus Afghanistan wurden trotz des Eingeständnisses Forderungen nach weiteren Konsequenzen laut. "Worte des Bedauerns reichen nicht aus", sagte auch die stellvertretende Asien-Direktorin bei Human Rights Watch, Patricia Gossman. Es bedarf einer "gründlichen und unabhängigen Untersuchung" des US-Drohnenangriffs. Dieses Vorgehen seitens der USA sei nicht neu, in den vergangenen 20 Jahren aber "völlig ungestraft" geblieben.
"Präsident Biden trägt die letzte Verantwortung", reagierte der Republikaner Jim Inhofe, der auch im Verteidigungsausschuss des Senats sitzt. "Sein überstürzter Abzug der US-Truppen aus Afghanistan hat unser Militär mit der unmöglichen Aufgabe zurückgelassen, Terroristen ohne Personal oder Partner vor Ort zu bekämpfen." Ex-Präsident Donald Trump zufolge sind die USA noch nie so "blamiert und gedemütigt" worden. Die Regierung habe zeigen wollen, dass sie "harte Kerle" seien, viele Menschen seien wegen "inkompetenter Generäle" getötet worden.
Die letzten US-Truppen hatten Kabul Ende August, also kurz nach dem Drohnenangriff, verlassen. Damit endete der internationale Militäreinsatz in Afghanistan nach fast 20 Jahren. Die Regierung von Präsident Biden war wegen des Truppenabzugs und der chaotischen Umstände international bereits massiver Kritik ausgesetzt.
Unterdessen haben am Samstag mehr als 100 afghanische Journalisten an die internationale Gemeinschaft appelliert, Maßnahmen zum Schutz der Pressefreiheit in Afghanistan zu entwickeln. Am dringendsten seien Schutzgarantien insbesondere für Journalistinnen, erklärten sie anonym in einem Appell über Reporter ohne Grenzen (RSF). Übergriffe auf Fotografen und Reporter und die Einmischung der nun herrschenden militant-islamistischen Taliban in die Medienarbeit ließen das Schlimmste befürchten.
Die Journalisten drängen auf konkrete Unterstützung, um afghanischen Redaktionen eine weitere Arbeit zu ermöglichen. Kurzfristig brauche man auch diplomatische, konsularische und finanzielle Hilfe für die Evakuierung gefährdeter Journalisten. Geflüchteten müsse geholfen werden, im Ausland im Journalismus zu arbeiten. Die internationalen Institutionen müssten bei den Verhandlungen mit den Taliban konkrete Zusagen von den neuen Führern Afghanistans einholen.
Zusammenfassung
- Der Tod von Zivilisten und Kindern bei einem US-Luftangriff in Kabul Ende August hat trotz einer Entschuldigung des US-Militärs in Afghanistan Wut und Entschädigungsforderungen ausgelöst.
- Unterdessen haben am Samstag mehr als 100 afghanische Journalisten an die internationale Gemeinschaft appelliert, Maßnahmen zum Schutz der Pressefreiheit in Afghanistan zu entwickeln.
- Geflüchteten müsse geholfen werden, im Ausland im Journalismus zu arbeiten.