"Ulisse" an der Staatsoper: Irrfahrt mit traumatischem Ende
Man erinnert sich an ihre grandiose Personenstudie des durchtriebenen Nerone in "L'incoronazione di Poppea". Sie verkörperte in "L'Orfeo" gleich drei allegorische Figuren. Nun spielt Kate Lindsey die verlassene Penelope in Monteverdis "Ulisse". Bei Homer ist die unselige Königin fast eine Nebenfigur. In der barocken Oper Monteverdis erscheint sie deutlich aufgewertet - nicht zuletzt wegen der amerikanischen Mezzosopranistin, die an diesem Abend alle Gefühle durchläuft.
Penelopes erste Szene beginnt im sehr dunklen c-Moll. Sie hockt verlassen auf dem aus dem Epos bekannten Webstuhl. Im Bühnenbild von Anna Viebrock wird er zum Kern der Drehbühne, die immer neue Konstellationen ermöglicht. Und er wird auch zum Kino. Der Videokünstler Tobias Dusche projiziert eine filmgeschichtlich bedeutende Sequenz auf das Webstück, in der die Manaki-Brüder, zwei Pioniere der Stummfilmära, ihre Großmutter beim Spinnen aufgenommen haben.
Die Verlassene beklagt ihr Schicksal und beschwört den fernen Ulisse heimzukehren. Zwanzig Jahre lang hat diese Frau, von Freiern (viel Soloapplaus gab es für den famosen südafrikanischen Tenor Katleho Mokhoabane) bedrängt, auf Odysseus gewartet. Penelopes Wehklage ist auch aus dem Orchestergraben zu hören, wo wieder der Concentus Musicus gastiert, unter der fürstlichen musikalischen Leitung von Pablo Heras-Casado.
Die langen Hälse der barocken Theorben ragen aus dem Orchestergraben. Der introvertierte, sonore Klang der Viola da Gamba imitiert Penelopes Stimme in jedem Tonfall und jeder Schattierung, sei es Kummer, sei es Wut. Penelopes Stimme wechselt von zittrig zu flehend zu traurig und zu wütend, von hell zu dunkel. Man spürt die Qualen dieser Verlorenen bis in die Knochen.
Es vergeht gefühlt eine halbe Stunde, bis Georg Nigls traumatisierter Heimkehrer aus dem Titel der Oper erscheint. Nach dem "Orfeo" ist dies Nigls zweite Monteverdi-Partie an der Staatsoper, und im Gegensatz zu den barocken Instrumenten, die nie dazu bestimmt waren, ein so großes Volumen wie die Staatsoper auszufüllen, füllt der österreichische Bariton das Haus am Ring problemlos mit seinem Kummer aus. Dank der Gunst der Götter, die hier in Fliegersitzen der Business Class unterwegs sind und ihr Spiel mit den Menschen treiben (allen voran Isabel Signorets ausgezeichnete Minerva), darf er nach Jahren der Irrfahrt endlich nach Ithaka zurückkehren. Aber er ist nicht mehr derselbe, der er einmal war. Niemand erkennt ihn und er erkennt sich selbst nicht.
Jossi Wieler und Sergio Morabito bringen im Rahmen des in den vergangenen beiden Spielzeiten eröffneten Monteverdi-Zyklus mit der Premiere von "Il ritorno d'Ulisse in patria" nun das dritte und letzte vollständig überlieferte Opernwerk Claudio Monteverdis zur Erstaufführung an der Staatsoper. Die Künstler inszenieren es nicht auf barock-antike Weise, sondern mit blauen Göttern, die aussehen, als hätte man sie aus der Blue Man Group geholt. Sparsam arrangiert hinsichtlich der Ausstattung, aber auch nicht unangenehm konventionell. Projektionen, die über der Bühne zu sehen sind, werden von einer Livekamera generiert. Sie zeigen die Sicht der Götter auf die Welt der kleinen Menschen, mit denen sie ihre Spielchen treiben. Das hat nicht einheitlich gefallen. Ein paar missbilligende Buhrufe gab es dafür aus dem Publikum, aber auch tosenden Beifall für Odysseus und seine Penelope.
Der Opernabend fühlte sich in etwa so an wie das Wiedersehen zwischen den beiden ganz am Ende. Gemischte Gefühle. Keine überschwängliche Euphorie, aber glücklich und auch ein wenig traurig. Man hat doch viel erlebt in zwanzig Jahren - beziehungsweise drei Stunden.
(S E R V I C E - "Il ritorno d'Ulisse in patria" von Claudio Monteverdi in der Staatsoper, Opernring 2, 1010 Wien. Dirigent am Pult des Concentus Musicus Wien: Pablo Heras-Casado, Regie: Jossi Wieler und Sergio Morabito, Bühne und Kostüme: Anna Viebrock, Licht: Reinhard Traub. Mit Georg Nigl - Odysseus, Kate Lindsey - Penelope, Josh Lovell - Telemaco, Isabel Signoret - Minerva. Weitere Aufführungen am 4., 8., 11. und 14. April 2023. www.wiener-staatsoper.at)
Zusammenfassung
- Selten klang er so traurig wie bei Mezzosopranistin Kate Lindsey.
- Georg Nigls Odysseus mag seine Irrfahrt gestern Abend beendet haben, aber es ist die beseelte Wehklage seiner Penelope, die bleibt.
- Mit "Il ritorno d'Ulisse in patria", das am Sonntag erstmals an der Staatsoper aufgeführt wurde, begann das Ende des Monteverdi-Zyklus in Wien.
- Die Verlassene beklagt ihr Schicksal und beschwört den fernen Ulisse heimzukehren.