APA/APA/Volksoper Wien/Marco Sommer

"West Side Story" an der Volksoper: Nostalgie-Negierung

Der Bernstein-Hype in Wien hält an: Neben dem Biopic "Maestro" im Kino feierte das MusikTheater an der Wien jüngst mit Lydia Steiers Inszenierung der "Candide" einen umjubelten Erfolg. Am Samstag nun legte Volksopernintendantin Lotte de Beer nach und inszenierte die Hitschleuder "West Side Story" neu. Dabei glückt eine über weite Strecken vom nostalgischen Staub der Jahrzehnte befreite Deutung, in welcher der verklärte Blick wieder auf den harten Kern des Werks gelenkt wird.

Zuvörderst wurde die neue "West Side Story" aber ein Triumph für Ben Glassberg als neuen Musikdirektor des Hauses. Bei seiner ersten Premiere legt der 1994 geborene Dirigent einen mustergültigen Start hin. Leichtfüßig jazzig, mit straffer Tempovorgabe interpretiert das Volksopernorchester unter der Ägide seines seit 1. Jänner amtierenden Chefs die Partitur von Leonard Bernstein. Da hält sich die Bläsersektion nicht vornehm zurück, sondern gibt ebenso Gas wie die Percussion im beinahe frechen Modus agieren. Die pathetischen Crescendi dämpft Glassberg hingegen, lässt die Streicher sich in Understatement üben. Das Resultat ist eine "West Side Story", die nicht symphonisch aufgebläht daherkommt, sondern beinahe Clubatmo ausstrahlt.

Analog dazu ist auch der Inszenierungsansatz von Lotte de Beer bei ihrer ersten Musicalregie entschlackt. Gemeinsam mit Bühnenbildner Christof Hetzer hat die Theatermacherin den minimalistischen Ansatz gewählt, die Drehbühne mittels Trennwand in zwei Spielflächen zu teilen. Dabei fungiert der elaborierte Paravent mal als Rückwand von Marias Zimmer, dann wieder als Docs Lokal. Eine starke Reduktion der Utensilien ermöglicht Szenenwechsel in Windeseile und lenkt die Aufmerksamkeit auf das Geschen.

Nur einmal bricht de Beer diese Grundkonstellation, wenn sie während des melancholischen "Somewhere" der beiden unglücklich Liebenden Tony und Maria einen bissigen Kommentar zum spießigen Gehalt dieser Nummer abgibt. Da erhebt sich ein anfänglich mittels Plakat beworbenes Neubauprojekt als kleinbürgerliches Vorstadthaus auf der Bühne, entlarvt die Sehnsucht des Liebespaares als biedere Illusion. Es ist der klischeeisierte American Dream, vor dessen Hintergrund sich surreal die realen Gegebenheiten einer sozial verrohten Gesellschaft abspielen.

Diese moderate Modernisierung des Stoffes zeigt sich auch an so mancher Transponierung der noch auf Marcel Prawy zurückgehenden Übersetzung der gesprochenen Dialoge. So ist etwa der Rassismus der Gesellschaft prononcierter herausgearbeitet. Und nicht zuletzt fügt sich auch die Choreografie von Bryan Arias, einem gebürtigem Puerto-Ricaner, der in New York sozialisiert wurde, nahtlos ins Bild ein. Arias schafft eine ganz aus der Bewegung heraus entstehende Tanzarbeit, die sich von der Synchronität des Originals etabliert.

Aus diesem stringenten Ansatz stechen leider die von Jorine van Beek gestalteten Kostüme heraus. So geht die Inszenierung nicht den konsequenten Weg, auch die Mode aus den mit allzu vielen Klischeebildern verbrämten 50ern in die Jetztzeit oder eine neutralere Ebene zu heben. Haartolle und Petticoat bremsen den optischen Aufbruch.

Die zweite Schwachstelle des Abends stellt Anton Zetterholm als Tony dar. Dem arriviertem Musicaldarsteller, der demnächst bei den Vereinigten Bühnen das Phantom der Oper singt, fehlt immer wieder Höhe für die Partie, die Stimme ist nicht wirklich gestützt. Dies stellt den denkbar höchsten Kontrast zur Maria von Jaye Simmons dar, besitzt das Mitglied des Opernstudios doch einen breit ausgreifenden Sopran, der gerade mit seinem berührenden Timbre einen Graben zum zweiten Teil des Liebespaares aufreißt. Doch Stimmfragen hin, Haartollen her - seit dem gestrigen Abend hat die Volksoper wieder eine bühnentaugliche, zeitgemäße "West Side Story" im Repertoire.

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E - "West Side Story" von Leonard Bernstein an der Volksoper, Währinger Straße 78, 1090 Wien. Dirigent: Ben Glassberg, Regie: Lotte de Beer, Bühnenbild: Christof Hetzer, Kostüme: Jorine van Beek, Choreografie: Bryan Arias. Mit: Riff - Oliver Liebl, Tony - Anton Zetterholm, Action - Peter Lesiak, A-Rab - Rico Salathé, Baby John - Liam Solbjerg, Snowboy - David Eisinger, Professor - Kevin O'Dwyer, Diesel - Oliver Floris, Gee-Tar - Fin Holzwart, Mouthpiece - Michael Postmann, Graziella - Teresa Jentsch, Velma - Eva Zamostny, Minnie - Ilvy Schultschik, Clarice - Tara Randell, Anybodys - Melanie Böhm, Bernardo - Lionel von Lawrence, Maria - Jaye Simmons, Anita - Myrthes Monteiro, Chino - James Park, Pepe - Malick Afocozi, Indio - Dario Scaturro, Luis - Wei Ken Liao, Anxious - Emilio Moreno Arias, Nibbles - Alex Snova, Juano - Jaime Lee Rodney, Rosalia - Sophia Gorgi, Teresita - Roberta Monção, Francisca - Danai Simantiri, Estella - Jessica Scorpio, Marguerita - Elies de Vries, Doc - Axel Herrig, Detective Schrank - Nicolaus Hagg, Officer Krupke - Tobias Voigt, Glad-Hand - Georg Wacks, Jet-Girl - Anneke Brunekreeft, Jet-Girl - Josefine Tyler, Jet-Girl - Bernadette Leitner, Jet-Girl - Claudia Artner, Shark - William Briscoe-Peake, Shark-Girl - Maura Oricchio, Shark-Girl - Bianca Pizzagalli, Ein Kind - Hannah Lehner. Weitere Aufführungen am 30. Jänner, am 3., 7., 10., 12., 16., 19., 23., 25. und 28. Februar sowie am 1., 4., 8., 13., 15., 18., 21. und 24. März. https://volksoper.at/produktion/west-side-story-2024.de.html)

ribbon Zusammenfassung
  • Die 'West Side Story' wurde in der Volksoper neu inszeniert und zeichnet sich durch eine Befreiung vom nostalgischen Staub der Jahrzehnte aus.
  • Ben Glassberg, der neue Musikdirektor des Hauses, hatte einen mustergültigen Start und interpretierte die Partitur von Leonard Bernstein auf eine leichte, jazzige Weise.
  • Die Kostüme, gestaltet von Jorine van Beek, passen nicht ganz in den stringenten Ansatz der Inszenierung.
  • Anton Zetterholm als Tony wurde als Schwachstelle des Abends gesehen, während Jaye Simmons' Maria gelobt wurde.
  • Die Aufführungen der 'West Side Story' finden bis zum 24. März statt.