2020 niedrigste Zahl von Hinrichtungen seit zehn Jahren
"Während sich die Welt darauf konzentriert, Menschen vor COVID-19 zu schützen, machten sich mehrere Regierungen mit schockierender Härte daran, die Todesstrafe anzuwenden und Menschen hinzurichten", erklärte Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International in Österreich, laut einer Aussendung. "Wir appellieren an die Staats- und Regierungschefs jener Länder, die die Todesstrafe als unmenschlichste Bestrafung noch nicht aufgehoben haben, sich 2021 endgültig davon zu verabschieden."
In Ägypten wurden laut Amnesty 2020 mehr als dreimal so viele Hinrichtungen vollzogen wie noch im Jahr davor - ein Anstieg von mindestens 32 auf mindestens 107. Die US-Regierung unter Präsident Donald Trump habe im Juli 2020 begonnen, wieder Hinrichtungen auf Bundesebene zu vollziehen, nachdem diese 17 Jahre lang ausgesetzt waren. Binnen nur sechs Monaten seien zehn Männer exekutiert worden. Indien, der Oman, Katar und Taiwan hätten im Vorjahr ebenfalls Hinrichtungen wieder aufgenommen. In China sei mindestens ein Mann zum Tode verurteilt und hingerichtet worden, nachdem die Behörden angekündigt hatten, scharf gegen Straftaten vorgehen zu wollen, die Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 beeinträchtigten.
In der Gesamtstatistik von mindestens 483 Fällen nicht enthalten sind Zahlen aus Ländern, in denen Informationen über vollstreckte Todesurteile als Staatsgeheimnis gelten oder die nur eingeschränkte Daten zur Verfügung stellen - dies gelte für China, Nordkorea, Syrien und Vietnam. Man gehe davon aus, dass China mit Tausenden vollstreckten Todesurteilen pro Jahr weltweit die meisten Menschen hinrichte, vor dem Iran (mindestens 246 Hinrichtungen), Ägypten (mindestens 107), dem Irak (mindestens 45) und Saudi-Arabien (27). Letztere vier Länder waren laut Amnesty 2020 für 88 Prozent aller bekannten Exekutionen verantwortlich. Unter den 483 Personen, von denen bekannt ist, dass sie im Vorjahr hingerichtet wurden, befanden sich auch 16 Frauen (drei Prozent).
Recherchen der Menschenrechtsorganisation zeigen, dass der Rückgang der Hinrichtungen auf niedrigere Vollstreckungsraten in manchen Ländern zurückzuführen ist. In geringerem Ausmaß beruhe er auf einer Pandemie-bedingten Aussetzung von Exekutionen in einigen Ländern, heißt es in der Aussendung.
Die erfassten Hinrichtungen in Saudi-Arabien gingen den Angaben zufolge um 85 Prozent zurück - von 184 im Jahr 2019 auf 27 im Jahr 2020. Im Irak hat sich die Zahl der Exekutionen mehr als halbiert, von 100 auf 45. In Bahrain, Weißrussland (Belarus), Japan, Pakistan, Singapur und im Sudan waren im Vorjahr anders als 2019 keine Hinrichtungen zu verzeichnen.
Auch die Anzahl der weltweit verhängten Todesurteile (mindestens 1.477) sei im Vergleich zu 2019 um 36 Prozent zurückgegangen. Amnesty International stellte in 30 von 54 Ländern, in denen bekanntermaßen Todesurteile verhängt wurden, einen Rückgang fest. Allem Anschein nach habe dies in mehreren Fällen mit Verzögerungen und vertagten Verfahren aufgrund der Pandemie zu tun.
"Zwar gab es 2020 noch Länder, die an der Todesstrafe festhielten, doch das Gesamtbild war positiv. Die Zahl der erfassten Hinrichtungen ging weiter zurück - was bedeutet, dass die Welt immer weiter von der grausamsten und erniedrigendsten aller Strafen abrückt", betonte Schlack.
Vor wenigen Wochen habe Virginia als erster Südstaat der USA die Todesstrafe abgeschafft. Im Jahr 2020 wurde im Tschad und im US-Staat Colorado ebenfalls die Todesstrafe abgeschafft, Kasachstan verpflichtete sich völkerrechtlich zur Abschaffung, und Barbados setzte Reformen zur Aufhebung der verpflichtenden Anwendung der Todesstrafe. Mit Stand April 2021 haben 108 Länder die Todesstrafe für alle Straftaten abgeschafft, 144 Staaten haben die Todesstrafe per Gesetz oder in der Praxis abgeschafft, so Amnesty.
Im Zusammenhang mit Corona hielt die Menschenrechtsorganisation fest, dass die Pandemie auch Folgen für den Zugang zu rechtlicher Vertretung und das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren habe. Aus den USA berichteten Verteidiger, nicht in der Lage gewesen zu sein, wichtige Recherchearbeiten durchzuführen oder sich persönlich mit ihren Mandanten zu treffen. "Unter solchen Umständen ist die Anwendung der Todesstrafe ein besonders ungeheuerlicher Angriff auf die Menschenrechte", kritisierte die Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.
Zusammenfassung
- Im Vorjahr sind laut Amnesty International weltweit mindestens 483 Menschen hingerichtet worden.
- Die erfassten Hinrichtungen in Saudi-Arabien gingen den Angaben zufolge um 85 Prozent zurück - von 184 im Jahr 2019 auf 27 im Jahr 2020.
- Im Irak hat sich die Zahl der Exekutionen mehr als halbiert, von 100 auf 45. In Bahrain, Weißrussland, Japan, Pakistan, Singapur und im Sudan waren im Vorjahr anders als 2019 keine Hinrichtungen zu verzeichnen.