APA/APA / Droschl Verlag/Yola Brunner

Verwüstete Welt: Helwig Brunners Zukunftsroman "Flirren"

Unsere Kinder werden es einmal besser haben. Diese Hoffnung, die lange nahezu Gewissheit war, ist Vergangenheit. Die Blicke in die Zukunft sind heute meist dystopisch, ob sie von der Wissenschaft in Form von Aufforderungen zum radikalen Wandel unserer Lebensumstände kommen, oder von der Literatur, die sich im Schwarzmalen zunehmend überbietet. Helwig Brunners Roman "Flirren" ist eines der düstersten Beispiele dieser Climate Fiction. Sein Szenario spielt im 25. Jahrhundert.

Leben kann man das nicht mehr wirklich nennen, was die Restbestände der Menschheit in kleinen, streng von den widrigen Außenbedingungen abgeschotteten "Humanarealen" so betreiben. Durch die dicken Fenster sieht man auf eine verödete, fast vegetationslose Wüstenlandschaft, in der nichts mehr an die einstige Vielfalt alpiner Fauna und Flora erinnert. Entlang des Alpenbogens bilden Hundertschaften von Windrädern "den Rückenkamm eines Reptils", denn Energie wird weiterhin in Übermaß für Kühlsysteme benötigt. Die Erderhitzung, die für das titelgebende Flirren der Luft sorgt, steigt immer stärker an, und es ist absehbar, dass die Menschheit diesen Wettlauf bald endgültig verlieren und buchstäblich verglühen wird.

Der in Graz lebende Autor und Biologe Helwig Brunner weiß leider, wovon er schreibt. Er ist Geschäftsführer eines Instituts für Tierökologie und Naturraumplanung, das sich als "Bindeglied zwischen ökologisch-naturschutzfachlicher Grundlagenforschung und ihrer gutachterlichen, planerischen und praktischen Anwendung" versteht. Auch sein abgeschlossenes Musikstudium lässt er miteinfließen, indem er seinem Protagonisten, dem Historiker Leonard, Reste alten Kulturverständnisses mitgibt und klassische Musik den Soundtrack seiner zunehmenden Verzweiflung bilden lässt.

An sich hat es Leonard super erwischt: Auch dank der Bemühungen seiner kürzlich an Strahlenschäden gestorbenen Lebensgefährtin Lea, einer der Top-Kräfte an der Spitze der Verwaltung, zählt er zum kleinen Kreis wissenschaftlicher Hoffnungsträger, die im Verein mit künstlicher Intelligenz fieberhaft an letzten Auswegen tüfteln. Leonards Part ist, in den Erfahrungen der Vergangenheit bisher Übersehenes ausfindig zu machen, das bei einem Abwenden des in wenigen Generationen unausweichlich scheinenden Aussterbens mithelfen könnte. Zu seinen Privilegien zählen nicht nur Annehmlichkeiten im sonst sehr kargen und reduzierten Lebensalltag, sondern auch der Zugang zu sonst der (mit regelmäßigen Updates gleichgeschalteten) Allgemeinheit nicht mehr zugänglichem Wissen über die Vergangenheit.

So erfährt man also, dass nicht nur die derzeit prognostizierte rasante Zunahme der Klima- und Biodiversitätskrise die Erde ruiniert und die Menschheit radikal reduziert hat, sondern dass auch Atomkriege die wenigen Überlebenden für Jahrzehnte unter die Erdoberfläche verbannt hatten. Der Rest versuchte in einer globalen Katastrophenlandschaft einen Neuanfang, der mit dem heute bekannten zivilisierten Leben kaum mehr etwas zu tun hat.

Helwig Brunner beschreibt in seinem so empfehlenswerten wie pessimistischen Buch nicht nur ökologische, sondern auch technologische Entwicklungen und entwirft eine Art Überwachungsstaat, in dem Mensch und Maschine, natürliche und künstliche Intelligenz kaum mehr zu unterscheiden sind. Nicht mehr für die Allgemeinheit nützliche Bewohner werden von unklaren, aber über absolute Herrschergewalt verfügenden Instanzen buchstäblich in die Wüste geschickt.

Was Brunner dabei an alten menschlichen Beziehungen in seine Geschichte eingebaut hat, wirkt angesichts der Radikalität des von ihm entworfenen Settings etwas unbeholfen und bleibt ebenso verschwommen wie Leonards Versuche, gegen Ende des Romans dem erhöhten Druck der Obrigkeit mit neuen, radikalen Denkansätzen zu begegnen und damit seiner drohenden eigenen Ausmusterung zu entkommen. Dabei erinnert "Flirren" auf deprimierende Weise immer wieder daran: Wir sind in der glücklichen Lage, gar keine neuen, revolutionären Erkenntnisse zu benötigen. Das Wissen um die Fakten liegt ebenso offen auf dem Tisch wie das Wissen um die nötigen Gegenmaßnahmen. Nur handeln müsste man halt danach ...

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Helwig Brunner: "Flirren", Literaturverlag Droschl, 208 Seiten, 24 Euro; Lesung am 9. April, 19 Uhr, in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, Wien 1, Herrengasse 5)

ribbon Zusammenfassung
  • Helwig Brunners Climate-Fiction-Roman 'Flirren' entwirft eine dystopische Zukunft im 25. Jahrhundert, in der die Menschheit in isolierten 'Humanarealen' vor einer zerstörten Erde überlebt.
  • Der Protagonist Leonard, ein Historiker, sucht nach vergessenem Wissen der Vergangenheit, um das Aussterben der Menschheit abzuwenden, während er mit dem Druck der autoritären Obrigkeit kämpft.
  • Brunners Werk ist ein Appell an die Gegenwart: Obwohl das Wissen um die notwendigen Maßnahmen gegen die Klimakrise vorhanden ist, fehlt es an der Umsetzung.